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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Wenden wir uns nunmehr den Heilversuchen Behrings zu!

Er infizierte die Versuchsthiere durch Einspritzung von Bacillenkulturen und suchte sie zu retten, indem er ihnen nachträglich verschiedene chemische Stoffe einspritzte. Es wurden gegen 30 Mittel geprüft und durch Natriumchlorid, Naphthylamin, Trichloressigsäure und Carbolsäure vereinzelte Thiere geheilt.

Am wirksamsten erwies sich Jodtrichlorid. Meerschweinchen, denen eine absolut tödliche Dosis von Diphtheriebacillen beigebracht war, wurden gerettet, wenn man ihnen unmittelbar nach der Infektion Jodtrichloridlösung einspritzte. Die Rettung war aber nur dann möglich, wenn die Einspritzung spätestens sechs Stunden nach der Infektion erfolgte.

Die überlebenden Meerschweinchen waren noch lange krank; nachdem sie sich aber völlig erholt hatten, waren sie infolge dieser Behandlung gegen Diphtherie immun und vertrugen Impfungen mit giftigen Kulturen, an denen nicht vorbehandelte Thiere in 36. Stunden starben. Bei Kaninchen erwies sich das Jodtrichlorid noch heilsam, selbst wenn die Einspritzung 24 Stunden nach der Infektion erfolgte.

Leider ist dieses Jodtrichlorid, das eine stark ätzende Wirkung besitzt, kein Heilmittel für Menschen. „Ich bin,“ sagt Behring, „durch besondere vorsichtig an diphtheriekranken Kindern angestellte Versuche zur forcierten Anwendung des Jodtrichlorids nicht sehr ermuthigt worden, und ich betone, daß ich für den Menschen kein Diphtheriemittel habe, sondern erst danach suche.“

Wenn wir uns jetzt erinnern, wie die Diphtherie beim Menschen verläuft, so werden wir wohl zu der Ueberzeugung gelangen, daß man eine Heilung oder Milderung des Krankheitsprozesses nicht allein von der Zerstörung der Bacillen, sondern auch von der Zerstörung des im Körper durch sie verbreiteten Giftes erwarten könnte, denn das Gift, welches in die Säfte dringt, verursacht die schlimmen Symptome; und in dieser Beziehung sind die Ergebnisse der von Behring angestellten Versuche von höchster Bedeutung.

Das Blut diphtherie-immun gemachter Thiere besitzt nämlich die Eigenschaft, das Diphtheriegift völlig unschädlich zu machen. Und da erwächst die hochwichtige Frage, ob es möglich ist, ein an Diphtherie erkranktes Thier dadurch zu heilen, daß man eine Blutüberleitung von einem immungemachten Thier vornimmt?

Zu welchen glänzenden Ergebnissen solche Blutüberleitungen, namentlich bei dem Wundstarrkrampf geführt haben, davon werden wir im nächsten Artikel berichten. Der Erfolg ist so groß, daß Mäuse, selbst wenn sie beinahe schon in Todeszuckungen liegen, noch mit großer Sicherheit gerettet werden können. Freuen wir uns des Erfolges und hoffen wir mit der unermüdlichen Forscherschar, daß ihre Arbeiten bald auch für die leidende Menschheit sich segensreich erweisen werden! C. F.     


Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

I.

Der Aberglaube ist ein dumpfer Fanatismus, eine traurige Karikatur des Glaubens; sein Wesen und Wirken hat das Wort des Dichters treffend gezeichnet: „Der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn“. Gewaltig und machtvoll ist der fromme Glaube, er vermag, wie ein sinniger Spruch lautet, Berge zu versetzen; nicht minder mächtig ist der Aberglaube, er zerschlägt diese Berge, er löst sie auf in unendliche Trümmer, er schafft ein wildes Chaos von Stein und Gerölle, er ertödtet das freudige Leben, er vernichtet jede heitere Harmonie. Wie freundlich malten die alten Deutschen das Wesen der Frau, das sinnige Weben ihres Geistes, den geheimnißvollen Zauber ihres Gemüths, wie erhob das Christenthum die Frau aus Noth und Elend, aus Versunkenheit und Armseligkeit zu Glanz und Größe, zu Huld und Adel! Aber als die christlich-germanische Kultur ihren Gipfel überschritten hatte, da erfand sie die Hexen und ließ die Flammen lodern um unglückliche, jammererfüllte Frauengestalten.

Wie Herrliches, Mannigfaltiges, Großartiges bietet das Walten der Natur im „alten“ Harz, wie hat die Poesie ihn verklärt in goldenen Märchen, lieblichen Sagen, unsterblichen Liedern. Rein und erhaben sind die Genüsse, die seine freundlichen Berge, seine grünen Hügel, seine rauschenden Bäche und Flüsse, seine heitern Thäler, die dunklen Tannenwälder, die die Höhen krönen, der lichtgrüne Laubwald, der sich an die Gehänge schmiegt, erwecken, und doch war das der Masse des Volkes und ist es vielfach noch nur Nebensache. Eine irregeleitete Phantasie sah in den romantischen Bergformen eine Teufelsmauer, einen Teufelsstuhl, eine Teufelskanzel, einen Hexenaltar und ein Hexenwaschbecken; die wildschönste Stelle wurde zum Schauplatz des Hexensabbaths mit seinen schauerlichen Mysterien; selbst die freundliche Anemone alpina ward zum Hexenbesen, der Brockengranit zum Hexenstein. Die liebevolle Naturbetrachtung erfreut und erfüllt das Gemüth mit freundlichen Bildern und spinnt das sinnige Märchen, der Aberglaube geht auf Abenteuer aus, auf die Jagd nach dem Unsinnigen, er läßt die Orgie reifen und auch diese noch entarten.

Der Aberglaube, „des Glaubens liebstes Kind“, ist ja so lange harmloser Art, als er gleichsam zum Privatgebrauch angewandt wird, um seinen Bekenner mit Hoffnung und Vertrauen zu erfüllen, der erlahmenden Willenskraft einen neuen Schwung zu verleihen. Der unbefangene Mensch kann solches Thun mit dem heiteren entschuldigenden Lächeln des Philosophen betrachten. Aber der Aberglaube wird gefährlich und die Quelle von Unheil und selbst Verbrechen, sobald er in seiner Anwendung auf andere Menschen die Probe auf seine eingebildete Wunderkraft leisten soll. Es gilt darum und es ist eine ernste Pflicht aller Freunde einer wahren Volksaufklärung, mit allen Mitteln dem Wahne entgegenzutreten; das soll auch im folgenden geschehen, indem wir an einer Reihe von Fällen wie in einem Spiegel die meist tragischen, hier und da zum Glück aber auch nur komischen Wirkungen dieses bösen Feindes einer gesunden Volksentwickelung zeigen. Es giebt heute keine Hexenprozesse mehr, aber an Hexen, Teufel und böse Geister glaubt man im Volke immer noch in erschreckender Weise, und dieser Blödsinn weiß auch immer noch sein Dasein zum bitteren Schaden der Betroffenen zu beweisen.

Erst jüngst ereignete sich in der Gegend von Lübeck auf einem Dorfe solch ein Fall. Es starb da ein kleines Mädchen und die Mutter desselben vermeinte in ihrem Schmerz, der Tod desselben könne nicht auf natürliche Art, sondern nur durch Behexung erfolgt sein. Eines der alten Weiber, die mit der Teufelei bösartiger Beschränktheit im Bunde sind und deren es überall, zumal auf dem Lande, nur zu viele giebt, fand sich nun bei der Unglücklichen ein und bestärkte sie in ihrer Verrücktheit. Sie kam dann gegen Geldlohn mit einem „Zauberspiegel“ und machte der Mutter ihren Hokuspokus vor, ihr darin diejenige Person zu zeigen, welche das Kind so behext habe, daß es sterben mußte. Richtig: irgend eine Fratze im Spiegel erschien der Mutter als das Gesicht derjenigen Frau im Dorfe, welche schon als Hexe verrufen war. Dies genügte, den Ruf der Bezichtigten derartig zu verschlimmern, daß sie im ganzen Dorfe verfolgt und geächtet wurde und aller gesetzliche Schutz sie nicht mehr vor der moralischen und materiellen Schädigung durch den Aberglauben ihrer Mitbürger, noch mehr wohl ihrer Mitbürgerinnen zu bewahren vermochte. Und dieser Hexenaberglauben-Bacillus überträgt sich natürlich auch auf die empfänglichen Kindergemüther und wuchert da für die neue Generation trotz aller Volksschule weiter.

Tragischer spielte der Aberglaube einem Weibe mit, das aus Eifersucht zu ihm ihre Zuflucht genommen hatte. Es war ein Mädchen vom Lande, das einen hausierenden Wiener Goldwarenhändler geheirathet hatte. Der Mann war seines Geschäftes wegen wenig zu Hause und die Einsamkeit bereitete der jungen und geistbeschränkten Frau Langeweile. Sie fühlte sich unglücklich und marterte sich damit, daß sie ihren Mann für untreu hielt. Um sich darüber Gewißheit zu verschaffen, befragte sie eine der „Wahrsagerinnen“, welche schon viel Unheil in braven Familien gewissenlos angerichtet haben. Die weise Frau gab ihrem gläubigen Opfer den Rath, daß man dem Manne den „Tritt vernageln“ müsse. Um diesen Unsinn auszuführen, besorgte sie einen rostigen „Sargnagel vom Kirchhof“, wie sie versicherte, und den sollte die junge Frau vor dem Bette ihres

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1891, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_028.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)