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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

mahnen sollte, daß er die Leidenschaft nicht über sich Herr werden lasse. Darauf wird Thilo dieser Ring und fast zugleich mit ihm ein werthvoller Krystallspiegel entwendet. Außer sich über den Verlust dieser Kleinode hält er über seine Dienerschaft öffentlich Gericht und fordert den Schuldigen auf, sich zu nennen. Da ertönt mitten in die Versammlung hinein der Ausruf: „Hans! Dieb!“ Erschreckt blickt alles umher, woher die Stimme komme, und man entdeckt, daß sie dem Schnabel eines zum Sprechen abgerichteten Raben, Markus, entschlüpft war. Der Bischof hält das für eine Stimme von oben und beschuldigt seinen alten Kammerdiener Johannes der Verübung des Diebstahls. Da dieser leugnet, wird der alte Mann, der bisher seinem Herrn in unentwegter Treue gedient hat, auf die Folter gespannt. Ihre Qualen entlocken ihm ein Geständniß. Freilich kann er nicht sagen, wo die Kleinodien sich befinden. Das erbittert den Bischof noch mehr; der mahnende Ring des Freundes ist ja nicht mehr an seiner Hand. Der treue Diener wird hingerichtet, obgleich er in der Todesstunde sein Geständniß widerruft.

Jahre ziehen über das Grab des Gerichteten hin. Da geschah’s, daß, als der Bischof zur Kirmeßfeier mit seinen Gästen beim fröhlichen Mahle saß, ein wildes Unwetter heraufzog, welches das Dach des alten Schloßthurms abdeckte. Auf diesem Dache hatte der Rabe Markus sein Nest. Als die Trümmer desselben mit dem Dache zur Erde fielen, da fand man in dem Neste die so lang vermißten Kleinode. Zu spät erhob der Ring wieder seine mahnende Stimme. Der Bischof verlor für immer den Frieden seiner Seele. Er nahm ein neues Wappen an, einen Raben mit einem Ring im Schnabel und quer darüber zwei den Himmel anstehende ineinander verschlungene Arme. Den Raben hatte ein tückischer Diener zu dem Ausrufe abgerichtet, damit er in die Stelle des alten Johannes einrücken könnte.

Die in das Gerichtsverfahren des Mittelalters eingeführte Folter, welche dem einer That verdächtigen Angeschuldigten ein Geständniß abpressen sollte, legte den Grund zu einer großen Menge falscher richterlicher Urtheile. Sie war es namentlich, die zur Zeit der Hexenprozesse Tausende von Unschuldigen – Frauen wie Männer – auf den Scheiterhaufen brachte. Die geistige Urheberin jener grauenhaften Justizmorde, und sie waren wirklich solche, war die Geistlichkeit, die katholische so gut wie die protestantische, der Richterstand war dabei nur der Vollstrecker ihrer wahnwitzigen Thesen. Die Rechtswissenschaft war damals so verknöchert wie alle andern Wissenschaften, und der rechtsgelehrte Richter richtete nicht nach dem Geiste, sondern nach dem Buchstaben des Gesetzes, ob dabei auch die Vernunft, um mit Mephisto zu sprechen, „zum Unsinn wurde“, danach hatte er ja nicht zu fragen. Die Kirche hatte den Hexenglauben und das Bündniß mit dem Teufel als eine Wahrheit hingestellt und die Gerichtsordnungen schrieben dem Richter die Regeln des dabei einzuhaltenden peinlichen Verfahrens vor. Sein Gewissen war sonach gedeckt. Die Sache hatte auch für ihn ihre gefährliche Seite. Legte er den Maßstab der Kritik an den bestehenden Wahnglauben, so kam er leicht in den Verdacht, daß er selbst dem höllischen Bündnisse zugeschworen habe. Es geschah in der That öfters, daß aus dem Richter hinterher ein Angeklagter wurde. Nur die berufsmäßigen Vertheidiger der armen Opfer hatten hier und da den Muth, die Trugschlüsse der Richter oft sogar mit den Waffen der Ironie aufzudecken und zu bekämpfen – freilich ohne Erfolg.

Wie kam es aber, daß viele jener unschuldig Verklagten sogar Geständnisse ihrer Schuld ablegten und bis ins einzelne den ihnen schuldgegebenen Verkehr mit dem Satan als wahr bestätigten? Es erklärt sich wohl nur daraus, daß Kerkerhaft und Folter das Nervensystem der Angeschuldigten, namentlich der Frauen, so überreizt und zerrüttet hatten, daß es der Nährboden für allerhand Wahnvorstellungen wurde. Auch war bei dem Mangel einer Schulbildung im Volke die Pflege des Verstandes eine zu geringe, um dem freien Schalten der Phantasie genügenden Einhalt zu thun. So kam es, daß man schließlich an sein eigenes Hexenthum glaubte.

Da über Hexenprozesse bereits auch in diesem Blatte viel geschrieben wurde, unterlassen wir es, besondere Beispiele aus diesen trübsten Zeiten der Rechtsgeschichte zu erwähnen.

Mit der Abschaffung der körperlichen Folter war indeß der Irrthum der Rechtsprechung noch nicht beseitigt. An ihre Stelle trat als die Frucht des geheimen Untersuchungsverfahrens die geistige Folter, welche die Richter anwandten, um ein Geständniß zu erzielen. Es wurde für den untersuchenden Richter oft eine Sache des Ehrgeizes, ein Geständniß von dem „Inculpaten“ herbeizuführen, und da das ganze Verfahren hinter geschlossenen Thüren vor sich ging, entzogen sich die hierzu angewandten Mittel der Kontrolle. Der Pflichteifer wurde dabei oft zu einem Uebereifer.

Dafür diene nachstehendes Beispiel:

Am 2. Mai 1815 kehrte in den Heerwagenschen Gasthof in Kassel ein junger Kaufmann namens Hau ein. Die Tochter des Wirths, welcher der Fremde durch sein munteres zutrauliches Wesen sich bemerklich machte, fand ihn unter anderm im Besitze einer Damenuhr, die ihr durch ihre Feinheit besonders auffiel. Der Fremde bezeichnete sie als ein Reisegeschenk für seine Frau. Da er abends noch zu Fuß nach Haina weiter reisen wollte, bat er, ihm zur Tragung seines Ränzchens einen Boten zu besorgen. Als dies zwei im Gasthof eingekehrte und in der Wirthsstube anwesende Reisende hörten, erklärten sie, daß sie ebenfalls nach Haina gehen wollten, er brauche keinen Boten, sie wollten abwechselnd sein Ränzchen tragen. Hau ging auf den Vorschlag der beiden noch jungen Burschen ein, und alle drei machten sich des Abends auf den Weg. Derselbe führte theilweise durch einen Wald. Am andern Morgen fanden Geflügelhändler, welche nach Kassel zu Markte fuhren, in diesem Walde die Leiche eines Gemordeten, und es wurde in demselben bald der Kaufmann erkannt, der tags zuvor in dem Heerwagenschen Gasthofe gewesen war. Der Ranzen sammt Inhalt war verschwunden.

Drei Tage nach dem Vorfalle kam ein Einwohner namens Gräbe aus Haina zu einem Hutmacher nach Melsungen und wollte einen Hut auffärben lassen, von dem er behauptete, er habe ihn im Hainaer Walde gefunden. Der Hutmacher, dem schon die in der Gegend nicht gebräuchliche Hutform ausgefallen war, bemerkte, daß in dem Hutfutter sich Blutspuren befanden. Er hatte bereits von dem Raubmorde im Hainaer Walde gehört und lieferte den Hut beim Gerichte ab.

Für den die Untersuchung führenden Richter stand es nun fest, daß kein anderer als Gräbe, der ohnedies nicht gut beleumdet war, den Mord begangen hatte. Er setzte daher alles dran, ihn zum Geständniß zu bringen, und seine Bemühungen waren auch von Erfolg gekrönt. Da aber Gräbe den noch jungen kräftigen Hau füglich nicht allein gemordet haben konnte, so drang der Richter in ihn, seine Mordgenossen zu nennen. Gräbe benannte hierauf als solche drei Melsunger Einwohner, darunter auch einen gewissen Kothe, einen wohlhabenden und angesehenen Dielenhändler. Alle drei wurden eingezogen. Die Familie des letzteren bot aber alles auf, ihn zu retten. Ihren Bemühungen gelang es zunächst, die beiden Burschen festzustellen, welche den Gemordeten nach Haina begleitet hatten. Da kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Eines Tages sprach im Heerwagenschen Gasthofe ein Fremder ein, welcher dem Fräulein Heerwagen bekannt vorkam. Als sie nach dem Essen dessen Zimmer betrat, fand sie auf dem Tische eine feine Uhr liegen, welche sie sofort als diejenige erkannte, welche der Kaufmann Hau bei sich geführt und die ihr besonderes Interesse geweckt hatte. Es gelang ihr auch, aus dem Fremdenbuche festzustellen, daß der Fremde, Jacob Roßbach aus Sterbfritz, an jenem verhängnißvollen Tage im Gasthofe gewohnt hatte. Kein Zweifel, er war der richtige Mörder. Er legte Angesichts des vernichtenden Beweisstücks der Uhr bald ein offenes Geständniß ab. Sein Genosse war ein gewisser Georg Müller. Sie waren die Begleiter des Gemordeten auf dem Wege nach Haina. Müller gelang es, zu entkommen, Roßbach wurde hingerichtet. Die falschen Mitschuldigen hatten fast ein Jahr lang im Gefängniß gesessen. Ohne das Dazwischenkommen der verrätherischen Uhr hätten sie vielleicht dasselbe Schicksal gehabt wie jetzt der richtige Mörder.

Trauriger lief ein ähnlicher Fall aus, der noch vor jener Zeit an sächsischen Gerichtshöfen sich abspielte. Hier kam die rettende Aufklärung zu spät.

Der Gutsfröner Paul Rothe in Pockau lebte mit seiner Ehefrau, welche ebenfalls auf dem Gute Handarbeitsdienste verrichtete, in nicht gerade glücklicher, aber doch nicht unfriedlicher Ehe. An einem Vormittag bringt die letztere zum Frühstück Buttermilch noch Hause und verzehrt sie mit der im Hause wohnenden Tagelöhnerin Frau Werner. Einen verbliebenen Rest stellt sie in den Schrank, um ihn zum Mittag zu essen. Dies geschieht.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_750.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)