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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Burkhard gehabt? Hat der niederträchtige Raufbold seinen eigenen Bruder …“

„Nein, nein!“ unterbrach ihn Rupert hastig; „ich bin gestürzt. Sagt’s dem Vater nicht!“

„Steh auf und komm nach Hause!“ wiederholte Jakob.

Rupert erhob sich wankend. Aber der kraftvolle Arm des Otterhofbauern war eine wirksame Stütze, und so gelangte der Verwundete in verhältnißmäßig kurzer Zeit auf den Hof. Die Knechte und Mägde liefen aus allen Ecken zusammen und umringten ihn mit lauten Schreckensrufen.

„Hat das der Burkhard gethan?“ riefen mehrere mit Empörung.

„Nein, ich bin gestürzt,“ erwiderte Rupert.

„Du hast aber eine Wunde an der Stirn und eine am Hinterkopf,“ sagte einer der Knechte, „Du kannst doch nicht auf den Vorder- und Hinterkopf zugleich gefallen sein?“

„Wo hast Du Dein Handwerkszeug, Deine Axt und Deinen Klotz?“ fragte ein anderer.

„Das liegt alles oben in der Klausenschlucht,“ erwiderte Rupert; „thut mir den Gefallen und holt es mir!“

Eben fuhr in seinem Korbwägelchen der Dockenförther Arzt am Hofthore vorüber. Rasch eilte Eva, die bisher wie gelähmt vor Schreck, stumm und regungslos dagestanden hatte, dem leichten Gefährt nach. Der Arzt hörte ihr angstvolles Rufen und hielt sein Pferd an. Athemlos und mit Thränen in den Augen erzählte ihm Eva, daß Rupert gestürzt und schwer verletzt sei.

„So such’ nach reinem alten Leinen und reiße es in lange Streifen!“ sagte der Arzt, und, sein Pferd wendend, fuhr er in den Otterhof.

Rupert war in seine Kammer geführt worden, und der Otterhofbauer, der bei Unglücksfällen stets selbst zugriff, ohne sich erst umzusehen, ob sich kein anderer dazu verstünde, wusch eigenhändig die Kopfwunden, während die Mägde frisches Wasser herbeischafften und das blutige hinaustrugen. Der Arzt kam hinzu, verband die Wunden mit schneller, geschickter Hand und sagte, sie hätten nichts zu bedeuten.

„Er ist aber nicht recht bei sich,“ bemerkte der Bauer. „Er ist ganz duselig und dämelig und kann nicht einmal erzählen, wie er eigentlich gestürzt ist.“

„Gestürzt ist er allerdings und zwar auf den Hinterkopf,“ sagte der Arzt. „Rupert, wo hast Du die Stirnwunde her?“

Rupert lag auf dem Bette mit geschlossenen Augen, in einer Art Halbschlummer; das Verbinden hatte ihn sehr erschöpft. Er öffnete jetzt die Augen und murmelte: „Ich bin gestürzt.“

„Du hast einen gewaltigen Schlag gegen den Kopf erhalten und bist hingestürzt,“ sagte der Arzt. „Wer hat Dir den Schlag gegeben?“

Rupert schwieg.

„Der Schlag rührt von etwas Stumpfem her,“ sagte der Arzt, „von einem Hammer zum Beispiel.“

„Ich glaube, er hat mit dem Burkhard Streit gehabt,“ bemerkte der Bauer. „Man merkt ihm an, daß er etwas nicht sagen will. Die zwei sind gewiß hintereinander gekommen!“

„Die eigenen Brüder!“ sagte der Arzt. „Da kann ich ja gleich auf den Moorheidehof fahren und nachsehen, ob der Burkhard auch Löcher im Kopfe hat!“

„Ich bitte, Herr Doktor, sehen Sie sich erst noch den Magnus an,“ sagte zögernd der Bauer. „Er ist heute nachmittag in den Ententeich gefallen.“

„So? Nichts als Unglück heute bei Euch, Bauer! Na, ein kühles Bad wird dem strammen Bürschchen nichts anhaben können! Ich will aber doch nach ihm sehen.“

Er folgte dem Otterhofbauer in die Kammer, wo Magnus fest schlief. Der Arzt befühlte und behorchte ihn und konnte dem angstvoll zusehenden Vater die Versicherung geben, daß nur etwas Schnupfen zu befürchten sei.

„Mit Rupert wird es auch bald besser werden,“ bemerkte er im Weggehen. „Er ist noch betäubt von dem heftigen Schlage, er wird bald wieder zu klarerem Bewußtsein kommen.“

Er bestieg sein Korbwägelchen und fuhr davon, während Jakob die Pferde aus dem Stalle zog, um selbst die Dreschmaschine auf den Unterhof zu bringen, wo am andern Morgen Punkt vier Uhr das Dreschen beginnen sollte, die Maschine also geheizt und zum Betriebe fertig sein mußte.

Da erschienen am Hofthore ein paar dunkle, in Lumpen gehüllte, kräftige Gestalten, die in der mittlerweile hereingebrochenen Dunkelheit ein unheimliches Aussehen hatten; sie traten näher, und Jakob erkannte, daß es Waldarbeiter waren, wie man sie in der Klausenschlucht und an anderen schwer zugänglichen Stellen der großen Waldungen anzutreffen pflegt, in denen die besseren Holzknechte nicht arbeiten wollen.

„Guten Abend, Bauer,“ sagte der eine, seinen breiten Filzhut lüftend. „Wir kommen vom Moorheidehof; wir haben dem Bauern Burkhards neuen grünen Hut mit den Pfauenfedern gebracht, der droben in der Schlucht am Wasserfall lag. Der Moorheidler sagt aber, seit vielen Stunden sei Burkhard fort und noch nicht wieder daheim gewesen, und er läßt bei Euch anfragen, Bauer, ob er vielleicht hier im Otterhofe sei.“

„Und hier,“ sagte ein anderer, während der Otterhofbauer verneinend den Kopf schüttelte, „ist Ruperts großes Gartenmesser, das lag auch am Rande des Wasserfalles, und hier sind seine Axt und sein Hackklotz. Aber der ist ganz voll Blut und sein Messer auch!“

Den Otterhofbauer überrieselte es kalt. Wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke, daß hier etwas Schreckliches an den Tag komme, und mit einem Gefühle des Abscheus nahm er die blutbefleckten Gegenstände in Empfang.

„Die Bündel Tannengezweig, die Rupert zusammengebunden hatte, haben wir zum alten Schachtelschnitzer geschafft,“ bemerkte einer der Waldarbeiter.

„Gut,“ sagte Jakob kurz, „ich will Euch einen halben Tagelohn bezahlen. Dafür geht Ihr zurück nach Dockenförth und sagt meinem Schwager, Burkhard sei nicht hier.“

„Das wird er nicht anders erwartet haben,“ sagte der erste Waldarbeiter. „Er meinte gleich, Burkhard sei in den Wasserfall gestürzt. Gerade oberhalb des stärksten Gefälles, wo die Steine den Bach noch dämmen, lag sein Hut am Wasser und Ruperts Messer daneben.“

„Ja, Ruperts Messer daneben!“ wiederholte ein anderer mit Betonung; „wir haben’s dem Moorheidler gar nicht gezeigt.“

„Geht!“ befahl der Otterhofbauer. „Geht!“ donnerte er mit der Stimme eines gereizten Löwen, als die Leute noch zögerten. Wie gescheuchte Unglücksraben stoben sie davon und verschwanden im Dunkeln.

Der Bauer stürzte in die Stube, nahm das Oellämpchen von der Wand und ging damit in Ruperts Kammer.

Dieser lag nicht mehr auf dem Bette; er hatte Licht gemacht, saß auf einem Schemel und starrte still vor sich hin; er fuhr auf, als der Bauer polternd hereinstürzte und ihn mit eisernem Griffe am Arme packte.

„Mensch, jetzt gesteh’, was geschehen ist!“ schrie Jakob. „Burkhard ist in der Klausenschlucht gewesen! Warum hast Du’s geleugnet? Ihr seid aneinander gekommen, denn Dein blutiges Messer, siehst Du, das Messer hier, hat neben seinem Hut gelegen! Warum hast Du’s geleugnet?“

Rupert war leichenblaß geworden und heftig machte er sich aus Jakobs Händen los.

„Bauer, Ihr fragt … Ihr fragt so – als glaubtet Ihr … als glaubtet Ihr, ich hätte dem Burkhard etwas angethan, als hätte ich ihn gemordet!“ rief er mit unheimlich blitzenden Augen.

Den Bauer überlief es wieder kalt.

„An welcher Stelle hast Du gearbeitet droben in der Schlucht?“ fragte er mit erzwungener Ruhe.

„Im Gehölz unterhalb vom großen Wasserfall, hundert Schritt seitwärts über dem Weg,“ antwortete Rupert, Jakobs Gesicht mit finsteren Blicken prüfend.

„Und hart am großen Wasserfall, da wo der Bach sich vor dem Sturze staut, hat Deines Bruders Hut gelegen! Und Du hast Burkhard nicht gesehen?“

„Ich habe ihn gesehen, aber ich wollte es nicht sagen,“ entgegnete Rupert nach einigem Zögern. „Er kam herauf und fragte mich, ob ich gutwillig auf die Eva verzichten wolle, sonst wolle er mir jetzt die Fahrkarte in die Hölle besorgen. Ich saß oben auf einer Tanne und, da er nicht klettern kann, so lachte ich und sagte, er solle mich doch holen. Da nahm er den Klotz, auf dem ich meine Zweige zerhackte, und warf ihn mir so furchtbar an den Kopf, daß ich herunterstürzte, und dann weiß ich nichts mehr von mir.“

„Warum hast Du das nicht gleich so erzählt?“ fragte Jakob kalt. „Warum hast Du geleugnet, daß Du mit dem Burkhard Streit gehabt hast?“

„Weil sich’s der Vater immer so zu Herzen nimmt, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 858. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_858.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2023)