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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

mir der Burkhard etwas Böses thut,“ erwiderte Rupert. „Und dann war mir’s auch noch so wüst im Kopf, wie Ihr mich in der Schlucht gefunden habt … Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, damit der Vater nichts erfährt.“

„Und was ist aus Burkhard geworden?“

„Das weiß ich nicht. Ich war ja wie todt!“

„Er scheint in den Wasserfall gestürzt zu sein. Er ist nicht nach Hause gekommen und sein Hut lag am Wasser.“

Rupert schüttelte den Kopf.

„In den Wasserfall? Wie denn? Er war ganz nüchtern, und der Wasserfall liegt ja ein gut Stück weiter oben. Der Weg macht da eine starke Biegung seitwärts in die Waldungen, da kann selbst im Dunkeln niemand ins Wasser gerathen.“

„Wenn man ihm nicht hineinhilft!“ stieß Jakob mit heiserer Stimme hervor; „Du sagst die Wahrheit nicht, Rupert! Wenn der Burkhard im Wasser gefunden wird, wenn er nicht doch noch nach Hause kommt, dann sag’ ich Dir’s ins Gesicht, daß Du Deinen eigenen Bruder erstochen und ins Wasser geworfen hast!“

Ruperts Augen starrten mit gläsernem, hohlem Blick in das hochgeröthete Gesicht des Otterhofbauern; wie Angst und Schrecken sprach es aus diesen Augen und wie gelähmt erschien auf Augenblicke seine ganze Gestalt. Dann aber sprang er auf, und in fiebernder Hast, ohne ein Wort zu reden, riß er seine an der Wand hängenden besseren Kleidungsstücke von dem hölzernen Kleiderrechen herunter und schleuderte alles in die Kiste, die seine sonstigen Habseligkeiten enthielt. Dann nahm er die Kiste wie eine Feder auf seine Schulter, stieß den Otterhofbauer zur Seite und trat unter die Thür. Dort aber blieb er stehen, und mit unheimlich aus dem bleichen Gesicht herausblitzenden Augen rief er zurück: „Ich geh’ nach Hause, Bauer! Wo man mich für einen Brudermörder hält, bleib’ ich nicht!“

„So geh!“ sagte Jakob in hartem Tone, „ich halte Dich nicht!“

Rupert ging ohne weiteren Gruß hinaus, aus dem Hause, aus dem Hofe; er warf keinen Blick auf Evas erhelltes Fenster, nur auf die Dreschmaschine warf er einen, deren rauchloser Schlot drohend in die Nacht hineinragte und vor der die Pferde geduldig standen, auf das Anschirren wartend. Ihn ging das nichts mehr an. Auf der finstern Landstraße kamen ihm Bauern aus Dockenförth eiligen Schrittes entgegen, sie trugen große Stangen und Laternen; er drückte sich seitwärts in den tiefen Graben und ließ sie vorüberziehen, ebenso den Arzt in seinem Korbwägelchen und den Gendarmen, der in kurzem Galopp auf Wieselbach zusprengte.

„Sie wollen den Burkhard suchen,“ murmelte Rupert halblaut vor sich hin. „Ob sie ihn im Wasser finden werden?“

Er dachte nicht daran, sich den Suchenden anzuschließen. Seine Wunde schmerzte furchtbar, Fieber verwirrte ihm die Sinne, so daß er, als die Kiste ihm zu schwer wurde, dieselbe ohne weiteres auf der Landstraße stehen ließ. So kam er in tiefer Nacht auf dem Moorheidehof an.

Am andern Morgen wurde Burkhards Leiche im Wasser gefunden; er hatte eine klaffende Wunde am Kopfe und noch viele am Körper. Am Abend, einem trüben, regenschweren Herbstabend, erschien der Gendarm auf dem Moorheidehof und verhaftete Rupert wegen dringenden Verdachtes, daß er den Burkhard im Streit erstochen und die Leiche in den Wasserfall geschleppt habe.

Eine gebrochene, wankende Greisengestalt begleitete den bleichen, finster dreinschauenden Rupert zum Leiterwagen, auf welchem dieser neben dem Gendarmen zur Stadt fahren sollte. Es war der Moorheidler, der unter der Wucht des so plötzlich über ihn gekommenen furchtbaren Geschicks bis zur Unkenntlichkeit gealtert war. Seine Hände zitterten, als er des Sohnes Hals zum Abschied umklammerte, aus seinen sanften Augen strömten die Thränen unaufhaltsam. Er küßte Rupert mehrere Male, stand lange an dem in den Angeln niederhängenden Hofthore und schaute dem Leiterwagen nach, der durch die feuchten Dünste der Moorheide dahinfuhr. An einem der kleinen Giebelfenster des Hauses stand Gertrud und schluchzte in ihre Schürze hinein.

Die Leute, die im Abendzwielicht dem Wagen begegneten, wichen ihm scheu aus und warfen verstörte Blicke auf den regungslos dasitzenden Rupert. Man zweifelte nicht daran, daß Rupert des Mordes in der That schuldig, daß der Verlauf seiner Begegnung mit Burkhard so, wie er ihn erzählte, erlogen sei. Warum hatte er anfangs, als die Leute ihn gefragt, ob Burkhard ihn verwundet habe, verneinend geantwortet? Warum war er so verstört, so sonderbar gewesen? Und vor allen Dingen, wie sollte Burkhard in den Wasserfall gerathen sein? Ruperts eigene Verwundung sowohl als sein blutiges Messer bewiesen, welchen blutigen Kampf die Brüder dort oben in der Schlucht mit einander gekämpft hatten, da war es nur allzu glaubhaft, daß Ruperts überlegene Kraft seinen Bruder das Leben gekostet hatte. Als aber der Leiterwagen, der den Verhafteten zur Stadt brachte, am Otterhofe vorüber fuhr, stürzte Eva heraus und drückte heftig Ruperts Hand.

„Ich weiß, daß Du’s nicht gethan hast!“ rief sie und ihre Augen strahlten im Hochgefühle, ihre Liebe jetzt bethätigen zu können. „Laß nur die Leute reden und glauben, was sie wollen, ich weiß, daß Du nicht lügst!“

Rupert erwiderte den Händedruck und sagte mit trübem Lächeln und zuckenden Lippen: „Wenn Du nur dabei bleibst, Ev’! Wer weiß, was die klugen Leute vom Amt alles herausbringen! Vielleicht drehen und wenden sie’s so, daß sie mich zum Mörder machen.“

„Wenn Du Dich nicht selbst dazu machst, das Amt macht Dich nicht dazu,“ sagte der Gendarm streng.

„Komm ins Haus, Ev’, daß Dich der Bauer nicht sieht!“ mahnte eine der Mägde ängstlich.

„Sorg’ mir für den Vater und für die Mutter, so lang ich fort bin, Eva!“ rief ihr Rupert noch zu.

Der Leiterwagen holperte davon, die dunkelnde Landstraße entlang. In den kleinen Bauernhäusern am Wege erloschen allmählich die Lichter, nächtliche Stille senkte sich auf das Thal, auf die immer mehr in die Ferne schwindenden zerklüfteten Felsmassen des Gebirges; laut und brausend aber schoß in der Tiefe das Gewässer dahin, der Bach aus der Klausenschlucht.




Drei Monate blieb Rupert in Untersuchungshaft, dann kam die Verhandlung vor dem Schwurgerichte, zu der viele Zeugen aus Wieselbach und Dockenförth geladen wurden. Sie mußten über das Verhältniß der beiden Brüder zu einander berichten, über Drohungen, die der eine oder der andere etwa hatte laut werden lassen. Für Rupert lauteten die Berichte günstig, der Anklage auf vorsätzlichen Mord wenigstens entzogen sie jede Begründung; er hatte nie Drohungen gegen seinen Bruder ausgestoßen, während ein Dutzend Zeugen sich vorfand, die von Burkhard die Absicht hatten aussprechen hören, Rupert demnächst „die Fahrkarte in die Hölle zu besorgen“, genau die Worte, die Rupert in seiner Aussage über den Vorgang in der Klausenschlucht zu Protokoll gegeben hatte. Für den letzteren belastend war aber sein heißer Wunsch nach einem eigenen Hof, seine bedrückende Stellung als fremder Leute Knecht, sowie der Umstand, daß er, so oft sein Bruder ihn thätlich angegriffen, diesen niemals geschont, sondern ihm alles so gründlich heimgezahlt hatte, daß auch jetzt die Wahrscheinlichkeit eines Todtschlages nicht ausgeschlossen war. Früher hatte Rupert keine so tiefgehenden Ursachen gehabt, Burkhard zu hassen, wie später, als ihm dieser seinen „Schatz“ streitig machte, ihn zum Dienen zwang, ihm sein ganzes Leben verbitterte und verdarb, indem er ihm das väterliche Haus verschloß. Daher war es wohl anzunehmen, daß Rupert die Gegenwehr, zu welcher der Bruder ihn nöthigte, willkürlich oder unwillkürlich zu weit getrieben hatte. Dazu kam die Aussage des Otterhofbauern und seiner Knechte über Ruperts verstörtes und auffälliges Wesen an jenem Unglücksabend und über seine sich widersprechenden Berichte. Man merkte bei den Aussagen des Otterhofbauern nichts von dem Wohlwollen, welches er Rupert in der letzten Zeit erzeigt und auch aufrichtig für ihn gehegt hatte. Jetzt war Rupert für ihn nur noch der Mörder seines Neffen, seines todten und daher, als nunmehr unschädlich, wieder zu vollen Ehren angenommenen Neffen; Rupert war nur noch der Sohn der Lohnspinnerin, der den Sohn der Schwester des Otterhofbauern erstochen hatte. Sein einziger Gedanke war jetzt Rache. Er betonte daher auch in seinem Berichte immer wieder das blutige Messer, das am Rande des Wasserfalles gelegen hatte, und die von etwas Spitzem, Scharfem herührenden Wunden, die beim Leichenbefunde an Burkhards Körper wahrgenommen worden waren.

Diese beiden scheinbar belastenden Umstände wurden aber vom Gerichtshofe nicht in Betracht gezogen, denn nach dem Gutachten der Sachverständigen konnten die Wunden ebensogut von den im Wasser des Klausenbaches vorhandenen spitzen, scharfen Felsstücken herrühren, und was das Messer betraf, so war es unzweifelhaft,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_859.jpg&oldid=- (Version vom 9.2.2023)