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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Schwer athmend sprang Reginald empor; er wollte das nicht denken, nicht sehen, vor allem den dumpfen, lähmenden Druck nicht mehr haben, der seiner unwürdig war, der sein Herz vergiftete! Ihr Herz hatte ihn nicht gewahlt, es sprach nichts darin für ihn – – nun, so hatte er das zu ertragen und seinen Weg allein weiterzugehen wie bisher! –

Wie bisher … und doch so anders! Zeige dem Menschenherzen, das bis dahin nur von Arbeit, Pflichterfüllung und Freundschaft wußte, das Glück und die Liebe, wecke das Verlangen, den quälenden Durst danach in ihm, – – – laß’ ihm die entzückende Fata Morgana dicht, dicht vor den sehnsüchtigen Augen gaukeln – und dann entzieh’ sie ihm plötzlich und sprich: „Was hast Du denn gehabt? was besessen? es ist ja alles wie zuvor“ – wird es dir glauben und wieder ruhig schlagen wie ehemals?




12.

Fritz von Conventius stieg rasselnd, klirrend, säbelschleifend die drei Stufen zu seiner Flurthüre hinauf und schloß sie mit einem Drücker auf; er kam von der Parade, hatte gestern und heute allerlei erlebt – war sehr nachdenklich – sehr!

Zuerst klirrte der junge Kriegsgott vor den Spiegel in seinem Arbeitszimmer – halb mannshoch, aber schlechtes Glas! – und unterzog sich einer eingehenden Musterung. Hm! Ja! Hm! Warum nicht? Trotz des schlechten Glases nicht ohne – gar nicht so übel! Hm! Ja! –

Aus dem Nebenzimmer eilte Julchen mit wilden Sätzen herbei und sprang freudewinselnd an ihrem Gebieter in die Höhe.

„Na, schau gut, Alte! Kusch Dich! Was hast Du Dich denn so unbändig zu benehmen, dummes Frauenzimmer? Thust ja gerade, als ging’ es heute auf Wildenten und Schnepfen los! Aber hat sich was! ’s ist doch, als wenn die Kreatur wüßte … ja, ja, Julietta, wir sind nicht von Stroh, – haben eine feine Spürnase – leben nicht umsonst Jahr und Tag im vertraulichen Verkehr mit einem gebildeten Ulanenlieutenant! Aber noch sind wir nicht so weit, sag’ ich Dir! Thee trinken und abwarten! Was ist das für ein neugieriges Gesicht! Abwarten, heißt es!“

Der Lieutenant gab Julchen, die erwartungsvoll und schweifwedelnd zu ihm aufschaute, einen Nasenstüber, was sie mit unwilligem Rümpfen hinnahm, und begann, sich seiner Uniformpracht zu entledigen.

„Dieser Esel von einem Burschen ist wieder ’mal fort! Irgend einer Schürze nach, natürlich! Merk’ es Dir, Julchen, alles Unglück, was auf Erden geschieht, richten die Weiber an. Prosit!“

Er führte sich ein Glas Portwein zu Gemüth, schlüpfte in seine Hausjoppe und warf sich, die bestiefelten und bespornten Beine weit von sich streckend, auf eine niedrige gepolsterte Ruhebank. Julchen hatte ein Stück gekochten Schinken, das Fritz ihr zuwarf, geschickt mit dem Maul aufgefangen, hielt es jetzt zwischen den Vorderpfoten und verzehrte es in beschaulichem Behagen.

Der Ulanenlieutenant lag eine Weile regungslos, dann tastete er mit der Hand, ohne sich aufzurichten, auf einem kleinen, kettenbehangenen Metalltischchen, das neben der Polsterbank stand, umher, griff sich eine Cigarette und Streichhölzchen, und nun, zwischen den blauen Rauchringeln zur Zimmerdecke emporstarrend, konnte er mit dem richtigen Nachdenken beginnen.

Zuerst dachte Fritz an sich selbst – wer will ihm das verargen? Er hatte vor einer kleinen halben Stunde, frisch von der Parade kommend, Hedwig Rainer mit ein paar Freundinnen auf der Kommandantenbrücke getroffen, und wie er ehrerbietig und erfreut zwei Finger an den Helm legte, konnte er nicht umhin, wahrzunehmen, daß die niedliche Blonde tief erröthete und ihn sehr – sehr wohlgefällig musterte; eigentlich war’s mehr gewesen als Wohlgefallen, was aus ihren Augen zu ihm gesprochen hatte! – Und nun lag Fritz hier auf dieser seiner Ruhebank und überlegte rauchend, während er zugleich überlegend rauchte. Einen Korb würde er sich hier nicht holen, das stand fest, und das nöthige Kleingeld fehlte auch nicht – soweit war alles in Ordnung! Seine eigenen Angelegenheiten waren arrangirt, dank dem Prachtstück von einem Vetter, der ihm vor vierzehn Tagen „so nebenher“ eine alte, sehr drückende Schuld von viertausend Mark bezahlt hatte ohne ein Wort der Ermahnung oder des geistlichen Zuspruchs, nur mit einem kleinen, verlegenen Lachen und einem treuherzigen „aber Fritz!“ alle Dankesäußerungen abschneidend. Jetzt blieben nur noch ein paar ganz unbedeutende Kleinigkeiten, nicht der Rede werth – o ja, der Ulanenlieutenant von Conventius war ein braver Kerl! – War er denn sehr verliebt in Hedwig Rainer? So sehr eigentlich nicht – aber doch ein wenig! Wenn ihm nur nicht ein anderes, sehr viel reizenderes Gesicht so oft und deutlich vorgeschwebt hätte! Teufel noch eins! Er wußte es ja genau, die Trauben hingen viel zu hoch für ihn. wuchsen überhaupt gar nicht für ihn … daß er einen solchen Kennerblick für weibliche Schönheit, ein so verwünscht treues Gedächtniß für jeden Ausdruck, jedes Lächeln haben mußte! Ach – dieses Lächeln – – weg damit! Andere Mädchen konnten auch lächeln, sehr freundlich und ermuthigend sogar! Nun also! – Es bleibt dabei! Hedwig Rainer!

Er warf ganz aufgeregt dem schlafenden Julchen den glimmenden Cigarrenrest an den Kopf und nahm frischen Vorrath! In den nächsten Tagen also – „im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen“, – da könnte man sich auf die Brautfahrt machen! Der selige Papa Rainer hatte seinem Töchterchen ein hübsches Vermögen erworben – sehr lobenswerth von dem guten Herrn … freilich, eine Schwiegermutter war vorhanden, aber sie hatte ein freundliches, braves Gesicht und schwärmte augenscheinlich fürs Militär; die würde nicht beißen!

So – das wäre abgemacht! Aber nun Reginald – hatte er eigentlich Aussichten bei Annie Gerold? Seit einigen Tagen hatte Fritz den Vetter nicht gesprochen, sie hatten beide viel zu thun gehabt, das Kind Gottes und das Kind der Welt, aber gestern, als der Ulan mit dem Kameraden Gründlich aus der Hausthür getreten war, da waren sie geradeswegs auf den heimkehrenden Reginald gestoßen; sie hatten nur einen kurzen Gruß getauscht, aber das edle, schöne Gesicht war dem wachsamen Auge des Vetters eigenthümlich ernst, fast traurig erschienen! Das konnte doch nicht … undenkbar! Wenn das geschah, wenn Annie Gerold dies Juwel von einem Manne nicht nahm und Gott noch dazu auf den Knieen dankte, dann, – ja, dann konnte ihre Schönheit noch so groß, ihr Lächeln noch so bezaubernd sein … Fritz von Conventius würde mit ihr fertig sein!

Und was war mit Parsifal, dem „reinen Thor“, geschehen? Er hatte dem Kameraden Gründlich sehr triumphirend erzählt, er laufe jetzt Sturm auf die Festung, was entschieden die beste Taktik sei – er habe schon einen Besuch „dort“ abgestattet und werde jetzt mit einem Bouquet nachhelfen. Nun, heute bei der Parade hatte der Festungsstürmer so schlecht gelaunt ausgesehen, daß Fritz, statt jeder anderweitigen Anspielung, nur gefragt hatte, ob ihm die Petersilie bei dem schönen Maiwetter gänzlich verhagelt worden sei. Thor hatte etwas von „faulen Witzen“ gebrummt und seinen Rapphengst so schlecht behandelt, daß dieser es übelnahm und dem Reiter gehörig zu schaffen machte. „Wenn der Ulan schon an einem unschuldigen Stück Pferdefleisch seine Wuth ausläßt, dann ist’s schlimm um ihn bestellt,“ folgerte Fritz, „ich nehme an, daß die schöne Annie ihn mit Grazie hat ablaufen lassen; verdenk’ ihr das, wer kann! Eine solche Gazelle – und dies Mammuth!“

Soweit war der junge Mann in seinen Betrachtungen gekommen – und sie drehten sich alle um Liebe und Heirath! – als die Thür sich vorsichtig aufthat und das geröthete Gesicht des Burschen sichtbar wurde, der einen sehr schlechten Empfang bei seinem Gebieter voraussetzte, daher auch nicht näher kam, sondern mit einem sehr langen Arm ein großes, weißes Couvert auf das Metalltischchen schob.

„Was soll das?“ rief der Lieutenant plötzlich überlaut, als sich die Thür eben wieder vorsichtig schließen wollte. „Hierher! Rapport!“

Der Gerufene kam mit sehr kleinen Schritten heran und hielt sich in der Nähe der Thür.

„Dies hier ist eben für den Herrn Lieutenant angekommen!“

„So? Und wann bist Du für den Herrn Lieutenant angekommen? Wie?“

„Ich – ich – der Herr Lieutenant werden entschuldigen –“

„Nichts wird entschuldigt! Wo hast Du gesteckt?“

„Der Herr Lieutenant werden entschuldigen – die Emilie von drüben ist meine Braut, – und heute ist drüben Besuch, und da half ich ihr bloß decken.“

„Also die Emilie von drüben! Nette Bescherung! Wie sieht die Emilie von drüben aus?“

„Herr Lieutenant werden entschuldigen - sie sieht sehr gut aus!“

„Wollte ich mir auch ausgebeten haben! – Jung?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_776.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)