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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


blauweiße Schleife! Durch das Auge versteht sich dieser Freier nicht einzuschmeicheln, das ist sicher!“

„Fräulein Thekla können immer noch scherzen, und unter mir brechen die Kniee!“ rief Agathe kläglich. „Zwei Freier für mein Prinzeßchen, für mein Goldkind, zwei Freier an einem Tage!“ –

„Und den dritten wird sie nehmen!“ vollendete Thekla in Gedanken. „Das heißt, wer weiß, von wem der Rosenstrauß gekommen ist!“

Die alte Haushälterin sah sich vergebens im Zimmer nach einem Gefäß um, das handfest genug gewesen wäre, eine Bürde wie dies riesengroße, schwere Bouquet zu tragen; sie mußte ins Speisezimmer gehen, einen der mächtigen Metallkrüge, die dort auf dem Kredenztisch standen, herbeizuschleppen, und Thekla mußte solange die Blumen halten. Mit komischer Verzweiflung blickte sie auf das bunte Ungethüm in ihrem Schoß nieder, und die blau-weiße Schärpe wallte zu ihren Füßen in geschmacklosem Pomp.

Da kam von links her ein leichter beflügelter Schritt – wie wohlbekannt! – ein jauchzendes Stimmchen: „Thea, bist Du hier?“ und die Thür flog auf, und Annie stürmte herein, schleuderte Schirm und Shawl von sich und fiel vor Thekla auf die Kniee, schob die ganze Blumenlast, ohne nur hinzusehen, ohne zu fragen, wie einen lästigen Ballast beiseite und fing an, Theklas Hände zu liebkosen, mit Küssen und mit Thränen, warmen, glückseligen Thränen, die von den langen Wimpern niederfielen, während die Lippen lachten … ein wunderlieblicher Anblick: wie wenn eine Blume im ersten Morgensonnenschein die Thautropfen aus ihrem Kelch schüttelt.

„Thea, ach ich bin so gelaufen, ich konnte die Zeit nicht erwarten, bis Du es wußtest, – Du weißt schon, nicht wahr? In Heinrichslust … er … und ich … ein Zufall, nein, nein, das nicht, es giebt keinen, eine Fügung Gottes ist’s gewesen – ich weiß nicht mehr, aber ich werde mich besinnen – Thea, Thea, wenn Du es ahntest, wie glücklich ich bin!“

Wie sollte sie es nicht ahnen, da sie es doch vor sich sah, das verkörperte Glück! Sie hielt die junge Schwester fest an sich gedrückt und fühlte das stürmische Schlagen des jungen, überströmenden Herzens, und die Augen wurden ihr feucht.

Ein Poltern und Rasseln, wie wenn eine schwere Last von Metall zu Boden fällt, ließ die Schwestern erschreckt auffahren. Es war aber auch zuviel für Agathens heute schon so vielgeprüfte Nerven. Da lag das kostbare Riesenbouquet, für welches sie eben ihre alten Glieder mit dem schweren Krug abquälte, zerdrückt und mißachtet am Boden, die gleißende Atlashülle verbogen, die blauweiße Schärpe um den Tischfuß geschlängelt, und vor Fräulein Thekla kniete das Vögelchen, das leibhaftige Vögelchen, von dem kein Mensch wußte, wann und wie es überhaupt ins Haus gekommen war, und lachte und weinte in einem Athem und sprach von „Glück“ – hatte es denn schon einen von den beiden Briefen gelesen? Nein, sie lagen alle zwei friedlich nebeneinander auf dem Fensterbrett, und um den Rosenstrauß hatte sich ersichtlich auch niemand gekümmert … war es ein Wunder, daß Agathens Händen der riesige Krug mit dröhnendem Klang entfiel, da sie doch diese ihre Hände brauchte, um sich an den Kopf zu fassen: ist dies alles Traum oder Wirklichkeit?

In der nächsten Minute flog ihr das Vögelchen um den Hals und beschwor seine liebe Alte, es immer, immer lieb zu behalten, – als ob es anders möglich wäre! – und ihm sein großes, schönes Glück zu gönnen, – als wenn sich ein anderer annähernd so darüber freuen könnte! – und Gott zu danken dafür, daß er das Vögelchen mit „ihm“ zusammengeführt. Agathe erfuhr nun auch durch Thekla, wer „er“ sei, und konnte gar nicht recht aus Herzensgrund mitjubeln, nur immer weinen und weinen und Versuche machen, ihr Herzenskind zu segnen … aber es verlangte auch niemand mehr von ihr! Endlich legten sich die hohen Wogen ein wenig, und die Alte gedachte des Mittagsmahles, das in der Küche ohne ihre Aufsicht sicher alle Zustände des Verbratens und Ueberkochens durchmachte – sie hob den Metallkrug von der Erde auf, stutzte, mit vorwurfsvollem Kopfschütteln, das beschädigte Bouquet zurecht und stellte es hinein, holte dann den Rosenstrauß und die beiden Briefe herbei, alles ganz stumm, setzte ihrem sehr erstaunt dreinschauenden Liebling das alles so zu sagen vor die Nase und ging, sich die Augen trocknend, zur Thür hinaus.

„Thea!“ sagte Annie nach einer längeren Pause und wies mit dem Finger auf Agathens festliche Veranstaltungen. „Thea, was bedeutet alles dies?“

„In den Briefen wird es wohl stehen!“ entgegnete Thekla trocken. „Vermuthlich sind’s zwei Heirathsanträge für Dich!“

„Ach!“ machte Annie erschrocken und sah ihre Schwester so rathlos an, als sei diese verantwortlich dafür. „Thea, sag’ mir das eine: hab’ ich die durch mein Benehmen hervorgerufen?“

„Weißt Du denn schon, von wem sie kommen?“

„Ich glaub’ es zu wissen, ich ahne es! Das da,“ mit einer Kopfbewegung nach dem Metallkrug mit seinem Schmuck, „das verführerisch schöne Mühlrad kommt natürlich von dem Rittmeister und macht mir weiter keine Schmerzen. Meine kluge Thea schreibt ihm ein höfliches bedauerndes Briefchen und giebt ihm in meinem Namen für seine wundervollen Blumen einen Korb – und fertig! Aber – aber der andere – das Rosenbouquet, Thea, wenn es von Conventius wäre!“

„Das wird es wohl sein, Kleine!“

„Siehst Du, wär’ ich nicht so über die Maßen glücklich … dies könnt’ mich recht unglücklich machen! Ich hab’ ihn lieb, wirklich von Herzen lieb; wie es so rasch gekommen ist, weiß ich selbst nicht zu sagen, aber ich könnte meine Hand vertrauend in die seine legen, wenn er sagen würde: komm’ mit! und, ohne zu fragen, mit ihm gehen bis ans Ende der Welt! Hätte ich Karl nicht kennengelernt, – Karl heißt er, Thea, weißt Du das eigentlich schon? – kein anderer als Conventius wäre mein Mann geworden, so sehr gut bin ich ihm! Aber nun! Wie der stille, friedvolle, schöne Mond kommt er mir vor, und Karl, ach, das ist das Licht, der Glanz, die Sonne!“

Wieder kamen ihr die Thränen in die Augen, als sie Thekla von neuem heftig umarmte.

„Und Du bist überzeugt, Vögelchen, er, Dein Karl, meine ich, wird es verstehen, Dich recht glücklich zu machen?“

„Er mich? Darüber hab’ ich noch gar nicht nachgedacht! Die Hauptsache ist: ich will ihn glücklich machen, mein ganzes Leben will ich dransetzen, und ich kann es auch, das darfst Du mir glauben! Er hat es mir selbst gesagt, und ich hab’ es auch recht gut gemerkt: in mir, in meiner Persönlichkeit, meinem ganzen Wesen liegt die Macht, ihn jung und froh und heiter zu stimmen, alles Trübe und Schmerzliche von ihm abzustreifen und seinem Herzen wohlzuthun, wenn ich nur eben da bin, wenn ich nur rede und lache oder auch schweige, mich ganz so gebe, wie mir zu Muth ist! Und wenn ich das vermag, einen großen, edlen, guten Menschen durch mein bloßes Dasein glücklich zu machen, Thea, ist denn das nicht für mich Glück genug?“

Thekla strich mit der Hand leicht über die wunderschönen Augen, die im reinsten Licht selbstloser Freude leuchteten, dann, nach einer Pause, fragte sie:

„Du weißt es nicht, was ihn oft so trüb’ und schmerzlich empfinden läßt?“

„Bis jetzt hat er mir’s noch nicht gesagt, und wer weiß, ob er es jemals thut. Mag er das halten wie er will, ich werde ihn nie danach fragen!“

„Ich fürchte nur, Liebling, Du wirst ihn arg verwöhnen! Unbedingte Fügsamkeit vertragen die Männer nicht!“

„Ach, aber Thea! Ich will doch kein Studium aus ihm machen, mir dies und das mit dem Verstand zurechtklügeln und für diesen und jenen Fall allerlei Vorsätze fassen! Wie kann man denn das, wenn man mit dem Herzen liebt?“

„Nun, in Gottes Namen denn! Was weiß auch schließlich eine alte, vertrocknete Jungfernseele wie die meine, die nur einmal im Leben ein einseitiges Gefühl genährt hat, von Leidenschaft und glücklicher Liebe? Aber, Vögelchen, es hilft uns alles nichts, wir müssen jetzt wirklich diese Briefe lesen, denn wenn ich sie doch als Dein Geheimsekretär in Korbangelegenheiten beantworten soll …“

„Ach Gott, Thea, mir thut es so furchtbar leid um Conventius! Nicht, daß ich von mir eine so überschwenglich hohe Meinung hätte, aber wenn er mich lieb hat, wird er auch sehr unglücklich sein!“

„Er wird es hoffentlich überleben, Kleine! Aber recht hast Du doch: es wird ihm nahe gehen!“

(Fortsetzung folgt.)




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