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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der Magenkrampf „schmisse sie bis an die Decke!“ – was ja jedenfalls als eine achtbare Leistung anzusehen war.

„Nun, Amalie,“ sagte die Hausfrau gefaßt, „da müssen Sie eben zu Bett gehen – wir werden schon sehen, wie wir fertig werden!“

Nach einem kurzen, edlen Wettstreit ließ sich denn Amalie bewegen, sich selbst für invalid zu erklären, und wankte unter der heiteren Versicherung, daß sie „am liebsten so schreien möchte, daß man es Häuser weit hörte“, in ihr etwas abgelegenes Gemach, wo sie dieser Neigung ohne jegliche Störung von seiten der Außenwelt obliegen konnte und wohin sie den ewig warmstehenden ungeheuren Topf voll Kaffee mitnahm, der zu jeder Köchin so untrennbar gehört wie die Eule zur Minerva.

Die Zurückbleibenden, Mutter und Tochter, sahen sich verstört und rathlos an.

Natürlich muß die Amalie heut krank werden,“ nahm die Mutter endlich mit einiger Bitterkeit das Wort, „aber Liesbeth, nun hilft es nichts – Du mußt nun doch von der Litteraturstunde zu Haus bleiben und mir helfen!“

„Hurrah!“ rief Liesbeth lustig und warf das Staubtuch, mit dem sie eben beschäftigt gewesen war, in die Luft, „was geht mich die Litteraturstunde an? Du weißt doch, Mutter, daß ich zehnmal lieber hier helfe, als in die dummen Stunden gehe, wo ich doch nur schlafe – wir haben noch dazu heut den alten Sebastian Brant mit seinem Narrenschiff – auf den habe ich immer einen Haß gehabt! Darf ich mich richtig zum Reinmachen anziehen? Bitte, Mama!“

„Kindskopf!“ sagte die Mutter lachend und strich ihr über die Wange, „mach Dir die Arbeit nur zum Spiel, obwohl das mit bald sechzehn Jahren auch aufhören könnte!“

Als Liesbeth nach wenig Minuten wieder ins Zimmer trat, war sie ihrer Aufgabe gemäß verwandelt. Die Kleiderärmel, bis über die Ellbogen aufgestreift, ließen zwei zierliche Arme frei, eine mächtige, dunkelblaue Latzschürze verbarg das Kleid vollständig und ein türkisch buntes Tuch, das wie bei den böhmischen Obstfrauen um den Kopf geknotet war, stand allerliebst zu dem frischen, feinen Gesichtchen.

Die Mutter betrachtete ihr reizendes Töchterchen mit heimlichem Wohlgefallen.

„So ist es ja ganz ordentlich,“ sagte sie kühl, „und nun werde ich einmal sehen, ob Du schon vernünftig bist! Ich muß draußen in der Küche und Speisekammer nachsehen und übertrage Dir, diese Stube jetzt ganz fertig zu machen. Das Gröbste ist ja geschehen, jetzt nimm Dir alle Nippsachen noch einmal vor, wasche sie gründlich ab und stelle sie wieder an ihren Platz. Die guten Krüge konnte ich der ungeschickten Person draußen doch nicht in die Hand geben! Wie das heute werden soll, weiß ich nicht!“

(Schluß folgt.)




Die Rappsche Kommunistenrepublik.

Von Schmidt-Weißenfels.

Im Jahre 1785 trat in seiner württembergischen Heimath, hauptsächlich im Oberamt Maulbronn, ein junger verheiratheter Weber namens Georg Rapp, gebürtig aus dem kleinen Iptingen, als ein „Erweckter“ auf, welcher von der Verderbniß der herrschenden Kirche, von Buße im rechten Bibelgeist predigte und auch das nahe Kommen des Heilandes verkündete, der erscheinen werde, um sein tausendjähriges Reich der wahren Glückseligkeit für die rechten Christen aufzurichten. Rapp fand sogleich andachtsvolle Zuhörerschaft. In Nachwirkung der ungeheuerlichen Ereignisse der französischen Revolution gewann dann in den Massen des Landvolkes, zumal des württembergischen, die Empfänglichkeit für den Glauben an einen Untergang der verrotteten und vielverhaßten Zustände einen großen Boden und ein Prophet wie Rapp, der den Ruf eines unsträflichen bürgerlichen Lebenswandels und einer eindringlichen, überzeugungsvollen natürlichen Rednergabe genoß, daher einen wachsenden Anhang. Von weit und breit kam das Volk zu ihm, dem „Räpple“, wie es ihn nannte, und immer mehr schwuren auf sein Wort und seine Berechtigung als Prophet, der gesandt sei, die Menschen zu erleuchten und aus ihnen ein „Leibcorps des Heilandes“ zu bilden, würdig, den Erlöser für sein tausendjähriges Paradiesesreich auf Erden zu empfangen. Alle Maßregeln, Warnungen, Drohungen und Einsperrungen, welche die württembergische Regierung gegen die Mitglieder der erstarkenden Sekte und ihren unbeirrt das neue Evangelium predigenden Gründer aufbot, hielten die aufsteigende Fluth dieser Bewegung nicht zurück, sondern mehrten nur ihre Mächtigkeit.

Als nun Ende des Jahres 1803 die Regierung einen förmlichen Krieg gegen die Räppler verkündigte, die Männer der Sekte unter die Soldaten oder ins Zuchthaus, die Weiber in die Arbeits-, ihre Kinder in die Waisenhäuser stecken ließ, da entschloß sich Georg Rapp zum Verlassen des Sündenlandes und zur Auswanderung mit seinen Getreuen nach Nordamerika. An die siebenhundert Schwaben folgten seinem Ruf – aus der Kirchengemeinde Knittlingen allein 88 Personen – und zogen in zwei Abtheilungen 1804 ihm nach über den Ocean. Sie verehrten Rapp als ihren Erlöser aus der verteufelten Welt, als ihren Herrn und Gebieter, als den durch Gottes besondere Gnade Erleuchteten, unter dem sie in den Wäldern Amerikas das christliche Glückseligkeitsreich errichten wollten.

Am 15. Februar 1805 kam dieses „ausgezogene Leibcorps des Heilandes“ in Pennsylvanien an. Rapp, des unbedingten Gehorsams seiner Anhänger sicher, ließ sich nach einer feierlichen Bundesweihe von ihnen alles Geld und Gut ausliefern, welches sie nach Bestreitung ihrer Reisekosten noch bei sich führten; es bildete den Bundesschatz, 20 000 Dollars, deren Verwaltung er allein übernahm. Die ganze Gemeinde zusammen sollte eine große Familie bilden, die ihr Haupt in dem begnadeten Rapp habe. Jeder einzelne mußte für die Gesammtheit arbeiten; aus dem Gesammtvermögen erhielt jeder seinen Unterhalt, der zunächst nur auf das Dürftigste beschränkt war, da es sich vor allem um das Heil der Seele handelte.

Rapp kaufte 6000 Acres (2428 Hektar) Land in waldiger Wildniß Pennsylvaniens und legte daselbst das Städtchen Harmony an. Es blühte schnell empor. Aber die Vermehrung der Gesellschaft durch den Nachwuchs an Kindern ließ besorgen, daß die Kosten sich vergrößern und die Arbeitsleistungen der Frauen sich vermindern würden. So befahl Rapp denn fortan die Ehelosigkeit und suchte nach Möglichkeit auch die Ehen zu trennen, die von den mitgenommenen Württembergern schon früher geschlossen worden waren. Es bedürfe, meinte er, keiner Kinder mehr für die Auserwählten Gottes, denn das Ende der Welt sei nahe und die letzten Gerichte hätten bereits begonnen. Auch führte er eine Beichte ein, in der ein jeder gehalten war, die geheimsten Regungen seines Herzens ihm zu offenbaren, namentlich die, welche sich auf Verehelichung richteten. Heirathen galt schließlich als Sünde und Verbrechen, und die Harmoniten nahmen diese Lehre auch gläubig an.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_786.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2022)