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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

als Diphtherie bezeichnete Erkrankungen des Rachens bei Thieren und Vögeln ganz verschiedene Krankheiten sind. Unter natürlichen Verhältnissen erkranken die Thiere niemals an menschlicher Diphtherie; es hat sich aber gezeigt, daß man durch Ueberimpfung der betreffenden Bacillen auf verletzte Schleimhäute etc. bei einigen Thieren Diphtherie erzeugen kann, die alsdann je nach der Impfstelle unter denselben oder sehr ähnlichen Erscheinungen wie beim Menschen abläuft. Man erhielt dadurch werthvolles Versuchsmaterial, aber das Wesen der Krankheit blieb noch dunkel, bis die Chemie Licht in dasselbe brachte.

Die Bakterien erzeugen bekanntlich durch Zersetzung der Nahrungsböden, auf denen sie leben, verschiedenartige neue Stoffe, welche man Stoffwechselprodukte der Bakterien nennt. Auch die Hefe verhält sich ähnlich - aus dem Traubenzucker ihrer Nährlösung bildet sie Alkohol und Kohlensäure. Die Chemie hat nachgewiesen, daß auch die Bakterien Gifte erzeugen; sie hat diese Gifte rein dargestellt, und als man sie nun Thieren ins Blut brachte, da fand man, daß jene Gifte einen Theil der Symptome erzeugten, die wir sonst bei Krankheiten beobachten, welche durch die betreffenden Bakterien verursacht werden. Dadurch wurde erwiesen, daß die krankheitserregenden Bakterien den Körper sozusagen vergiften und dadurch zu Grunde richten.

Zu Anfang dieses Jahres ist es nun Brieger, der auf diesem Gebiete die umfassendsten Forschungen angestellt hat, gelungen, aus der Flüssigkeit, in welcher Diphtheriebacillen gezüchtet wurden, das wirksame Gift rein dazustellen. Es besteht aus einer weißen krümligen Masse, welche eine eiweißähnliche Zusammensetzung hat, im Wasser löslich ist und in hohem Grade giftige Eigenschaften besitzt. Es wurde darum „Toxalbumin“ genannt. Spritzt man dieses Gift Thieren ins Blut ein, so erkranken sie nach Tagen, mitunter auch nach Wochen, je nach der Größe der Gabe, unter Erscheinungen, die völlig diphtheritischer Natur sind. Wir können also auch auf diese Weise Thiere diphtheriekrank machen, ohne ihnen die Krankheitserreger selbst einzuverleiben, indem wir ihnen nur das von denselben erzeugte Gift beibringen.

Diese Versuche, auf die wir hier ausführlicher nicht eingehen können, erklären uns den Verlauf der furchtbaren Krankheit beim Menschen.

Demnach lassen sich Diphtheriebacillen an einer Stelle der Rachenschleimhaut nieder; sie dringen nur in die oberflächlichen Schichten ein, rufen hier durch den Reiz eine Entzündung hervor und erzeugen, indem sie sich vermehren, ihr Gift. Sie bleiben an derselben Stelle, sie gehen nicht ins Blut über, sie verbreiten sich nicht durch den ganzen Körper, aber das Gift, welches sie erzeugt haben, wird von den Säften aufgesogen und verbreitet sich von Organ zu Organ, wo es wie ein Ferment[1] wirkt.

Die zunächst der Angriffsstelle liegenden Zellen des Gewebes werden in erster Linie von dem Gifte durchdrungen und getödtet. Von dem Lymphstrom fortgetragen, verschleppen sie das Gift in weitere Entfernungen; so erkranken neue Stellen am Kehlkopf, in der Luftröhre etc., so dringt das Gift in die Milz, so ruft es Entzündungen in der Leber, in dem Brustfell, in den Nieren hervor; so dauert der Prozeß fort, bis der Körper erliegt, oder bis es ihm gelingt, die an der Oberfläche der Schleimhaut im Rachen haftenden Bakterien sammt der brandigen Haut abzustoßen; dann erfolgt Heilung, obwohl das Gift in den Säften noch eine Zeit lang wirken kann und die Nachkrankheiten, Lähmungen und dergl. noch zurückbleiben.

In diesem düsteren Bilde, welches wir nur flüchtig skizziert haben, giebt es noch viele nicht völlig aufgeklärte Punkte, aber das Wesen der Krankheit ist durch die deutsche Wissenschaft in den Grundzügen festgestellt worden, und darin besteht die erste große Errungenschaft, die wir auf diesem Gebiete zu verzeichnen haben. Auf ihr baut sich naturgemäß die Heilkunst auf; dem Arzte ist jetzt in dem Suchen nach Heilmitteln gegen die Diphtherie ein klarer Weg vorgezeichnet, und die Medizin hat nicht gesäumt, ihn sofort zu beschreiten. Von den vielen Heilmethoden, welche für die Behandlung der Diphtherie beim Menschen empfohlen wurden, wird man jetzt diejenigen ausbauen, welche am zweckmäßigsten sind und sich in der That bereits bewährt haben; aber der Fortschritt ist hier nur ein langsamer; denn mit Menschenleben kann man nicht experimentieren, dazu sind die Thierversuche da; durch sie wird weitere Aufklärung gegeben und auf solche Versuche müssen wir uns vorläufig beschränken.

Bei der Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten kommt zweierlei in Frage: 1) Schutz gegen die Ansteckung und 2) Heilung der ausgebrochenen Krankheit.

Was nun den Schutz anbelangt, so bieten uns die Vernichtung der Bacillen durch Desinfizieren des Auswurfes der Kranken, der Wäsche, des Krankenzimmers u. s. w., die Sorge für Absperrung der Kranken, ein Krieg gegen feuchte Wohnungen, die Brutstätten der Diphtheriebacillen, wichtige Handhaben zur Beschränkung der Epidemie. Wir wissen aber, daß es noch einen anderen Schutz gegen anstehende Krankheiten giebt, die Schutzimpfung, wie wir sie bei den Pocken kennen. Der Geimpfte wird gegen eine Ansteckung mit dem Pockengift unempfänglich, er ist „immun“, wie man in der Wissenschaft zu sagen pflegt.

Die Immunität, welche gegen bakterielle Krankheiten den höchsten Schutz gewährt, braucht aber nicht erst durch Impfung erworben zu werden; sie kann auch angeboren sein. Es giebt Arten, welche von einer Krankheit völlig verschont werden, während andere Arten ihr erliegen. So ist z. B. der Mensch für den Typhusbacillus empfänglich, aber es ist bis jetzt nicht gelungen, ein einziges Thier typhuskrank zu machen. Für uns kommt hier nur die erworbene Immunität in Frage. Es ist erwiesen, daß man durch verschiedene Verfahren Thiere mit Erfolg impfen kann, so daß sie gegen gewisse Krankheitserreger unempfänglich werden. Ist es nun möglich, sie auch gegen die Diphtherie immun zu machen? Die Antwort darauf wird eben durch die neuesten Veröffentlichungen aus dem hygieinischen Institut von Robert Koch gegeben: Dr. Behring ist es gelungen, zunächst Meerschweinchen und Kaninchen auf fünffache Art gegen die Diphtherie unempfänglich zu machen.

Bis jetzt hat man zu derartigen Schutzimpfungen immer abgeschwächte Bakterienkulturen oder deren Stoffwechselprodukte genommen; diese Impfungen sind oft mit Gefahren verbunden, weil ein Theil der Thiere schon an der Schutzimpfung zu Grunde geht. Diese Methoden wurden auch von Behring angewandt, und zwar mit Erfolg. Wie wichtig auch diese Ergebnisse für die Wissenschaft sind, so werden sie durch eine neue von Behring geschaffene Methode erst zu einer wirklich epochemachenden Entdeckung, und diese wollen wir hier allein ins Auge fassen.

Unsere Leser haben vielleicht schon vom Wasserstoffsuperoxyd gehört. Dieser Stoff wird zum Bleichen verwendet. Reines Wasser besteht bekanntlich aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom Sauerstoff; seine chemische Formel ist H2 O (Wasserstoffoxyd); verbindet sich nun Wasser chemisch mit noch einem Atom Sauerstoff, so entsteht H2 O2, das ist Wasserstoffsuperoxyd. Es ist sehr leicht zersetzlich und hält sich nur in wässerigen Lösungen; es zerfällt leicht in Wasser und freien Sauerstoff, worauf seine bleichende Wirkung beruht. Da Wasserstoffsuperoxyd auch desinfizierende Eigenschaften besitzt, so wurde es von Behring als Heilmittel gegen Diphtherie bei Thieren versucht. Er fand aber bald, daß dieses Mittel keine heilende Wirkung zeigte, im Gegentheil den Tod der infizierten Thiere noch beschleunigte.

Nun wurde die Versuchsanordnung abgeändert. Behring spritzte zunächst gesunden Thieren Wasserstoffsuperoxyd ein und infizierte sie erst einige Tage nach dieser Vorbehandlung mit Diphtheriebacillen. Nun zeigte es sich, daß diese vorbehandelten Thiere einen mehr oder weniger ausgesprochenen Grad von Immunität erlangt hatten, sie erlagen viel später dem Gifte und einige blieben dauernd gesund, obwohl ihnen eine Dosis von Bacillen beigebracht wurde, welche normale, nicht vorbehandelte Kaninchen binnen 24 Stunden tödtete!

Dies ist nun eine Thatsache, welche das größte Staunen hervorrufen muß; denn es ist bis jetzt noch niemals bekannt geworden, daß ein einfacher, fabrikmäßig hergestellter chemischer Stoff einem Thiere, welchem er eingespritzt wird, Immunität gegen eine todbringende Krankheit verschafft! Der Erfolg bei der Diphtherie ist noch nicht so schlagend, daß er die vollste Ueberzeugungskraft beanspruchen konnte; aber wir werden im nächsten Artikel erfahren, daß ein anderer ebenso einfacher Stoff Kaninchen gegen eine andere fürchterliche Krankheit, gegen den Wundstarrkrampf, völlig immun macht.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_027.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)
  1. * Fermente oder Enzyme nennt man organische Körper, welche innerhalb bestimmter Temperaturgrade in kleinen Gaben verhältnißmäßig große Mengen anderer organischer Körper in neue Körper umzuwandeln vermögen. So ist z. B. das Pepsin des Magens ein Ferment, welches unlösliches Eiweiß verdauen hilft.