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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Anschauungen war es nur natürlich, daß man sich in jeder kleinsten Stadt zu einer Feier rüstete, daß aber auch Berlin insbesondere seine Fackeln anzündete und Moltke seine Huldigung zu Füßen legte.

Die Fahnen der Berliner Garnison werden in die Wohnung des Generalfeldmarschalls gebracht.

Eins der großartigsten Schauspiele, die Berlin je gesehen hat, vollzog sich am Vorabend des Geburtstages in dem Fackelreigen, welcher sich, vom Kupfergraben beginnend, an dem Generalstabsgebäude vorüberzog.

Kurz nach halb acht Uhr hatten die dem endlosen Zuge voranreitenden Herolde den Zielpunkt erreicht. Die Halle des Generalstabsgebäudes war mit Pflanzen geschmückt, aus denen sich Draperien und Wappenschilder hervordrängten. Auf den Stufen stand der Feldmarschall, umgeben von seinen Angehörigen und höheren Militärs, und dankend und grüßend hob sich die Hand, als in unabsehbarer Fülle der Strom sich entfaltete.

Fast zwei Stunden währte es, bis alle vorüber waren; unbewegt verharrte der Neunzigjährige mit dem ehernen Antlitz, nur dann und wann belebten sich in dem historisch schweigsam ernsten Gesicht, bald von Rührung ergriffen, bald zum Lächeln angeregt, die Züge, wenn in den Ernst der Lage der Humor sich mischte. Und umstrahlt war seine Gestalt von dem Lichte der Tausende von Fackeln, bald düsterroth, bald in magischem Glanze des Magnesiumlichtes: ein für die Erinnerung unauslöschliches Bild! – –

In der ersten Abtheilung des Zuges waren die Berliner Hochschulen durch etwa zweitausend Mitglieder vertreten. Die Chargirten in vollem Wichs fuhren in offenen Wagen und neigten die Fahnen und Banner, sobald sie vor dem Jubilar erschienen. Und so ging’s fort. Vor der technischen Hochschule schritt die Musikkapelle des zweiten Garderegiments. Ein Halt erscholl; der Sprecher nahm das Wort, kurz, kräftig und zündend, und kaum hatte er geendigt, da begleitete das jubelnde Hoch ein Knattern, Brennen und Prasseln; Feuergarben und Leuchtkugeln stiegen vom Königsplatz in die Luft und gleichzeitig ward dem Feldmarschall von einer Bürgerdeputation ein silberner Kranz in die Hand gelegt.

Moltkes Antwort erfolgte – durch ihre Einfachheit von um so größerer Wirkung.

Auf die dann heranmarschirende Berliner Schützengilde folgte ein Sängercorps. Aus ihren Kehlen drang, wie schon vorher einmal vom Märkischen Centralsängerbund, der „Das ist der Tag des Herrn“ gesungen hatte, durch die Nacht ein ergreifendes „Gott grüße Dich!“ Nachdem die Töne verschollen waren, folgten neue Scharen: die Bürgervereine, ein endloser Zug, in den auch Moltke in seinen verschiedenen militärischen Chargen durch lebende Personen zur Darstellung gebracht war. Alle Moltkes, auf einen eigenartig ausgestatteten Wagen postirt, grüßten militärisch und empfingen einen Gegengruß. Es zogen die Brauereien und Fabrik-Etablissements auf, der christliche Verein junger Männer, die Bollesche Meierei mit einem von der Bläserkapelle gespielten Choral, der von schönster Wirkung war. Dann Jünglingsvereine, Radfahrer in Kostüm – überall, wohin das Auge schaute, kostümirte Menschen, geschmückte Wagen, Fahnen, Banner, fast ermüdend, bis dann die Künstlerabtheilung mit neuen farbenreichen Ueberraschungen dem Blick auch neue Reize bot und dem Fackelzug den eigentlichen Glanzpunkt verlieh.

Die Gratulation des Kaisers.

Ein ungeheures Gewühl von uniformirten Truppen aus allen Zeitaltern: Mannschaften zu Fuß und zu Roß, Zietenhusaren und Lützowjäger, Hellebardenträger und Paukentrommler, Herolde, Germanen in Pelzen und Riesengardisten in Blechmützen. Auch ein wilder phantastischer Tanz ward aufgeführt von einem braunen Mädchen und einem Kamerun-Soldaten, bis dann der Triumphwagen der Germania heranrollte und durch seine wahrhaft märchenhafte Schönheit alle Zuschauer hinriß. Nach den von der Germania gesprochenen, von Wildenbruch gedichteten Versen nahm Moltke noch einmal das Wort, um die Huldigung von sich selbst auf des Sinnbildes Inhalt, auf das deutsche Volk zu übertragen. Und als alles vorübergezogen war, stürmte die Volksmasse auf den Jubilar zu, um noch einmal ihrem Gefühl Ausdruck zu verleihen. Nur schwer entrang sich Moltke diesen aus der Liebe und Verehrung des Volkes hervorgehenden Kundgebungen. –

Und dann kam als zweiter, bedeutungsvollster Akt in dem großen Schauspiel der eigentliche Festtag, der 26. Oktober, an dem unser Kaiser den Feldmarschall ehrte, wie noch kein Preuße je zuvor von seinem Herrscher gefeiert worden ist. Und in der That trug die Huldigung, welche Wilhelm II. dem Feldmarschall zutheil werden ließ, einen so ergreifenden Charakter, daß der Neunzigjährige sich, überwältigt von seinen Empfindungen, tief und lange auf die Hand seines Kaisers herabneigte.

Der Kaiser hatte die Spitzen der ganzen deutschen Armee entboten. In gestickter Generalsuniform, bedeckt mit Ehrenzeichen und Ordensbändern, fuhren die Generalinspekteure der Armee, der Generalfeldmarschall Prinzregent von Braunschweig an der Spitze, der Oberbefehlshaber in den Marken, Generaloberst von Pape, sowie sämtliche kommandierenden Generale vor und begaben sich zur Aufstellung in das Generalstabsgebäude. Die Feier begann mit der Gratulation der Offiziere und Beamten des Generalstabes und der Landesaufnahme um 9½ Uhr. Geführt von dem Chef des Großen Generalstabes, Graf Waldersee, betraten diese den großen Empfangssaal und statteten dem Jubilar ihre Glückwünsche ab. Nach der Aufstellung erfolgte zunächst die Vorstellung, soweit eine solche erforderlich war, und dann richtete Moltke einige warme Worte an die Versammelten. Nach diesem ersten Akt trat eine Pause ein, während welcher der Feldmarschall in seinem Studierzimmer, unterstützt von seiner Familie, die eingegangenen Telegramme und Briefe, gegen zweitausend, öffnete und durchsah.

Um diese Zeit schmetterten die ersten Trompeten. Das Musikcorps des Eisenbahnregiments brachte dem Jubilar den Morgengruß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_800.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)