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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Dem greisen Feldherrn.

Zum 90. Geburtstage Moltkes.

Dich grüßt das deutsche Volk am schönen Tage,
Der Dir des Alters höchste Ehren schenkt.
Leis regt es sich im Königssarkophage,
Ein Geistergruß, der flüsternd Dein gedenkt:
Zwei Kaiser haben aus der Gruft der Todten
Dem Kampfgenossen solchen Gruß entboten.

Du kettetest den Sieg an ihre Fahnen,
Warfst seine Blitze in den Sturm der Schlacht;
Du hast ihm vorgezeichnet seine Bahnen;
Bei Preußens Adler hieltest Du die Wacht
Und lehrtest ihn, mit nimmer müden Schwingen
Zur Sonne Deutschlands kühn emporzudringen.

Du halfst in seinem Horst die Krone bergen,
Die länger nicht im tiefen Schacht verscharrt,
Wo sie so lang mit Raben und mit Zwergen
Des Kaisers Auferstehungstag erharrt.
Sie ist kein Nebelstreif, kein Traumgebilde,
Sie trug ein Volk auf seinem Heeresschilde.



Viel tapf’re Helden hat der Krieg geboren,
Die voller Todesmuth das Schwert gezückt,
Und allen ist der Lorbeer unverloren,
Den sie vom blut’gen Reis der Schlacht gepflückt.
Doch Thaten läßt des Schicksals Wage schwanken;
Fest stehn die sicher leitenden Gedanken.

Und dann beleben sich die stillen Kreise,
Die Cirkel, die der Denker sinnend zog,
Und große Heere zieh’n in ihrem Gleise
Zum Ziele das der Genius erflog.
Ja, vorwärts rücktest Du, ein großer Schweiger,
Mit leiser Hand der Weltgeschichte Zeiger.

So leb’ im Lorbeerkranze vielbewundert,
Sanft von des Friedens Genien umschwebt;
Stolz ist auf Dich das scheidende Jahrhundert,
Das weit hinaus Dein Name überlebt!
Du führtest glorreich unser Volk in Waffen,
Und dieses Volk hat neu das Reich geschaffen.

 Rudolf von Gottschall.



Blätter und Blüthen.

Das Rückertdenkmal in Schweinfurt. (Mit Abbildung S. 736.) Schon vor zwei Jahren, am 16. Mai 1888, dem hundertsten Geburtstage Friedrich Rückerts, sollte dessen Denkmal in seiner Vaterstadt Schweinfurt enthüllt werden; verschiedene Umstände trugen die Schuld, daß erst heuer, am 18. und 19. Oktober, das Rückertfest gefeiert werden konnte, in welchem die Bemühungen der treuanhänglichen Gemeinde des Dichters ihre Krönung fanden.

Professor Rümann in München, der Schöpfer des figürlichen Theils des Denkmals – der architektonische Theil ist das Werk des bekannten Professors Friedrich Thiersch – bildete die Figur des Dichters in schlichter und gerade dadurch packender Natürlichkeit; gedankenvoll in schaffendem Nachdenken über den Inhalt eines Buches begriffen, ist sie dargestellt, und ein Meisterstück künstlerischer Auffassung ist der Kopf. Ueber das Arbeitsfeld Rückerts geben zwei sinnbildliche Nebenfiguren Auskunft. Die eine zeigt eine Idealgestalt, die zugleich Rückerts Lyrik und, nach dem kriegerischen Beiwerk, die „Geharnischten Sonette“ verkörpert. Die andere, eine ideale Frauenfigur, entziffert orientalische Schrift auf einem Pergamente. Der Künstler hat dabei eine äußerst bezeichnende Nebenwirkung erzielt. Bei geeigneter Stellungnahme vor dem Denkmal hat man den Eindruck, als ob die hehre Gestalt einen Schleier von einem Architektenstück, einem orientalischen Steinhaupt, wegnimmt. Die Symbolik erinnert etwas an die Entschleierung des Bildes von Sais und kennzeichnet zugleich den Sprachforscher und den Dichter der „Weisheit des Brahmanen“.

Um das Andenken des Dichters noch besonders zu ehren und einen Mittelpunkt für die Verehrer Rückerts zu schaffen, soll ein Rückertzimmer im alten Gymnasium, dessen Schüler einst der Dichter war, eingerichtet werden, das eine so weit möglich aus dem Gebrauche der Rückertschen Familie stammende Einrichtung, dann aber auch anderweitige Rückert-Andenken, ferner eine möglichst vollständige Sammlung der Rückertlitteratur und aller sich auf Rückert beziehenden Darstellungen in Bild und Wort, in Originalen und in Reproduktionen enthalten soll. Oskar Steinel.     

Die Körperhaltung beim Schreibem. (Mit Abbildung S. 738.) Keine von den Fertigkeiten, die wir in der Schule erlernen, ist von so hoher gesundheitlicher Bedeutung wie das Schreiben. Das Schreiben ist ja eine Arbeit, bei welcher nicht nur das Auge und die Hand, sondern auch der ganze Körper in Mitleidenschaft gezogen wird. Fehlerhafte Körperhaltung beim Schreiben ist längst als die Quelle vieler Uebel bekannt, und längst war das Bestreben vorhanden, Mittel gegen dieselbe zu ersinnen. Wer kennt nicht die große Zahl der Schreibhalter, der zweckmäßigen Stühle, Tische und Bänke, welche zu diesem Zwecke empfohlen wurden und immer noch empfohlen werden? Will man nun von allen diesen Hilfsmitteln, wo es nöthig ist, Gebrauch machen oder will man sich von Schreibhaltern und dergleichen Hilfsapparaten befreien, so muß man in erster Linie doch wissen, wie man eigentlich schreiben soll, welche Stellung des Körpers, welche Lage des Heftes etc. nach den Regeln der Gesundheit zu beobachten ist. Diese Kenntniß dürfte kaum bei einem Bruchtheil der Schreibenden zu finden sein; mit der „Naturlehre des Schreibens“ sind Eltern nur selten vertraut und so kommt es, daß die Aussicht über die Schulkinder im Hause eine höchst mangelhafte ist und diejenigen nicht unrecht haben, welche meinen, daß an den sogenannten Schulkrankheiten nicht so sehr die Schule als vielmehr das Haus schuld

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_737.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)