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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

jemand wachen, um dem Kinde die Medizin auch mitten in der Nacht zu geben, wenn sie der Rupert etwa noch bringen sollte.“

„Ich werde aufbleiben,“ sagte Jakob.

„Aber nur bis zwölf Uhr, Oheim,“ bat Eva, die inzwischen hinzugekommen war. „Ihr habt die beiden letzten Nächte gewacht und auch am Tage kein Stündchen geschlafen. Von zwölf Uhr an laßt mich wachen. Der Christian kann ja hingehen und das Hofthor öffnen, wenn ich in der Nacht klopfen höre; ich werd’ ihn rufen.“

„Meinetwegen,“ sagte Jakob. „Ein Stündchen Schlaf wär’ nicht zu verachten. Aber dann geh’ Du auch gleich zu Bette.“

Bereits um neun Uhr herrschte nächtliche Ruhe auf dem Otterhofe.

Aber weder der Arzt noch ich hatten das für uns hergerichtete Zimmer bezogen. Der Arzt, dem Jakob recht müde vorkam, traute dessen Wachsamkeit nicht und hatte sich zu ihm gesetzt, während ich in der Wohnstube geblieben war und mir durch die Lektüre eines alten Kalenders über die mich allmählich beschleichende Schläfrigkeit hinwegzuhelfen suchte. Gegen Mitternacht kam der Arzt aus der anstoßenden Kammer, deren Thür er offen ließ, zu mir heraus.

„Vater und Sohn schlafen um die Wette,“ sagte er lächelnd. „Wir wollen hier sitzen bleiben und auf den Kleinen acht geben, bis Eva kommt; dann können wir nach Hause fahren. Das Wetter ist vorüber, und die Arznei thut nicht mehr noth heute nacht. Der kleine Racker schläft so friedlich, daß man gar nicht glauben sollte, daß er noch vor acht Tagen dem Tode so gut wie verfallen war!“

Hier verlöschte unsere Lampe.

„Das thut nichts,“ sagte der Arzt, „wir können uns ebensogut im Finstern ein wenig unterhalten, wir brauchen uns ja nicht gerade Gespenstergeschichten zu erzählen. Gleich wird Eva kommen, und bis dahin leuchtet uns das Nachtlicht aus dem Krankenzimmer.“

„Und der Blitz,“ ergänzte ich, als ein greller Feuerschein jäh durch das Zimmer fuhr.

Wir sprachen weiter miteinander, aber leise, um die Schlafenden nebenan nicht zu wecken.

Plötzlich verdunkelte uns ein Schatten den schwachen Schein des Nachtlichtes in Magnus’ Kammer. Wir sahen auf und gewahrten eine große, dunkle Gestalt, die unhörbar hereingekommen war und neben dem Bette des Kindes stand. Es war ein Mann, in einen Mantel gehüllt.

„Still, still!“ flüsterte mir der Arzt zu, als ich aufspringen wollte; „es wird Rupert sein, der die Arznei bringt.“

„Aber wie ist er herein gekommen?“ entgegnete ich leise. „Das Hofthor war ja fest verriegelt und die Hunde haben auch nicht angeschlagen!“

„Sonderbar in der That!“ sagte der Arzt. „Zwar glaubte der Bauer schon vor einer halben Stunde ein Geräusch zu vernehmen, er meinte, die Fallthür des Kellers sei aufgeschlagen worden, es war wie ein dumpfer Krach. Sollte es am Ende doch nicht Rupert, sondern ein Einbrecher sein? Haben Sie Ihre Pistolen bei sich?“

Ich bejahte. Die Erscheinung stand noch immer regungslos wie aus Stein gehauen. Ein besonders heller Blitz beleuchtete sie plötzlich mit seinem fahlen Schein, und wir sahen, daß es in der That Rupert war. Aber wie sah er aus. Seine Züge hatten die Blässe und Starrheit eines Todten, seine blutlosen Lippen waren mit einem verbissenen, grausamen Zuge fest geschlossen und zusammengepreßt, seine Augen funkelten in düsterem, seltsamem Scheine und waren wie durch einen Zauberspruch fest auf Magnus’ Gesichtchen gebannt. Endlich wandte er die Blicke ab und begann sich zu regen. Er holte eine Medizinflasche aus seiner Tasche hervor und hielt sie mit zitternder Hand gegen das Nachtlicht, wie um das Aussehen ihres Inhaltes zu prüfen. Dann schüttelte er sie und hielt sie abermals gegen das Nachtlicht. Endlich stellte er sie auf den Tisch neben Magnus’ Bett. Aber er entfernte sich nicht. Wiederum vertiefte er sich in den Anblick des kleinen Kranken, dessen sanfter Schlaf einen neuen Sieg der jungen, frischen, hart ringenden Lebenskraft über den übermächtigen Gegner Tod bedeutete.

Langsam rückwärts gehend, das Kind immerfort anstarrend, wich Rupert bis zur Thür. In der nächsten Sekunde indessen stand er wieder neben dem Bettchen, steckte die Arzneiflasche zu sich und floh mit raschen, lautlosen Schritten – aber wieder nur bis zur Thür, dann kehrte er abermals zurück, stellte die Flasche wieder hin und versank von neuem in seine ursprüngliche Starrheit.

Endlich hörten wir einen Ton, der wie unterdrücktes Stöhnen klang, und sahen, wie Rupert die Hände fest auf sein Gesicht drückte, dann aber auffuhr, die Medizinflasche ergriff, ein Fenster aufriß und das Glas auf das Pflaster des Hofes hinauswarf, wo es klirrend zerbrach.

Magnus erwachte jählings und sah sich erschrocken um, aber er stieß einen Freudenruf aus, als er Rupert erkannte. Dieser war zur Thür gestürzt, hatte sich indessen auf Magnus’ bittende Rufe verstört nach ihm umgewendet.

„Komm zu mir, Pertel!“ rief Magnus. „Komm schnell zu mir!“

Ein schattenhaftes Lächeln flog über Ruperts Züge. Er schien es gar nicht zu bemerken, daß Eva aus der ihm gegenüberliegenden Thür leise in die Kammer getreten und, als sie ihn erblickte, wie angewurzelt stehen geblieben war. Er bemerkte auch nicht, daß der Otterhofbauer sich regte und anfing, den bleiernen Schlaf, der ihn befallen hatte, mühsam abzuschütteln. Regungslos stand er da und starrte nur Magnus an.

„Geh’ nicht wieder fort, Pertel!“ fuhr dieser fort zu bitten. „Versteck Dich nicht wieder! Du hast Dich versteckt, nicht wahr? Du hast Dich vor Burkhard versteckt, nicht wahr? Du denkst wohl, er lebe noch und habe Dein Messer noch, um Dich damit todtzustechen? Er ist todt, ganz todt, ich habe gesehen, wie er in der Klausenschlucht in das große Wasser gefallen ist! Du brauchst Dich nicht wieder zu verstecken und kannst auch am Tage zu mir kommen und mit mir spielen.“

„Sei still, Magnus,“ sagte Rupert tonlos, offenbar ohne etwas von dem verstanden zu haben, was Magnus gesagt hatte. „Sprich nicht so viel und schlaf’ wieder ein! Gute Nacht!“

Er wandte sich aufs neue zur Thür.

„Rupert, geh’ nicht wieder fort!“ rief Magnus weinerlich. „Versteck Dich nicht! Komm doch zu mir, ich will Dir ganz leise sagen, was ich gesehen habe! Der Vater darf’s nur nicht hören, sonst wird er böse. Aber wenn ich Dir’s erzählt habe, versteckst Du Dich gewiß nicht mehr.“

Jetzt war auch der Otterhofbauer ganz wach geworden und hatte sich erhoben; der Arzt und ich hatten überrascht auf das gelauscht, was der kleine Magnus geplaudert hatte, und waren schnell in die Kammer getreten.

„Bringst Du die Medizin, Rupert?“ fragte schläfrig der Otterhofbauer.

„Ich ... Ja – nein – ich hatte sie wohl,“ sagte Rupert stockend. „Ich habe die Flasche fallen lassen, sie ist entzwei gegangen.“

Ohne weitern Gruß stürmte er hinaus. Draußen hörte man die großen Hunde bellen, und die schweren Riegel des Thores klirren, das dann heftig zugeworfen wurde.

Jetzt bestürmten wir den kleinen Magnus mit Fragen über das, was er Rupert zugerufen hatte. Eva trat dicht an sein Bettchen, nahm ihn in den Arm und fragte mit bebender Stimme:

„Magnus, woher weißt Du, daß Burkhard todt ist? Hast Du’s wirklich gesehen, wie er ins große Wasser gefallen ist?“

Magnus legte seine hageren Aermchen um ihren Hals und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Eine jähe Röthe schoß in Evas bleiches Gesicht, sie begann zu zittern und sagte gepreßt:

„Erzähle es nur laut, ganz laut, Magnus!“

„Nein,“ sagte Magnus, mit einem ängstlichen Blick auf den Otterhofbauer, „der Vater schlägt mich, wenn ich ihm sage, daß ich heimlich in die Klausenschlucht gelaufen bin.“

„Nein, ich schlage Dich nicht!“ rief der Otterhofbauer eifrig und zärtlich. „Der Vater schlägt seinen kleinen, kranken Magnus nicht! Aber sag’, was ist’s mit der Klausenschlucht? – Er wird wohl davon geträumt haben,“ fügte er, zu uns gewendet, hinzu.

„Nein, geträumt habe ich nicht!“ vertheidigte sich Magnus, dem seines Vaters Zärtlichkeit sofort die Zunge löste. „Mein Segelschiffchen ist ja noch dort! Darf mir das der Peter morgen holen? Ich weiß genau, wo es liegt.“

„Alles, was Du nur willst, soll Dir der Peter holen,“

versicherte Jakob, „aber es wird noch lange dauern, bis Du mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 887. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_887.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)