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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

und verloren auch durch ihre steten Wiederholungen nichts von ihrem eigenartigen Reiz. Wenn sich am frühen Morgen die Thore der Charité öffneten, stellten sich bereits die ersten auswärtigen Aerzte ein, und die letzten verließen erst am späten Abend das schmucklos düstere Gebäude, in welchem sich das gesammte Interesse nur auf die mit Schwindsüchtigen belegten Säle zu richten schien. Unvergeßlich für jeden, der, wie der Schreiber dieser Zeiten, Gelegenheit hatte, einer solchen Anwendung des Kochschen Verfahrens in der Charité beizuwohnen, sind die langen, schmalen, durch Gasflammen matt beleuchteten Säle, an den Wänden die Betten mit den Kranken, und dann dort, sich scharf von ihrer hellen Umgebung abhebend und noch besonders beleuchtet durch eine von einem Wärter hoch emporgehaltene Lampe, die schwarze Gruppe der Aerzte: zunächst am Bette des Kranken, welcher mit entblößtem Oberkörper aufrecht dasitzt, der von seinem Assistenten begleitete Oberarzt, die kleine mit Gummiball versehene Glasspritze, in welcher sich die durchsichtige, gelblich schimmernde Flüssigkeit befindet, in der rechten Hand, bald in deutscher, bald in französischer oder englischer Sprache Erläuterungen gebend und Fragen beantwortend sowie die über jedem Bette hängenden, sorgsam geführten Tabellen der Fiebertemperaturen des Patienten erklärend; und nun ein Wink, und ein zweiter Wärter preßt die Rückenhaut des Kranken zwischen den Schulterblättern zusammen, das scharfe Ende der Spritze senkt sich unter die Haut ein, ein leichter Druck auf den Gummiball und die Lymphe hat sich dem Organismus mitgetheilt, nach wenigen Stunden schon ihre Wirkung zeigend.

Eine Kochsche Impfung in der Charité zu Berlin in Gegenwart von fremden Aerzten.

In der ganzen Welt hallte Kochs Name wider und Millionen Menschen sprachen ihn segnend aus, er aber, der Träger desselben, lebte still und zurückgezogen sein Gelehrtenleben weiter und suchte ängstlich jeder Ehrenerweisung, jeder Huldigung aus dem Wege zu gehen, wie er auch jeden Vortheil zurückwies, der ihm in so vielfältiger und oft eigenthümlicher Art angeboten wurde. Wie bisher, so blieb, mit seltenen Abweichungen, auch in dieser erregendsten Zeit, sein Lebensgang derselbe, wie er ihn seit Jahren geführt, der Lebensgang eines deutschen Forschers, getheilt zwischen den frei übernommenen Pflichten seiner Wissenschaft und der Liebe zu seiner Familie. Zwei Stätten aber bilden die Merksteine dieses Gelehrtendaseins, zwei Stätten, ebenso von einander verschieden wie das Wesen Kochs an jeder von ihnen: hier der prächtige, einfache, gütige, heiter plaudernde Mensch, aus dessen sinnenden blauen Augen so viel Liebe und Freundlichkeit strahlt und um dessen von einem Vollbart umrahmten Mund ein schalkhaft anmuthender Zug spielt – dort der ernste, eifrige, den höchsten Zielen seiner Wissenschaft zustrebende Forscher, der an seine eigene Leistungskraft die größten Anforderungen stellt und über seinen Aufgaben, denen er sich zugewandt hat, alles Uebrige vergißt, einzig und allein bedacht, der Heilwissenschaft zu nützen und damit der leidenden Menschheit zu helfen. Und die Umgebung der beiden Stätten wie diese selbst passen ganz zu dem Menschen wie zu dem Gelehrten – hier eine behagliche Häuslichkeit in einem hochmodernen Hause einer neu angelegten Straße am Thiergarten mit dem Blick aus den Fenstern auf die dichten Baumgruppen des Parks von Bellevue – und dort in einer der ältesten Straßen des alten Berlin, in welche jedoch nur leise verhallend der lärmende Weltstadttrubel hineintönt, die stille Forscherklause, aus welcher auch die neue Entdeckung hervorgegangen ist.

„Hygieinisches Institut“ – so steht über dem Eingange des grauen, verwitterten, aus dem vorvergangenen Jahrhundert stammenden zweistöckigen Gebäudes in der Klosterstraße, welches so recht zu dem ganzen Charakter dieses alterthümlichen Stadttheils paßt und auf geschichtlichem Boden steht, denn hier, an dieser Stelle, hatten die ersten brandenburgischen Markgrafen ihren Wohnsitz aufgeschlagen, hier hatte sich ihr alter „Hof“ erhoben, in welchem sie lange residirt. Etwas ehrwürdig Anheimelndes geht noch immer von diesem schwerfällig soliden Bau aus, in dessen weiten, fliesenbedeckten Fluren die Tritte ein lautes Echo erwecken, dessen breite, mit architektonisch durchbrochenem Holzgeländer versehene ausgetretene Treppen deutlich die Spuren langer Benutzung zeigen und dessen großer Hof eine Raumverschwendung aufweist, wie man sie im neuen Berlin nicht mehr kennt. Im Erdgeschoß hat das noch in seiner ersten Entwicklung befindliche Museum für deutsche Volkstrachten ein vorübergehendes Asyl erhalten, im ersten Stockwerk befinden sich die Hörsäle und die Arbeitsräume der chemischen Abtheilung, das ganze zweite Stockwerk aber ist den bakteriologisch-mikroskopischen Untersuchungen eingeräumt. Hier ist denn auch das eigentliche wissenschaftliche Heim Professor Kochs, aus seinem Arbeits- und Sprechzimmer und aus seinem Laboratorium bestehend, und hier bringt er einen bedeutenden Theil des Tages zu, oft schon in früher Morgenstunde erscheinend und wieder erst, wenn die Dämmerung niedersinkt, das schmucklose Gemach verlassend. Schmucklos durch und durch, und doch seltsam anziehend mit seinem großen, grünüberzogenen Tisch in der Mitte, der zu Demonstrationen dient, dem kleinen Schreibtisch am Fenster mit einigen Photographien tuberkulöser äußerer Krankheitserscheinungen vor und nach der Einspritzung mit Kochscher Lymphe und den zahllosen Retorten.

Unsere Anfangsvignette zeigt uns auf dem Regal rechts oben Gläser mit weißen Mäusen, auf dem Tische einen Kasten für ein Kaninchen; daneben Glasröhren mit Watteverschluß, Lymphe enthaltend. Noch zahlloser aber finden wir die vielgestaltigen Geräthe der Wissenschaft im benachbarten Laboratorium und den sich an dieses anschließenden schmalen Sälen, in welchen die Schüler Kochs, zumeist freilich Schüler in vorgerückterem Alter, ihre Untersuchungen anstellen, um ihrem Meister über dieselben Bericht zu erstatten. Erst allmählich umspannt der Blick dieses wirre Durcheinander von Gläsern, Flaschen, Mikroskopen und Kochgeschirren, um endlich doch am längsten an den vielen gläsernen Behältern mit weißen Mäusen und den Holzgattern mit Meerschweinchen haften zu bleiben, welchen Thieren die verschiedensten Bazillen eingeimpft sind, um deren Fortschreiten bei der späteren Secirung zu beobachten. An den auf den Hof gehenden Fenstern stehen kleinere Tische, und hier werden die mikroskopischen Untersuchungen vorgenommen.

Der Zudrang zu diesem hygieinischen Institut ist ein ganz außerordentlicher, und man trifft unter den in demselben beschäftigten Medizinern auf die verschiedensten Nationen, Oesterreich und Italien, Frankreich und England, Amerika und sogar Japan. Im Jahre 1885 erst wurde es auf die persönliche Anregung Kochs hin ins Leben gerufen, und er, der geniale „Kreisphysikus von Wollstein“, der die Leitung übernahm, verschaffte alsbald dem neuen Institut einen Weltruf. Der „Kreisphysikus von Wollstein“ – kaum fünf Jahre waren damals vergangen, daß er diesen Titel abgelegt und dafür den eines Professors an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin erhalten hatte, aber diese fünf Jahre hatten genügt, Robert Kochs Namen zu einem der gefeiertsten in der Medizin zu erheben! Von der Pike auf, um bildlich zu reden, hat Koch seinen Weg zurückgelegt, denn, am 11. Dezember 1843 in Clausthal im Harz geboren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1891, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_014.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)