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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Ein neuer Cotta’scher Musen-Almanach. Wer würde nicht freudig einen solchen Urenkel jenes Schillerschen Musen-Almanachs begrüßen, der einst in demselben Verlage das Licht der Welt erblickt hat? Und da liegt er vor uns, der Cotta’sche Musen-Almanach für das Jahr 1891, herausgegeben von Otto Braun (Stuttgart, J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger), in elegantem Einband, mit sechs Kunstbeilagen, und fast alle namhaften Dichter Deutschlands haben dazu beigesteuert, und die wenigen, die hier fehlen, werden gewiß in den nächsten Jahrgängen nicht vermißt werden. In einem geschmackvolleren, mit schöneren Ahnenbildern geschmückten Salon konnten sich unsere neueren Poeten kein Stelldichein geben: die Erinnerung an Schillers Genius, an die großen Sänger unseres klassischen Zeitalters schwebt ja mit einer gewissen Verklärung über dem netten Unternehmen.

Die Sammlung beginnt mit Prosadichtungen: Georg Ebers erzählt uns in seinem „Probierstein“ diesmal nichts aus dem alten Pyramidenland, sondern eine kleine schalkhafte Geschichte aus unseren neuesten Salons. Einen schlichten Herzensroman schildert P. K. Rosegger in seiner frisch zugreifenden Weise. „Lieb’ läßt sich nicht lumpen“ heißt der Titel der kleinen Erzählung. „Wassertropfen“ von Richard Weitbrecht, lyrische Natur- und Stimmungsbilder in Prosa, schließen sich an.

Dann sehen wir in der Blumenausstellung dieser Gedichtsammlung verschiedene Gruppen, alle viel des Schönfarbigen und Duftigen enthaltend; wir können hier nur einzelne Blüthen aus dieser Blumenfülle herausgreifen. Unter den „poetischen Erzählungen und Balladen“ tritt uns eine Art schwankartiger Legende von Otto Roquette, „Ein Teufel auf Urlaub“, entgegen; sie schildert uns, wie ein Teufelchen auf der Erde lernen will, was Liebe ist, und dazu Urlaub erhält, und welche Abenteuer es, als Student verkleidet, auf seiner Erdenfahrt erlebt. Im Gegensatz zu diesem mehr leichtgeschürzten Gedicht steht das Idyll „Der verlorene Sohn“ von Ernst Ziel. Eine knapp gehaltene Ballade aus der Hohenstaufenzeit ist „Konradins Knappe“ von Conrad Ferdinand Meyer; ebenfalls in frischem Balladenton ist „Der Kaisersohn“ von Martin Greif gehalten. „Kaiser Max“ von Albert Möser hat leidenschaftlichen Pulsschlag.

Der Abschnitt „Gedichte verschiedenen Inhalts“ beginnt mit einem größeren Gedichte von Felix Dahn, „Friede und Kampf“, welches in einer Reihe von Bildern den in der Natur herrschenden Kampf vorführt: Thiere und Pflanzen, selbst Felsen und Gesteine und auch die Sterne am Himmel sind im Kampf begriffen, nirgends ist Friede. Da ruft der Dichter am Schluß:

„Wohlan denn! Kämpf’ auch du bis an das Ende.
Du bist ein Mann, so sei ein Held und lerne:
Das, was du suchtest, ist dem Weltall fremd;
Der Friede ist des Menschen Traum und Wahn,
Das Wesen und Gesetz der Welt ist Kampf:
Ob feig, ob tapfer, kämpfen mußt du doch!
So kämpfe – sonder Klage – bis du stirbst.
Und dann: stirb stumm und stolz auf deinem Schild!“

„Ein steinerner Gast“ ist ein Zwiegespräch mit einem Buddhabild, wie es Wilhelm Jensens phantastische Muse uns vorplaudert. Schön und schwunghaft ist das Gedicht von Isolde Kurz „In Bagamoyo“; Karl Woermann singt uns ein Lied vom römischen Kolosseum; sehr stimmungsvoll ist die Weihnachtsidylle von Heinrich Vierordt, sinnig der Gegensatz zwischen dem Kaiser und seinen Sklaven in dem Gedicht „Hadrian in Tivoli“ von Adolf Stern, schwunghaft das Sturmbild aus Sicilien „Scirocco-Vision“ von Ferdinand Avenarius, trostreich das Zukunftsbild „Alle“ von Conrad Ferdinand Meyer.

Unter dem Strauße der lyrischen Gedichte finden sich anmuthige Blüthen: „Gedichte vom Bodensee“ von Hermann Lingg, „Am Brunnen“ von Ernst Eckstein, das schwerwuchtige „Nachtlied“ von Wilhelm Jordan, „Frühlingsfahrt“ von Adolf Wilbrandt, in welchem Gedicht Natur- und Genrebild verschmelzen, Gedichte von Wilhelm Hertz, Julius Rodenberg, Max Kalbeck, der formenschöne Sonette beigesteuert hat, sinnvolle, etwas herbe und spröde Nordlandslyrik von Georg von Oertzen. Außerdem sind Heinrich Bulthaupt mit einem kleinen, in verschiedenen kunstvoll beherrschten Strophenformen sich abspielenden Gedichtcyklus, „Orpheus“, Arthur Fitger mit einem odenartigen Gedicht, „An die Hoffnung“, Albert Möser mit einem ähnlichen, „An das Alter“, Hans Hoffmann, Carl Hecker, Ludwig Schneegans u. a. mit stimmungsvollen Liedern vertreten. Dann folgen noch Fabeln, Sprüche und Sinngedichte; in dieser Gruppe befinden sich Friedrich Bodenstedt, Adolf Pichler, Wilhelm Hertz, Ludwig Fulda, Georg Scherer.

Viel bringt der neue Musen-Almanach und wohl allen etwas. Künstler, wie W. Kray, Chr. Kröner, G. von Hößlin, F. A. von Kaulbach, R. Geiger und H. Lossow haben ihn mit trefflichen Bildern aus der alten und neuen Welt und aus dem stets unwandelbaren Leben der Natur ausgeschmückt, und so wird er für den Weihnachtstisch die willkommenste Gabe sein. †     

Im Mondenschein. (Zu dem Bilde S. 829.) Wer hat ihn nicht empfunden, den wunderbaren Zauber der Sage vom Lurleifelsen, den Heine in sein unsterbliches Lied „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ gebannt hat. Wer vermag es, ohne ahnungsvolle Schauer auf den Fluthen des Rheinstroms vorbeizufahren an dem trutzigen Fels, auf dem die Phantasie ihm die schönste Jungfrau im goldenen Haare erscheinen läßt. Ist es ein Wunder, daß ein solch mächtiger Quell überwältigender Poesie sich vor allem dem Dichter erschließt, dem Dichter, der berufen ist, die schlummernde Märchenprinzessin, die Sage, zu blühendem Leben zu wecken, und dem Künstler, der die Kraft in sich hat, ihre Gestalt in sichtbarer Leibhaftigkeit vor das Auge zu rücken?

So haben denn auch ein Dichter und ein Künstler zusammengewirkt, ein Werk zu schaffen, das den vollen Reiz der Lurleisage über uns ausgießt. Zu der Dichtung „Lurlei“ von Julius Wolff hat Wilhelm Kray einen Cyklus von zwölf Bildern geschaffen, die in einer Prachtausgabe bei Franz Hanfstängl Kunstverlag A.-G., München, erschienen sind.

Freilich hat Kray seine Arbeit nicht selbst zu Ende führen dürfen; er ist darüber gestorben, und es blieb die verantwortungsvolle Aufgabe L. W. Heupels, das Begonnene im Sinne des Meisters zu vollenden. Daß es ihm gelungen ist, zeigt das fertige Werk, aus dem wir unsern Lesern eine Probe vorlegen.

Im schwanken Kahne beim Vollmondschein hat der junge Graf Lothar die zauberhafte Maid Lurlei gefunden und ihre Liebe gewonnen. Voll Hingebung spricht sie die Worte:

„Das hätt’ ich nicht geglaubt,
Daß Liebe so beglücken,
So selig machen kann,
Und Sinn und Verstand berücken,
Du einzig lieber Mann!“

Aber der wankelmüthige Graf verläßt sie schnöde, und nun kehrt sie zurück, von wo sie gekommen, in die Tiefe des Rheins zu ihrer Mutter Igorne, und Rache „an ihm und allem ohne Wahl, was Mann heißt in der Sonne Strahl“ ist fortan ihre Losung.

Von den deutschen Kolonialmünzen, deren erste wir auf Seite 579 dieses Jahrgangs beschrieben und abgebildet haben, ist nun auch die zweite zur Ausgabe gekommen, die nebenstehend abgebildete Silber-Rupie. Dieselbe kommt an Silberwerth nicht ganz dem Zweimarkstück gleich, ist etwas größer im Umfang als dieses, aber wesentlich dünner. Die eine Seite trägt um einen Schild, auf welchem ein Löwe mit stark erhobener rechter Tatze unter einem Palmbaum vorüber schreitet, wieder die Inschrift „Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft“ und die Werthbezeichnung „Eine Rupie“, während die Jahreszahl sich unten auf dem Schilde befindet. Das Merkwürdigste aber an der neuen Münze ist das Bild des Kaisers auf der andern Seite. Es zeigt Wilhelm II. in der Uniform und mit dem adlergeschmückten Helme der Garde du Corps, darum die Schrift „Guilelmus II Imperator“. Die von dem üblichen Münzentypus abweichende Form des prächtig behelmten Kaiserkopfes wurde unzweifelhaft mit Rücksicht auf die für Eindrücke äußeren Herrscherpomps empfänglichen Sinne einer noch verhältnißmäßig wenig entwickelten Bevölkerung gewählt.

Die zweite deutsche Kolonialmünze.

Norwegischer Weihnachtsbrauch. (Mit Abbildung S. 833.) Wenn die Erde mit tiefem Schnee und harter Eiskruste bedeckt ist – das dauert in Norwegen noch ein gut Ende länger als bei uns – und die Vögel kein Körnchen mehr finden auf Feld und Flur, dann rettet sie der Menschen Barmherzigkeit vor dem Hungertode. Jedweder, ob arm oder reich, steckt zum Weihnachtsabend ein Getreidebündel mit den vollen schweren Aehren an den Dachfirst seines „Stabburs“, jenes von norwegischen Gehöften unzertrennlichen Speichers, dessen eigenthümliche Bauart unsere Abbildung veranschaulicht. Da können nun die hungernden Thierchen Einkehr halten und lustig drauf los schmausen an dem gastlich gedeckten Tisch, während die Gastgeber im Kreise der Familie das fröhliche Weihnachtsfest begehen.

Die Weihnachtsfreude weitet das Herz. Vielleicht öffnet sie auch da und dort diesem schönen norwegischen Weihnachtsbrauche die Thür, und hat der deutsche Landmann auch keinen „Stabbur“, so hat er doch sonst ein Plätzchen, darauf er sein Aehrenbündel stellen kann, den Vögeln des Himmels zur Speise, sich selbst zur Ehre.

Theurer Schnee. Mit den ersten Flocken stellt sich bei den Eisenbahnleuten von Beruf die Sorge ein – die Sorge um Aufrechthaltung des Verkehrs. An und für sich hat ein Schneefall nicht viel zu bedeuten. Gesellt sich zu den federleichten Krystallen aber ein scharfer Nordwest, Südwest oder Nordost, dann ist es gefehlt; die Schneeverwehung ist unausbleiblich. Nun wird der Schneepflug hervorgesucht, Tausende geschäftiger Hände werden um hohes Geld gedungen; das Handwerk der Schneeschipper kommt wieder zu Ehren.

Der Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen läßt regelmäßige Aufzeichnungen über die für Wegräumung des Schnees aufgewendeten Kosten machen. Dieselben betrugen auf den Bahnen des Deutschen Reiches während des Winters 1888/89 nicht weniger als 3 745 722 Mark, davon entfallen auf den Bezirk Bromberg allein 851 390 Mark. 1887/88 erscheint ein Betrag von 3 653 768 Mark, 1886/87 ein solcher von 1 808 568 Mark. Die österreichisch-ungarischen Bahnen gaben zu demselben Zwecke aus 1888/89 3 516 341 Mark, 1887/88 1 963 044 Mark, 1886/87 2 166 045 Mark.

Der Jugendgarten. Zum fünfzehnten Male tritt der „Jugendgarten“ hinein in die weihnachtsfrohe Welt, seinen jungen Freunden, denen, für die er bestimmt ist, eine gewiß willkommene Gabe, aber auch seinen alten Freunden eine Quelle erfreulicher Gedanken. Ist er doch stets von neuem eine lebendige Erinnerung an die unvergeßliche Ottilie Wildermuth, aus deren Händen einst die ersten Bände hervorgingen, und wenn etwas das Schmerzliche, was eine solche Erinnerung immer in sich birgt, vergessen lassen kann, so ist es die Thatsache, daß ein Stück ihres Geistes fortlebt eben in dem „Jugendgarten“, welcher von ihren Töchtern mit so verständnißvoller Pietät und engverwandter Begabung fortgeführt wird.

Den Inhalt des fünfzehnten Bandes im einzelnen hier durchzusprechen, würde zu weit führen; denn es ist eine auch dem Umfange nach recht stattliche Festgabe, welche von der Verlagshandlung schön und geschmackvoll

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 835. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_835.jpg&oldid=- (Version vom 12.6.2023)