Seite:Die Gartenlaube (1891) 035.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Was uns die Nachtigall ist, das ist dem Nordamerikaner der Spottvogel oder die Spottdrossel. Wie ihr Name besagt, entlehnt sie anderen Vögeln ihre Weisen. Alle diese Töne werden aber so meisterhaft zu einem Ganzen, zu einem „herrlichen Tonstücke“ vereinigt, daß man die Spottdrossel die „Königin des Gesanges“ genannt und sie selbst über die Nachtigall gestellt hat. Die Streitakten über diese Primadonnen der Neuen und der Alten Welt sind noch nicht geschlossen. Der Phonograph wird diese Fragen jedoch bald in neuen Fluß bringen, indem er den bis jetzt so schwer oder gar nicht wiederzugebenden Vogelgesang festhalten kann.

Wanderdrossel, Hüttensänger und Spottdrossel sind die ausgesprochenen Lieblingsvögel der Nordamerikaner und sind auch in unseren europäischen Vogelhandlungen zu sehen und zu hören, ja sie werden bei uns sogar mitunter mit Erfolg im Käfig gezüchtet. Die Spottdrossel allein wird alljährlich in Tausenden von Exemplaren nach Europa ausgeführt, außerdem halten unsere Vogelliebhaber noch eine große Anzahl anderer nordamerikanischer Vögel, unter denen wir z. B. nur die Kardinäle hervorheben möchten. Die Nordamerikaner beziehen dagegen Vögel von uns und neuerdings suchen sie sogar in gewissen Gegenden deutsche Singvögel einzubürgern. So ist das Interesse für die Vogelwelt diesseit und jenseit des großen Wassers rege und diesem Interesse trägt ein neues Werk Rechnung, welches in Milwaukee erscheint: „Die Nordamerikanische Vogelwelt“ von H. Rehrling (Verlag von Geo Brumder, Leipzig, F. A. Brockhaus). Das Werk ist mit farbigen Tafeln nach Vorlagen von Prof. Norbert Ridgway in Washington, Prof. A. Goering in Leipzig und Maler Gustav Mützel in Berlin geschmückt. Es ist ein Prachtwerk, aber nicht allein, wie dies so oft der Fall ist, was die Bilder, das Papier und den Einband, sondern auch was den Inhalt anbelangt. H. Rehrling kennt einen großen Theil Nordamerikas aus eigener Anschauung und er hat die Vogelwelt seiner neuen Heimath mit richtigem Verständnis, aber auch mit inniger Hingabe geschildert. Es sind wirklich „anziehende, stimmungsvolle“ Bilder, die uns hier vorgeführt werden, und für den deutschen Leser in der Heimath hat das Werk auch den Vortheil, daß in ihm die Stubenpflege der hierzu geeigneten amerikanischen Vögel eingehend berücksichtigt ist. *     

Römischer Sklavenmarkt. (Zu dem Bilde S. 25.) Das Sklaventhum der besiegten Welt bildete die Grundlage der Herrlichkeit und Größe Roms und die Entwürdigung des Adels der Menschheit war ihre Voraussetzung. Das tritt uns lebendig bei dem Anblick dieses von dem Maler so charakteristisch dargestellten Sklavenmarktes entgegen. Welche herrliche Gewalten finden sich unter dieser „Menschenware“! Wie aus Marmor gehauen steht der Jüngling da, der mit gekränzten Armen seinem Schicksal heldenhaft und trotzig entgegensieht. Wie jungfräulich edel erscheint die Sklavin, welche im Gegensatz zu jenem sich dem Schmerz und der Verzweiflung überläßt über ihre auf offenem Markt zur Schau gestellte Schönheit. Tieftraurig blicken auch die anderen Sklavinnen, selbst der kleine Knabe, ein in Rom vielgesuchter Artikel, und auch die schwarze Aethiopierin, die sich an die Lichtgestalt der schönen Sklavin herandrängt.

Nur einer freut sich seines Lebens – es ist der häßliche Sklavenhändler, der, behaglich die Beine von sich streckend, sein Mahl zu sich nimmt; die Peitsche, die gerade außer Tätigkeit gesetzt ist, hat er um seinen Arm geschlungen. Seine Firma: „Storax, Sklavenhändler“ steht an der Wand.

Auch eine lebendige Anschauung von der Art und Weise einer solchen Sklavenschaustellung giebt uns das Bild. Wir sehen das hölzerne Gerüst (catasta), zu welchem eine Leiter in die Höhe führt. Die Käufer steigen hier herauf, um die Menschenware zu untersuchen. Die Verkäuflichen tragen alle am Halse eine Tafel (titulus), woraus sowohl ihr Name wie ihre Geschicklichkeit, ihre körperlichen Fehler und etwaige Vergehen angegeben sind. Krieg, Menschenraub, die strengen Rechtsbestimmungen einer harten Zeit sorgten dafür, daß es den Händlern nie an frischer Zufuhr fehlte. wie selbstverständlich auch die Kinder von Sklaven in diesem Stande verblieben. und fragen wir nach dem Preise, der für ein Stück dieser „Ware“ bezahlt wurde, so erhalten wir die verschiedensten Antworten. Für Ackersklaven zahlte der ältere Cato bis zu 1200 Mark nach unserem Gelde, schöne junge Mädchen, wie sie auf unserem Bilde zum Verkaufe aufgestellt sind, kamen von 1600 bis 4800 Mark zu stehen, während für Kinder rund 500 Mark bezahlt wurden. Sklaven mit besonderen Fähigkeiten, Schreiber, Musiker, Aerzte, Künstler etc. erzielten natürlich viel höhere, oft selbst nach unserem heutigen Geldbegriffe riesige Summen; es wird von einem gelehrten Sklaven Daphnis berichtet, der seinen Herrn nicht weniger als 700 000 Sesterzen, das sind nach unserem Gelde etwa 119 000 Mark, kostete.

Wenn wir heute die Gebiete betrachten, die einst das römische Reich bildeten, so finden wir, daß noch nicht aus allen die Geißel der Sklaverei und der Sklavenmärkte verschwunden ist. Ob es unserer Zeit, ob es dem nahenden zwanzigsten Jahrhundert wohl vorbehalten ist, den letzten Menschenverkauf, den letzten Sklavenmarkt zu verzeichnen? †     

Die Feier des Dreikönigstags in Devonshire. (Zu dem Bilde S. 29) Schon sind elf der heiligen zwölf Nächte verstrichen. Nur noch der Dreikönigstag, der „twelfth-day“ oder „Zwölftertag“ Englands ist übrig. Da rüstet man sich aus den Pachthöfen in Devonshire, sich in althergebrachter Weise eine reiche Obsternte zu sichern. Begleitet von seinen Arbeitsleuten, die mit Flinten, Büchsen und alten Musketen bewaffnet sind, geht der Pächter am Abend nach der weiten Obstpflanzung. Mitten unter den Bäumen wird Halt gemacht. Der grobe Krug Cider oder Apfelwein wird niedergelegt, und jeder schöpft sich daraus sein Trinkgefäß voll Dann treten alle um den beitragenden Apfelbaum, der Pächter bringt einen feierlichen Trinkspruch auf denselben aus, und alle trinken dreimal auf das Gedeihen des Baumes. Dabei krachen die Schüsse durch seine Zweige. Ebenso feierlich, wie die Leute gekommen, kehren sie nach Haus zurück. Aber der Eingang ist ihnen verwehrt: sie finden die Thür innen verriegelt und hinter derselben vor tönt lautes Gekicher.

Es mag regnen oder schneien, stürmen und die Flocken umherblasen, daß man keine drei Schritte weit sehen kann die Frauen bleiben unerbittlich. Die Thür öffnet sich nicht eher, bis einer der Männer errathen hat, was am Bratspieß steckt. Das ist aber nicht so leicht; denn etwas Eßbares ist es sicherlich nicht.

In anderen Gegenden derselben Grafschaft geht man mit einem großen Milchtopf voll Cider, in dem Bratäpfel schwimmen, nach dem Abendessen in den Obstgarten. Jeder schöpft aus dem Topfe eine irdene Schale voll, tritt unter einen der besten Bäume und ruft:

„Heil dir, guter Apfelbaum!
Trage gut, Taschen voll, Hüte voll,
Metzen-, Scheffelsäcke voll!“

Dabei leert er seine Schale zum größten Theil, verzehrt die Bratäpfel und schüttet den Nest an die Wurzeln des Baumes, diesem zum Festschmause. A. T.     

Zwei mongolische Fabeln.

1. Der Frosch und die zwei Gänse.

Zwei Gänse, die gerade im Begriffe waren, auf ihrer Herbstwanderung südwärts zu ziehen, wurden von einem Frosche inständig gebeten, ihn doch mitzunehmen. Die Gänse sprachen ihre Bereitwilligkeit dazu aus, falls nur irgendein. Transportmittel ausersonnen werden könnte. Da zeigte der Frosch einen starken Grashalm vor, ließ die Gänse denselben, je an einem Ende festhalten, während er selbst sich mit seinem Maule in der Mitte anklammerte.

Auf diese Weise machten die Drei ihre Reise mit Erfolg, als sie von unten aus von Leuten bemerkt wurden, die laut ihre Verwunderung über den gescheiten Einfall äußerten und gern wissen wollten wer denn so klug gewesen sei, daraus zu kommen. Der eitle Frosch öffnete sein! Maul und sagte: „Ich war es!“ – Damit ließ er aber seinen Halt los, fiel zur Erde und wurde in Stücke zerschmettert.

Moral: – Laß dich nicht vom Hochmuth zum Reden verführen, wenn du besser stillschweigen würdest.

2. Die Schildkröte im Brunnen.

Eine Schildkröte lebte in einem Brunnen. Eine andere Schildkröte, deren Heimath der Ocean war, fiel auf ihren Ausflügen ins Innere des Landes zufällig in diesen Brunnen. Die Schildkröte fragte nun ihren neuen Kameraden, woher er käme. –

„Aus dem Meere.“

Da sie vom Meere sprechen hörte, schwamm die Brunnenschildkröte ein wenig im Kreise herum und fragte: „Ist das Wasser des Oceans so groß wie dieses?“

„Größer!“ entgegnete die Seeschildkröte.

Die Brunnenschildkröte schwamm alsdann zwei Drittel des ganzen Brunnenumfanges ab und fragte, ob der Ocean so groß sei.

„Viel größer!“ sagte die Seeschildkröte.

„Nun denn,“ sagte die Brunnenschildkröte, „ist der Ocean so groß, wie der ganze Brunnen?“

„Größer!“ sagte die Seeschildkröte.

„Wenn das wahr ist“, sagte die andere, „wie groß ist denn dann der Ocean?“

Die Seeschildkröte erwiderte: „Da du noch nie ein anderes Gewässer als das deines Brunnens gesehen hast, so ist dein Begriffsvermögen sehr gering. Was den Ocean anbetrifft, so könntest du ihn niemals, selbst wenn du viele Jahre darin zubrächtest, auch nur zur Hälfte ergründen, noch auch seine Grenzen erreichen, und es ist durchaus unmöglich, ihn mit diesem deinen Brunnen zu vergleichen.“

Die Schildkröte entgegnete: „Es ist unmöglich, daß es ein größeres Gewässer als diesen Brunnen giebt, du willst nur deinen Geburtsort mit eitlen Worten herausstreichen.“

Moral: – Leute von geringer Bildung, die sich von dem geistigen Horizont hochbefähigter Menschen keinen Begriff machen können und sich ihres Wissens und ihrer Talente rühmen, gleichen der Schildkröte im Brunnen. – Dr. U.     

Der „hundertjährige Kalender“ ist ein Rest der Astrologie, der sich bis auf unsere Tage erhalten hat, denn es giebt noch immer gewisse Leute, die in ihrem Kalender auch den hundertjährigen kaufen wollen. Dr. Mauritius Knauer zu Langheim in Oberfranken (im 16. Jahrhundert) war der erste Verfasser eines hundertjährigen Kalenders; gedruckt wurde ein solcher zum ersten Male erst im Jahre 1701, wo ihn Dr. Hellwig herausgab. Viele Leute glauben, der hundertjährige Kalender habe seinen Namen daher, daß er das Wetter so anzeige, wie es vor hundert Jahren war. Das ist ein Irrthum, der „Hundertjährige“ leistet mehr: in ihm wird nach astrologischen Regeln das Wetter für ein ganzes Jahrhundert vorausberechnet. Dieser Wetterprophet nimmt nach altem Ptolemäischen System die Erde als feststehend an und räumt den Planeten die Herrschaft über Jahre, Tage und Stunden ein. In der Reihenfolge: Sonne, Venus, Merkur, Mond, Saturn, Jupiter und Mars lösen sich die Wandelsterne des alten Himmelsystems in ihrer Herrschaft ab. Zu dem Herrscher ersten Ranges tritt aber in gewissen Zeitabschnitten ein zweiter Planet hinzu, der den Einfluß desselben je nach seinen Eigenschaften abschwächt oder verstärkt. Nach diesen alten Lehren ist Saturnus der oberste der Planeten, ein Feind und Verderber, „giftig von Natur, kalt und trocken“. Die Sonne ist ein freundliches Gestirn, sein Gegensatz. Der Mond ist kalt und windig, Jupiter feucht und warm, Mars heiß und trocken, Venus und Merkur sind kalt. – Wer Lust und Zeit hat, solche astrologische Berechnungen näher kennen zu lernen, der kann dies aus der lehrreichen, für weitere Kreise bestimmten Zeitschrift „Das Wetter“ (Verlag von Otto Salle, Braunschweig) erfahren; Freunden des „Hundertjährigen“ und Anhängern vieler abenteuerlicher Wetterpropheten der Neuzeit möchten wir die Zeitschrift dringend zum Studium empfehlen. Sie werden daraus lernen, wie man „wirkliche“ Wetterprophezeiungen anstellen kann und wie weit unser Wissen und wie weit unser Aberglauben reicht. *     

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1891, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_035.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)