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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Septembertagen dieses Jahres die fünfhundertjährige Jubelfeier des Pfeifertages mit ganz besonderem Glanze, nicht bloß mit den üblichen Volksbelustigungen, mit feierlichem Umzug durch die Straßen, Musik, Tanz, Spiel und Feuerwerk, sondern auch mit wiederholten Aufführungen des historischen Festspiels „Die Pfeiferbrüder“.

Der Herrengarten, welcher inzwischen Eigenthum der Stadt geworden ist, bildete wie ehemals den Schauplatz für den Hauptakt der Festlichkeiten. Dort befand sich die kunstlose Bühne, ein einfaches Zelttuch umspannte den Zuschauerraum. Das Stück selbst, dessen Rollen durchweg von Rappoltsweiler Bürgern übernommen waren, spielt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Wilhelm von Rappoltstein wohnt dem Pfeifergerichte bei, das sein Pfeiferkönig Loder abhält. Bewerber um die Aufnahme in die Bruderschaft treten auf und legen in munteren Liedern Proben ihrer Kunst ab. Unter den Sängern befindet sich aber auch ein verkappter Graf von Urslingen, ein Verwandter der Rappoltsteiner, der als Lautenschläger verkleidet das Land durchzieht, um nach einem vor Jahren von Zigeunern geraubten Bruder zu forschen. Nun hat auf dem Festplatze ein Wunderdoktor, Manubrius, sein Zelt ausgeschlagen; Elias, sein Pflegesohn und Gehilfe, weigert sich, länger als Lockvogel für die zu prellenden Bauern sich brauchen zu lassen, und als Mitglied der Pfeiferbruderschaft klagt er vor dem Pfeifergerichte wider seinen Pflegevater. Zur Rache beschuldigt ihn dieser der unehelichen Geburt – was ihn aus der Bruderschaft ausgeschlossen hätte – und des Diebstahls einer goldenen Denkmünze, die Elias am Halse trug. Aber eben diese Denkmünze, verbunden mit den Angaben eines beim Hühnerdiebstahl aufgegriffenen Zigeuners, bringt die Wahrheit an den Tag. Der Urslinger erkennt – es ist das die Scene, welche unser Bild Seite 752 darstellt – in der Münze ein Geschenk seiner Mutter, und der Zigeuner bestätigt, daß er vor fünfzehn Jahren dem Manubrius ein gestohlen Kind verkauft habe,



welches Elias glich. So findet der Bruder den Bruder wieder, den Bösewicht Manubrius ereilt seine Strafe und alles endigt in Friede und Freude. –

Ehe wir aber den Pfeifertag verlassen, müssen wir noch einmal zu den Schicksalen der Rappoltsteiner Herrschaft zurückkehren. Der letzte Sproß des mächtigen Geschlechtes war Johann Jakob von Rappoltstein, der im Jahre 1673 ohne männliche Nachkommen starb. Um sein Erbe erhub sich ein heißer Streit, aus dem durch Entscheid des französischen Ludwig XIV. schließlich Pfalzgraf Christian II. von Birkenfeld-Zweibrücken, der Gemahl einer Tochter von Johann Jakob, als Sieger hervorging. Abwechselnd residirten nun die Pfalzgrafen in Birkenfeld, Bischweiler und im Stadtschlosse der Rappoltsteiner. Dort wurde 1756 auch der berühmteste unter den Nachfolgern Christians geboren, der „Prinz Max“, der als Herr von Rappoltstein und Oberst eines französischen Regiments in Straßburg lebte. Da kam die Revolution und fegte auch den letzten Rest von Selbständigkeit der Herrschaft Rappoltstein hinweg. Prinz Max floh über den Rhein, und seine Besitzungen wurden als Nationalgut verkauft. Aber der Prinz war zu höherem vorbehalten.

Im Jahre 1798 starb der Kurfürst Karl Theodor von Bayern, und der Erbe seiner sämmtlichen pfalzbayerischen Länder wurde Max, derselbe, den Napoleon I. im Jahre 1806 zum König von Bayern erhob. Und es ist, als ob die kunstsinnige Ader der alten Rappoltsteiner fortgelebt hätte in dem Geschlecht; Ludwig I. wurde der Gründer der Kunststadt München, Ludwig II. der eifrige Gönner und Förderer des Theaters und der Musik. Wer weiß nicht, wie nahe Richard Wagner diesem Fürsten stand! Wäre der große Meister und Schöpfer des „Parsifal“ und des „Rings des Nibelungen“ vierhundert Jahre früher zur Welt gekommen, man hätte ihn am Ende als ernannten Pfeiferkönig sitzen sehen können und inmitten seiner Getreuen Gericht halten am Pfeifertag.




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Die Ostjaken.

Von Alfred Edmund Brehm.

      (Schluß.)

Die Sonne neigt sich; mit neuem reichen Segen kommen die Männer, Jünglinge und Knaben angefahren. Rohe Fische haben sie gegessen nach Bedarf; jetzt verlangt sie’s nach warmen Speisen. Ein großer dampfender Kessel mit gekochten Fischen, köstlichen Renken, der Lachse nächsten Verwandten, wird ihnen vorgesetzt; mit Fischfett getränktes Brot bildet die Zukost, mit dem kalten Wasser auf das Feuer gesetzter, längere Zeit gekochter Ziegelthee (in Form von Ziegeln zusammengepreßte Theeblätter) beschließt das Mahl. Wenn aber „die Begier nach Speise und Trank gestillt ist,“ verlangt auch der Geist seine Nahrung, und deshalb ist der Künstler willkommen, welcher jetzt, die von ihm selbst gearbeitete Harfe oder Zither herbeibringt, sei es, um eines der ureigenthümlichen, unbeschreiblichen Lieder zu spielen, sei es, um die Bewegungen der in absonderlichem Tanze sich hebenden und senkenden, einen Arm um den andern werfenden, streckenden und wieder an den Leib ziehenden Frauen zu begleiten. Bis das Mückenzelt bereitet worden ist, währt solche Fröhlichkeit; dann verschwindet auch hier jung und alt unter dessen Falten.

Der Sommer ist vorüber, auf den kurzen Herbst folgt der Winter. Mit dem Zuge der Vögel beginnt neue Thätigkeit, mit dem Winter neues, nein, das volle wahre Leben der Ostjaken. Den abziehenden gefiederten Sommergästen stellt man das verrätherische Netz; in künstlich hergestellten Lichtungen des dichten Weidenwaldes der Ufer wird es auf den erkundeten Flugstraßen zwischen zwei größeren Wasserflächen ausgespannt, ein großes, leichtbewegliches Fangnetz, in welches nicht allein Enten, sondern auch Gänse, Schwäne, Kraniche fliegen, willkommene Beute ihres Fleisches und ihrer Federn halber. Gleichzeitig mit dem Vogelsteller zieht auch der Wanderhirt aus zur Jagd und stellt in der Tundra seine Fallen auf Roth- und Eisfuchs, auf Wölfe und Füchse, Zobel und Hermeline, Vielfraße und Eichhörnchen. Ist Schnee gefallen, so schnallt sich der geübtere Jäger die Schneeschuhe an die Füße, die Schneebrille vor die Augen und begiebt sich mit den flinken Hunden in den Wald, in die Tundra, um den Bären im Lager aufzusuchen, der Fährte des Luchses zu folgen, dem jetzt behinderten Elch und wilden Renthiere auf der wohl ihn, nicht aber jene tragenden Schneedecke nachzujagen. Hat er einen Bären erlegt, so zieht er frohlockend ein in das Dorf, in den Tschum, Nachbarn und Freunde umstehen ihn jubelnd, bis auch ihn die allgemeine Freude ansteckt, er sich still davon schleicht, vermummt und verlarvt zurückkehrt und sodann den Bärentanz beginnt – wundersame Bewegungen, welche die des Bären in allen Lagen seines Lebens wiedergeben und versinnlichen sollen.

Reiche Beute an Fellen birgt bald die Hütte des Fischers, noch reichere der Tschum des Hirten, da dieser auch viele Decken der im Laufe des Jahres von ihm geschlachteten Renthiere aufgespeichert hat. Jetzt gilt es, sie loszuschlagen. Ueberall rüstet man sich, auf den Jahrmarkt zu ziehen, welcher alljährlich in der zweiten Hälfte des Januars in Obdorsk, dem letzten russischen Dorfe und wichtigsten Handelsplatze am unteren Ob, abgehalten und von Einheimischen und Fremden besucht wird, während dessen der russische Regierungsbeamte die Steuern erhebt von Ostjaken und Samojeden, Streitigkeiten schlichtet und Gericht hält. In langen Reihen erscheinen, von allen Seiten herbeikommend, die renthierbespannten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_754.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2022)