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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

wir oben beschrieben, mehr oder weniger zerstört und verschwindet. In welcher Weise dieser Vorgang sich vollzieht, läßt sich augenblicklich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, nur so viel steht fest, daß es sich nicht um eine Abtödtung der im Gewebe befindlichen Tuberkelbacillen handelt, sondern daß nur das Gewebe, welches die Bacillen einschließt, von der Wirkung des Mittels getroffen wird. Zur richtigen Ausnutzung der Heilwirkung des Mittels muß also zunächst das noch lebende tuberkulöse Gewebe zum Absterben gebracht und dann alles aufgeboten werden, um das todte sobald als möglich, z. B. durch chirurgische Nachhilfe, zu entfernen. Da aber, wo dies nicht möglich ist und nur durch Selbsthilfe des Organismus die Aussonderung langsam vor sich gehen kann, muß zugleich durch fortgesetzte Anwendung des Mittels das gefährdete lebende Gewebe vor dem Einwandern der etwa noch vorhandenen lebenden Parasiten geschützt werden. Da das Mittel nur auf das tuberkulöse lebende Gewebe einwirkt, so kann es in sehr schnell gesteigerten, in etwa drei Wochen auf das fünfhundertfache der Anfangsgabe getriebenen Dosen gegeben werden, denn nach jeder Injection verringert sich ja die Menge des reaktionsfähigen Gewebes. Ist der Tuberkulöse soweit gebracht, daß er nur noch ebensowenig reagirt wie ein Nichttuberkulöser, so kann er wohl als geheilt betrachtet werden.

Die Erfolge, die erzielt worden sind, erstrecken sich für Lupus-Kranke dahin, daß bei zwei Kranken durch drei beziehentlich vier Injectionen die lupösen Stellen zur glatten Vernarbung gebracht, die übrigen derartigen Patienten der Dauer der Behandlung entsprechend gebessert sind. Alle diese Kranken haben ihr Leiden schon viele Jahre getragen und sind vorher in der verschiedensten Weise erfolglos behandelt worden. Das Gleiche gilt für Drüsen-, Knochen- und Gelenktuberkulose.

Etwas anders gestalteten sich die Verhältnisse bei der Hauptmasse der Kranken, bei den Schwindsüchtigen. Kranke mit ausgesprochener Lungentuberkulose sind nämlich gegen das Mittel weit empfindlicher als die mit chirurgischen tuberkulösen Leiden behafteten. Die Anfangsdosis mußte daher auf 0,002 und selbst 0,001 kcm herabgesetzt, dann aber bald wieder erhöht werden. Als Wirkung des Mittels zeigte sich anfangs gewöhnlich eine mäßige Zunahme von Husten und Auswurf, die dann aber allmählich geringer wurden, um in den günstigsten Fällen schließlich ganz zu verschwinden; auch verlor der Auswurf seine eitrige Beschaffenheit, er wurde schleimig. Die Zahl der Bacillen nahm gewöhnlich erst dann ab, wenn der Auswurf schleimiges Aussehen bekommen hatte, und verschwanden schließlich mit dem Auswurfe vollständig. Gleichzeitig hörten die Nachtschweiße auf, das Aussehen besserte sich, und die Kranken nahmen an Gewicht zu. Die im Anfangsstadium der Phthisis behandelten Kranken sind sämmtlich im Laufe von vier bis sechs Wochen von allen Krankheitssymptomen befreit, so daß man sie als geheilt ansehen konnte; Schwerkranke wurden gebessert. „Nach diesen Erfahrungen möchte ich annehmen, daß beginnende Phthisis durch das Mittel mit Sicherheit zu heilen ist. Theilweise mag dies auch noch für die nicht zu weit vorgeschrittenen Fälle gelten.“ Befindet sich aber die Krankheit schon in einem späten Stadium, sind erst nicht mehr zu beseitigende krankhafte Folge-Veränderungen in anderen wichtigen Organen eingetreten, dann ist natürlich auf Herstellung nicht mehr zu rechnen, wenn auch hier noch vorübergehende Besserung wohl meistens zu erreichen ist. Der Schwerpunkt des Heilverfahrens liegt daher in der möglichst frühzeitigen Anwendung, und um dies zu erreichen, ist eine höchst sorgfältige Untersuchung verdächtiger Kranker, besonders auf Tuberkelbacillen, dringendes Erforderniß. –

Dies der wesentliche Inhalt der epochemachenden Veröffentlichung unseres großen Forschers. Wir stehen hier vor einer Thatsache, deren Tragweite in medizinischer und socialer Beziehung noch gar nicht zu ermessen ist. Ich sage Thatsache, denn den positiven Angaben eines Mannes wie Koch gegenüber, der die Technik des Experimentirens aufs feinste ausgebildet hat, der mit der peinlichsten Selbstkritik bei seinen Forschungen zu Werke geht, der nur mit größter Vorsicht Resultate als gegeben erachtet und nur mit Ueberwindung mit diesen Resultaten vor die Oeffentlichkeit tritt – den positiven Angaben eines solchen Mannes, sage ich, läßt sich meiner Ueberzeugung nach ein berechtigter Zweifel nicht entgegenstellen. Nicht viele Jahre werden vergehen und wir werden die Tuberkulose nur noch in älteren Büchern beschrieben finden – die Krankheit selbst besteht nicht mehr, mordet nicht mehr die Blüthe der Jugend dahin, bringt nicht mehr unsäglichen Jammer und Elend in Palast und Hütte. Ein neues kräftiges Geschlecht wird erblühen, unbehelligt von dem tückischen Tuberkelbacillus. – Allein damit ist’s nicht geschehen, eine viel weitere, umfassendere Perspektive eröffnet sich uns. Wenn gegen den Mikroorganismus der Lungenschwindsucht das wirksame, heilkräftige Mittel gefunden ist, da kann es ja nur eine Frage der Zeit sein, auch gegen die Parasiten der anderen akuten Infectionskrankheiten, wie Diphtherie und Typhus, oder gegen chronische Infectionskrankheiten, wie z. B. den Krebs, die geeignete Injectionsmasse zu entdecken. Hat doch Koch selbst in seinem Vortrage auf dem internationalen medizinischen Kongresse solche Aussichten angedeutet.

Die Folgen der Kochschen Entdeckung auszudenken sind wir, wie gesagt, nicht imstande, aber das vermögen wir und das ist unsere Pflicht, unsere höchste Bewunderung dem genialen Manne auszudrücken, der, ein wahrhaft großer Mann, wohl der größten einer, die je gelebt, als Wohlthäter der ganzen Menschheit geliebt und verehrt werden muß. Dr. Max Salomon.




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Großes Reinmachen.

Humoreske von Hans Arnold.
(Schluß.)

Sie sollte ein Trinkgeld annehmen – unmöglich!

Mit sorgenvollem Kopfschütteln verließ die Mutter das Zimmer und überließ es der kleinen Wirthschaftlichen, ihren verantwortliche Aufgabe nach besten Kräften zu erfüllen.

Das Backfischchen, glückselig, ohne Beaufsichtigung zu sein und alles nach Gutdünken angreifen zu können, begann denn auch mit Feuereifer sein Werk und stand bald vor einem großen Kübel mit heißem Wasser, in dem es die Staubspuren von den Porzellankrügen abspülte.

Ihre Gedanken – wie junge Gedanken nun einmal sind, bei denen eben das erste Fluggefieder sich zu regen beginnt – blieben nicht ganz streng bei der Sache! Sie flogen über die Stube, über das Haus hinaus in die blaue Luft, auf die Schlittschuhbahn – in die Tanzstunde – und schließlich in das nächste Jahr hinein – auf den ersten Ball!

Die Zukunft lag vor ihr wie der Wintertag da draußen – klar, heiter, funkelnd und flimmernd – in ungetrübter Schönheit, da es in Luftschlössern bekanntlich keinen Schatten giebt! Daß in etwas unbestimmter, aber ganz herrlicher Gestalt auch ein Märchenprinz in diesem Luftschloß wohnte, wird uns wohl jede Leserin glauben – auch wenn sie nicht mehr fünfzehn Jahre alt ist – und am Ende auch mancher Leser!

Unter den Erscheinungen der Wirklichkeit hatte bisher keiner auch noch so entfernt vermocht, an Liesbeths erträumten Helden heranzureichen, der gewissermaßen als ein Extrakt sämmtlicher gelesenen Schriften „für die reifere Jugend“ und etlicher verstohlen genossener harmloser Liebesgeschichten sich darstellte und je nach der zuletzt gelesenen als ein in allem Sport bewanderter, strahlender, formgewandter Salonheld – oder auch als düsterer, unheimlicher Rinaldo mit einer unbegreiflichen Grobheit gegen alle Damen sich die Herzen eroberte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_821.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)