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gerade recht; da gab es keinen Zank im Hause, denn es war nicht zweifelhaft, wer darin das Regiment führen würde, ob der stille, friedfertige, wortkarge Mann mit dem einstöckigen Hause und den spärlichen Aeckern, oder sie, die harte, handfeste Frau, die einzige Tochter des reichsten Bauern in der ganzen Gegend. Wie zu erwarten war, fühlte sich der Moorheidler alsbald sehr unglücklich, obwohl er niemals klagte. Er hatte nicht nur unter der Herrschsucht und Heftigkeit seiner Frau zu leiden, sondern auch unter der Tyrannei seines Schwagers, der sich in alle seine Angelegenheiten mischte, ihm beständig anbefahl, was er als „Schwager des Otterhofbauern“ zu thun und zu lassen habe, und gegen den der sanftmüthige, nicht gerade übermäßig kluge Mann waffenlos war.

Niemand bemitleidete ihn, als die Frau nach fünfjähriger Ehe an einem Hitzschlage starb. Aber sie hinterließ ihm einen Sohn, der, beim Tode der Mutter erst vierjährig, dieses kurze Zusammenleben mit ihr doch dazu benutzt zu haben schien, sich ihr Wesen und ihren Charakter genau einzuprägen und ihr getreues Ebenbild zu werden. In seiner Person wurde auch die Tyrannei des Otterhofbauern fortgesetzt, denn der kleine Burkhard wurde in erster Linie als dessen Neffe betrachtet und war nur so nebenbei der Sohn seines Vaters. Der Moorheidler ließ sich diese Bevormundung still gefallen; er fürchtete sich vor der Gewaltthätigkeit seines Schwagers, und dessen Selbständigkeit und Reichthum machten einen gewaltigen Eindruck auf ihn; er sah selbst ein, daß es eine Ehre für ihn sei, der Vater des Neffen des reichen Jakobs vom Otterhof zu sein.

Nur als er daran ging, sich wieder zu verheirathen – denn die Wirthschaft bedurfte selbstverständlich alsbald eines Ersatzes für die verstorbene Hausfrau – ließ er sich nicht dreinreden, sondern entwickelte urplötzlich einen eigenen Willen. Er heirathete die Tochter eines armen Mannes, der, zu kränklich zur Feldarbeit, sich kümmerlich damit ernährte, daß er Schächtelchen für Spielwaren-Fabriken anfertigte, während Gertrud, seine Tochter, die einzige „Lohnspinnerin“ im Dorfe, das heißt das einzige Mädchen war, das nicht für den eigenen Hausstand, sondern für fremde Leute spann und während der Spinnzeit von den Bauern zur Hilfe in den Spinnstuben bestellt wurde.

Man muß den Bauernhochmuth kennen, um zu beurtheilen, welche niedrige Rolle solch eine vereinzelte Lohnspinnerin in den Spinnstuben spielt; selbst die Mägde betrachteten sie nicht als ihresgleichen, denn sie zogen doch nicht mit ihren Spinnrädern von Hof zu Hof wie Gertrud. Darum hatte auch niemand daran gedacht, daß je etwas daraus entstehen könnte, wenn der Moorheidler öfters in die Hütte des Schachtelmachers ging, anfangs in der That nur, um seinen Flachs spinnen zu lassen, allmählich aber, weil das sanfte, ruhige und dabei doch heitere Wesen der Lohnspinnerin ihm wohlthat und ihn immer mehr bestrickte. Das war ein Mädchen, das für ihn paßte! Das sagte er erst nur sich selbst und dann sagte er es ihr. Dem Jakob vom Otterhof sagte er es nicht, der wurde plötzlich in der Kirche mit dem Aufgebot überrascht und soll an diesem Tage in nicht besonders frommer Stimmung das Gotteshaus verlassen haben. Es kam zu fürchterlichen Auftritten zwischen den Schwägern, das heißt, der Jakob wüthete und tobte, während der Moorheidler still zuhörte – es mochte so schlimm kommen, wie es wollte, genau so hatte er es erwartet. Er heirathete seine Auserwählte doch und Jakob überwarf sich nicht mit ihm, Burkhards wegen, wenn er auch von nun an Burkhard lieber zu sich kommen ließ, als daß er ihn im Moorheidehof besuchte.

Der Moorheidler hätte dem Schwager den Jungen gern ganz abgetreten, wenn Jakob gewollt hätte, denn je größer Burkhard wurde, desto mehr entwickelte sich sein schlechter Charakter; aber Jakob bemerkte dies ebenfalls, und obwohl ihn sein Familienhochmuth dazu trieb, sich seines Schwestersohns in jeder Weise anzunehmen, so bedankte er sich doch im stillen dafür, ein so übelgeartetes Früchtchen in seinem eigenen Hause zu beherbergen. Wenn sein Schwager ihm mit dahinzielenden Anspielungen kam, so sagte er, Burkhard sei der Erbe des Moorheidehofes und der künftige Bauer müsse auf seinem Hofe groß werden. Alle schlechten Streiche, die Burkhard verübte, schob der Otterhofbauer auf die mangelhafte Erziehung, die ihm von seiten seines schwachen Vaters zutheil würde, und darauf, daß es den Jungen erbittern und erbosen müsse, zu sehen, wie Rupert, des Moorheidlers Sohn aus zweiter Ehe, ihm bei jeder Gelegenheit vorgezogen, wie er um dieses Stiefbruders willen in allen Dingen übervortheilt würde.

„Das ist doch nicht so ganz wahr, Schwager,“ bemerkte hierzu schüchtern der Moorheidler. „Wenn einem von den Buben durch die Finger gesehen wird, so geschieht’s dem Burkhard. Wahrhaftig wahr ist’s, Schwager, wenn ich dem Jungen alle die Hiebe aufzählen wollte, die er verdient, ich könnt’ mir zu Johanni eine neue Peitsche kaufen und Michaeli wär’ sie schon hin! Der Rupert ist ein braves Kind, der verdient nie Strafe und kriegt deshalb auch keine.“

Der Otterhofbauer beharrte aber bei seiner Ansicht und äußerte dieselbe auch Burkhard gegenüber.

„Du hast eben eine Schlafhaub’ zum Vater und eine Stiefmutter noch obendrein,“ sagte er zu dem ohnedies schon so trotzigen und bösartigen Jungen, „darum wird Dir Dein Recht nicht. Zehnmal fragt ein Weib nach dem eigenen Kinde, ehe es einmal nach dem Stiefkinde fragt. Aber Du brauchst Dir von der nichts gefallen zu lassen, die hat Dein Vater hinter der Hecke aufgelesen. Hier in meiner Gesindestube hat sie auch gesessen und gesponnen, und wenn einer von den Mägden der Netznapf leer geworden war, so hat sie ihn der Lohnspinnerin hingereicht und nicht ,danke’ gesagt, wenn die ihn ihr gefüllt hat. Eine saubere Stiefmutter für den Sohn meiner Schwester!“

Diese Rede war in der That sehr überflüssig, denn niemand brauchte Burkhard zu sagen, daß er sich von seiner Stiefmutter nichts gefallen lassen solle – er wußte es schon von selbst, und der Gertrud wiederum war das Gefühl, nicht für „voll“ zu gelten, so sehr von Jugend auf in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie es nimmermehr gewagt hätte, an Burkhard einen Anspruch des Gehorsams zu erheben. An ihrem Manne hatte sie keinen Rückhalt und sie scheute sich auch, ihm Unangenehmes zu bereiten; sie wußte, daß ihm Burkhards schlechter Charakter schon Kummer genug verursachte, und so ertrug sie dessen rohes Benehmen ebenso geduldig wie der Moorheidler selber.

Es war daher nicht selten Ruperts Sache, seine allzu nachgiebigen Eltern vor Burkhard zu schützen, und je größer und verständiger er wurde, desto nachdrücklicher that er es. In dem, was ihn selbst betraf, gab auch er Burkhard meistens nach, denn dieser war der älteste, der künftige Bauer und der Erbe des großen Vermögens seiner Mutter; letzteres flößte allen Bauern im Dorfe Ehrfurcht ein, und so auch dem Rupert. Aber er war an Körperkraft seinem Stiefbruder dreifach überlegen, und wenn dieser gegen Vater und Mutter unverschämt und roh war, so bekam er Ruperts Fäuste gehörig zu fühlen.

Der Moorheidler, der vor allen Dingen Frieden und Eintracht herbeisehnte, pflegte zwar bei solchen Gelegenheiten Rupert inständigst zu bitten, seinen Bruder doch lieber gewähren zu lassen, als solche Zänkereien hervorzurufen. Das half ihm aber nichts, das war ein Punkt, wo Rupert niemals nachgab. Und im Grunde gewannen der Moorheidler sowohl als Gertrud ihn um so lieber, weil er sich so tapfer ihrer annahm. In Burkhards Seele hingegen entstand ein Haß gegen seinen Stiefbruder, der mit den Jahren immer heftiger wurde und dessen Folge endlich war, daß ein Zusammenleben der beiden Brüder auf demselben Hofe zur Unmöglichkeit wurde.

Natürlich war es Rupert, der weichen mußte. Burkhard gehörte auf den Hof, obgleich er das windschiefe, schwarze Gebäude zwischen den Steinbrüchen und der Moorheide keineswegs mit heimathlichen Gefühlen ansah. Es wäre allenfalls möglich gewesen, ihn zu seinem Oheim auf den Otterhof zu schicken, wo er die Bewirthschaftung eines größeren Gutes hätte erlernen können, aber der Otterhofbauer bedankte sich dafür. Sein Hauptinteresse an Burkhard war erloschen, seitdem ihm selbst, nach fünfzehnjähriger kinderloser Ehe, ein später Sprößling geboren worden war. Neben der Liebe zum Gelde und zu sich selber war nur noch ein einziger Platz frei im Herzen des Otterhofbauern; diesen Platz hatte bisher, wenn auch nur halb und halb, Burkhard eingenommen, jetzt war er aber ganz daraus verdrängt worden durch den spätgeborenen kleinen Magnus, der mit seinem hellblonden Haar und grobknochigen Gesichtchen, seinen derben Gliedern und großen veilchenblauen Augen seinem Vater wie ein Engel an Schönheit vorkam. Zwar war Jakob streng in der Erziehung des kleinen Buben, denn freundlich war er mit keinem Menschen und konnte es nicht einmal mit dem Kinde sein,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_830.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)