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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

das sein Abgott war. Aber mit dem feinen Empfindungsvermögen der kleinen Kinder fühlte es Magnus doch heraus, wie sehr er geliebt wurde, und selbst wenn der Otterhofbauer seinen Jähzorn hatte und die Leute ihm aus dem Wege gingen wie einem losgerissenen Bullen, kletterte Magnus getrost an ihm hinauf und streichelte ihm den struppigen Bart, bis Jakob nicht umhin konnte, zu schmunzeln, und statt des Wuthgefunkels ein Strahl der Liebe aus seinen Augen brach.




Zwischen Rupert und Burkhard wurde unterdessen der Stand der Dinge immer schlimmer, und wiederum, wohl schon zum zehnten Male, mußte der rathlose Moorheidler auf dem Otterhofe erscheinen und seinen Schwager bitten, Burkhard auf den Hof zu nehmen.

„Nur so lang’ nimm ihn, bis Rupert sich irgendwo verdungen hat,“ bat er. „So hart es mich ankommt, den braven Jungen wegzugeben und fremder Leute Knecht werden zu sehen, so will ich’s doch nicht erleben, daß einer von meinen Buben den andern unter die Erde bringt, und weiß Gott! der Burkhard wird mir den Jammer noch anthun, wenn nicht ein Ende gemacht wird. Nimm ihn mir ab, Schwager, nur bis sich der Rupert verdungen hat!“

„Auf wie lang’ wär’ denn das?“ fragte Jakob.

„Ich dächte, so vier Wochen werden draufgehen,“ erwiderte der Moorheidler ängstlich, denn er sah es seinem Schwager an, daß er die angegebene Zeit unter allen Umständen zu lang finden würde. „In Dockenförth selbst kann’s nicht sein, da braucht keiner einen Knecht, da muß der Junge weiter hinunter ins Thal und sich in den andern Dörfern umsehen.“

„Vier Wochen ist mir zu viel!“ sagte Jakob, „so lang will ich den Raufbold nicht auf dem Hofe haben. Aber einen andern Rath wüßt’ ich, Schwager,“ fuhr er bedächtig fort mit der Miene eines Mannes, der weiß, daß seine Rathschläge für andere Leute Gesetz zu sein pflegen. „Thu’ Deinen Rupert in meinen Dienst, fleißige Hände sind auf dem Otterhofe immer zu brauchen und Arbeit habe ich alle Tage genug.“

Aber so gut dieser Ausweg auch war, der Moorheidler griff doch nicht gleich zu. Still und nachdenklich saß er seinem Schwager gegenüber und drehte die gute schwarze Sonntagskappe, die er dem reichen Schwager zu Ehren am Werktage aufgesetzt hatte, langsam in den Händen hin und her. Ihm wollte es doch nicht so recht in den Sinn, daß Rupert da als Knecht dienen sollte, wo sein eigenes Weib die Tochter des Hauses gewesen war.

„Na, was giebt’s da zu überlegen?“ fuhr ihn Jakob an. „Ist mein Rath nicht gut und thu’ ich nicht ein Uebriges, um Dir zu helfen?“

„Ja, Schwager, freilich,“ versicherte der Moorheidler, „aber lieber wäre mir’s, Du nähmest …“

„Den Burkhard kann und will ich nicht nehmen,“ unterbrach ihn der Otterhofbauer barsch, „schon wegen der da nicht!“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter nach der Stubenecke hin, in welcher Eva, seine Nichte und sein Mündel, mit der Dorfnähterin saß und Perlen auf den Boden eines Käppchens nähte. „Du weißt ja, daß das Mädchen mit dem Burkhard so gut wie versprochen ist. Brautleute gehören nicht unter dasselbe Dach!“

Der Moorheidler sah, wie Eva bei diesen Worten auffuhr und einen trotzigen Blick auf Jakob warf.

„Hast Dich gestochen?“ fragte die alte Nähterin. „Der Pappdeckel ist gar bös nähen!“

„Dann geht’s aber mit dem Rupert am Ende auch nicht,“ sagte der Moorheidler mit einem listigen Blick auf Eva, „denn wenn der mit der Eva unter dasselbe Dach kommt, so hat der Burkhard vielleicht das Nachsehen. Die Leute reden so allerlei; es heißt, die Eva lasse den Burkhard immer gehörig abfahren, wenn er mit ihr schönthun wolle, und wenn sie mit dem Rupert zusammen sei, verhalte sich die Sache ganz anders.“

Jetzt war Eva blutroth geworden und beugte den eben noch trotzig erhobenen Kopf tief auf die Arbeit.

„Hast Du Hitze im Kopf?“ fragte die Nähterin. „Siehst Du, warum kocht Ihr den Kaffee ohne Cichorie! Der geht zu viel ins Blut!“

Aber auch Jakob war sehr roth geworden und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das Holz krachte.

„Bleib’ mir vom Leibe mit Deinem dummen Gered’!“ donnerte er. „Wenn der Rupert der Ev’ gut genug ist, um auf dem Tanzboden mit ihm zu lachen, so ist er ihr doch noch lange nicht gut genug zum Heirathen, kannst Du das verstehen, he? Meinst Du, die Nichte des Otterhofbauern nähm’ einen, der nicht auf eigenem Grund und Boden sitzt? Mit dem Burkhard ist sie versprochen und mit keinem andern!“

Jetzt stand Eva hastig auf, und ohne näher zu treten, rief sie mit erregter Stimme zu ihrem Oheim hinüber:

„Das ist nicht wahr, Oheim, versprochen bin ich nicht mit ihm! Wir sind noch nicht zusammen in der Pfarre gewesen und einen richtigen Antrag hat er auch noch nicht gemacht!“

Wie von einer Natter gebissen, fuhr Jakob nach ihr herum.

„Was soll das heißen?“ frug er mit blitzenden Augen. „Ist’s etwa wahr, was die Leute reden? Willst Du den Rupert zum Mann haben, der jetzt auf den Höfen herumläuft und sich als Knecht anbietet?“

„Laß ihn gehen!“ flüsterte die alte Nähterin, Eva ängstlich am Kleid zupfend, „jetzt kriegt er seinen Zorn!“

Eva war tapfer und hatte einen unbeugsamen Willen, aber sie fürchtete sich doch vor Jakobs Anfällen von Jähzorn. So setzte sie sich wieder und entgegnete in ruhigem festen Tone:

„Es ist noch keine Rede davon, daß ich mir überhaupt einen Mann hole, Oheim. So weit bin ich noch mit keinem, mit Rupert nicht und mit Burkhard nicht. Das sag’ ich Euch aber, Moorheidler, meinetwegen braucht der Rupert nicht fortzubleiben vom Otterhof, schickt ihn nur ruhig her, hier ist’s immer besser für ihn als bei wildfremden Leuten. Ich fang nichts mit ihm an, das kann ich Euch versprechen.“

„Und ich sorg’ dafür, daß Du Dein Versprechen hältst!“ sagte der Otterhofbauer, zwar noch drohend, aber doch wieder besänftigt; „ich bin der Herr in meinem Hause, das soll jeder fühlen, der die Füße unter meinen Tisch streckt! Und nun, Thomas, sprich das letzte Wort und bedenk’, daß ich Dir immer zum Guten gerathen habe und daß Du Deinen Lumpenhof längst los wärest, wenn ich Dir bei Deinem Wirthschaften nicht beigestanden hätte, weil Du nun einmal der Vater meines Schwestersohnes bist. Willst Du mir den Rupert morgen schicken? Er soll es gut bei mir haben!“

Diese letztere Versicherung überraschte den Moorheidler, denn sehr selten ließ sich der Otterhofbauer zu etwas herab, was wie gütliches Zureden klang. Der Moorheidler fühlte heraus, daß es im stillen seinem Schwager sehr wünschenswert war, Rupert in seinem Dienste zu haben, da dessen Fleiß und Arbeitskraft in der Gegend kaum ihresgleichen hatten. Er fürchtete daher, der einflußreiche Schwager würde sich an ihm rächen, wenn er ihm diesen Wunsch durchkreuzte, und er gab seinen Widerstand auf.

„Nun ja, ich will ihn morgen schicken,“ sagte er etwas gedrückt, „dann bin ich doch wenigstens die Sorg’ und Angst los. Ich bedank’ mich auch, Schwager.“




Rupert trat in den Dienst des Otterhofbauern und der Moorheidler mußte, als ein paar Wochen herum waren, anerkennen, daß der Rath seines Schwagers ein guter gewesen war. Denn so tief es ihn auch wurmte, daß sein Sohn fremder Leute Brot aß, so sah er doch ein, daß Rupert es auf dem Otterhofe besser hatte und dort eine geachtetere Stellung einnahm, als dies auf irgend einem andern Hofe der Fall gewesen wäre. In Jakobs Augen gehörte auch Rupert immerhin noch einigermaßen zur Familie; er schlief nicht beim übrigen Gesinde, sondern in einem Kämmerchen im Wohnhause und hatte auch bei Tisch einen bevorzugten Platz, den ihm der Otterhofbauer eingeräumt hatte, weil der kleine Magnus durchaus neben ihm sitzen wollte. Rupert hatte nämlich das Glück gehabt, das Herz des kleinen Burschen zu erobern; er hatte ihm mit großer Geduld und Geschicklichkeit allerlei Spielzeug geschnitzt und zusammengeleimt, kleine Wurfmaschinen, mit denen man Kastanien und Obstkerne abschießen konnte, Pfeifen aus grünem Holze, Bogen und Pfeile und vor allem ein kleines Segelboot, in das Magnus Püppchen aus Mohnblumen setzen und das er auf dem Mühlbach segeln lassen konnte. Dabei war Rupert auch sonst freundlich und geduldig mit dem Kleinen, litt ihn gern um sich, nahm ihn oft mit aufs Feld, gab dann sorgfältig auf ihn acht und hatte auch mitten in der Arbeit immer nach ein Scherzwort für ihn übrig oder eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_831.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)