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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Kommen Sie doch! Die Husaren haben uns zum Frühstück eingeladen – ich führe Sie ein.“

„Sehr angenehm – wenn irgend möglich!“ sagte er gedankenlos. Der Vetter der schönen Baronin war ihm heute abend unangenehm. Er dachte an Antje, und wie er sich entschuldigen wolle, daß er den heutigen Tag vergessen hatte. Hoffentlich war sie nicht aufgeblieben, ihn zu erwarten.

„Haben Sie einen Wagen an der Bahn, Barenberg?“ fragte er dann. Er erinnerte sich, daß er den seinigen zu einem späteren Zug bestellt hatte.

„Ich hoffe doch, Irene ist so vernünftig gewesen, mir ihr Coupé zu schicken.“

„Bitte, nehmen Sie mich mit, Barrenberg!“

„Selbstverständlich, Jussnitz!“

Der Wagen war da, und Jussnitz stieg beim Vorbeifahren in der Nähe seines Hauses ab. Als er an der Gartenmauer entlang schritt, bemerkte er Licht im Speisesaal und biß sich zornig auf die Lippen. Sie saß wirklich noch da und wartete auf ihn, und er wußte genau, wie sie ihn empfangen würde, ohne ein Wort des Vorwurfs, mit blassem Gesicht, mit stillgelassenem Wesen und in den Augen einen todestraurigen Ausdruck.

Ungestüm riß er die Saalthür auf. Da stand sie inmitten des Zimmers wie von Rosengluth überhaucht, und ihre Augen leuchteten glücklich auf, als sie den Strauß sah in seiner Hand. So sprach sie ihr zagendes „Leo!“

Sie war so anders, als sie ihm noch eben vorgeschwebt hatte, aber das machte ihm die Sache nicht leichter.

„Wie gut Du bist, Leo!“ sagte sie noch einmal und nahm die Blumen aus seiner Hand. Sie hätte gern gesprochen: „Du glaubst nicht, welch eine Wohlthat es für mich ist, daß Du da bist!“ aber sie wagte es nicht. Er sah so abgespannt und müde aus.

„Ich habe mich etwas angestrengt,“ erwiderte er, als läse er die Gedanken seiner Frau, „wollte noch gern den Neunuhrzug erreichen.“ Er goß sich ein Weinglas halb voll Rum und, sich am Tische niederlassend, fügte er hinzu. „Ich mußte heute nothwendig in die Stadt wegen – des Ateliers wegen – ich habe es gemiethet.“

Antje sah ihn an mit erschrockenen Augen, sie wußte von nichts. „Ein Atelier in der Stadt?“ fragte sie, und alle Klangfarbe war aus ihrer Stimme gewichen.

„Ja, Du weißt doch, ich will Porträtstudien machen. Soll ich etwa meine Modelle hierher kommen lassen? Das paßt mir nicht.“

„Und Du willst dann alle Tage drinnen sein, und –?“

„Ob alle Tage – das weiß ich noch nicht; es kann immerhin sein, daß ich wochenlang hinter einander weg bin, wenn ich gerade eine interessante Arbeit habe. Wird sich ja finden.“

Sie senkte den Kopf und schwieg.

„Laß doch etwas Ordentliches zu essen bringen, Antje, auf die durchsichtigen Mettwurstscheiben habe ich keinen Appetit. Speisest Du immer so großartig, wenn Du allein bist? Mich soll’s nicht wundern, wenn Du nächstens auf die Sprünge Deiner Mutter kommst und Dir eine Güte an Mehlbrei thust, sobald ich nicht daheim bin. – Franz!“ wandte er sich an den Diener, „bringe eine Flasche Röderer.“ Und gähnend fügte er gegen Antje hinzu: „Wir wollen doch auf den heutigen Tag anstoßen, Kind! Herr Gott, bin ich müde! Die Bude liegt beinahe da draußen in Räcknitz oder wie das Nest heißt.“

„So weit?“ fragte sie wie abwesend und legte die Veilchen, die wie vermodertes Gras rochen, auf den Kaminsims.

„Weit?“ antwortete er, „was heißt weit? Von hier aus vielleicht eine Stunde mit unseren Pferden.“

Eine Stunde nur! Aber Antje kam diese Stunde vor, als seien es Tausende von Meilen.




Frau Postsekretär Berger – aus dem französischen „Bergère“ war längst ein deutsches „Berger“ geworden – konnte als Muster einer biederen Bürgersfrau, mit allen Tugenden und Mängeln einer solchen, bezeichnet werden: gutmüthig, peinlich sauber, sparsam bis zur Kleinlichkeit, neugierig wie eine Elster, was die Angelegenheiten ihrer guten Nachbarn und Freunde betraf, hilfbereit bei fremdem Unglück und unbarmherzig streng in Sachen der Moral. Dazu kam ein etwas cholerisches Temperament, eine sehr bewegliche Zunge und ein großer Hang für Kaffee- und Theegesellschaften, in denen man ein rechtes Wort reden konnte unter gleichgestimmten Seelen.

Sie lebte von ihrer sehr bescheidenen Witwenpension und den Zinsen eines fünftausend Thaler betragenden Vermögens, das sie mit in die Ehe gebracht hatte, nach ihrer Ansicht ganz behaglich und erübrigte sogar noch etwas für Arme und Kranke, wenngleich sie, sobald sie um eine Unterstützung angegangen wurde, grausam schimpfte und zankte. Ihre Verwandten in der kleinen märkischen Stadt da draußen waren ihr zeitlebens ein Dorn im Auge gewesen. Sie hatte ihrem seligen Mann stets offen erklärt, daß sie so leichtfertige Leute wie die Familie von Zweidorf nicht leiden möge. Jedesmal, wenn wieder die Anzeige von der Geburt eines Kindes eintraf – und dies geschah neunmal in dem schwägerlichen Hause – erhob sie ihre Stimme und rief Himmel und Hölle zu Zeugen an, daß sie nimmermehr etwas thun werde für diese armseligen Hungerleider, daß die märkische Verwandtschaft sich sehr irre, wenn sie meine, sie, die Frau Polly Berger, geborene Trutz, werde helfen, die überflüssigen Gören aufzufüttern. „Nimmermehr! Hast’s gehört, Berger?“ schloß sie.

Ja, Berger hatte es gehört, aber er sagte nichts darauf. Er wußte ja so genau, daß innerhalb der nächsten zwölf Stunden ein Päcklein mit allem möglichen, was Noth thut für eine Wochenstube, sogar mit ein paar blanken Thalern, in ein Bündelchen Leinwand gesteckt, zur Post befördert wurde; und so ließ er sie schelten, die kleine rundliche Frau mit dem trotzigen Stumpfnäschen im Gesicht, auf der die Brille gar so schlecht festsaß. Mitunter sagte er auch wohl: „Polly, man soll nichts verreden; schau, lange lebe ich nicht mehr, und wenn Du mich dann hinausgeschafft hast auf den Friedhof, wird’s Dir doch sehr einsam vorkommen, denn Du wirst keinen haben, der Dir ruhig zuhört, wenn Du schiltst, und da nimmst Du Dir schließlich doch noch einmal so ein Zweidorfsches junges Blut ins Quartier!“

„Ich? Damit ich mich zu Schanden ärgere und sorge?“ zeterte dann Frau Polly. „Bedenke doch nur ’mal, Berger, ehe Du den Unsinn redest, was bei solchen Eltern für eine Doppelportion von Leichtsinn auf die Kinder gekommen sein muß! Da fängt so ein Mädel womöglich unter meinen ehrlichen Augen Liebschaften an wie seine Mutter, oder macht Schulden wie sein Vater – und so etwas wolltest Du mir gönnen? Berger, das habe ich nicht um Dich verdient!“ Und schließlich brach sie in Schluchzen aus. „Ich weiß ja, es ist Deine Schwester – aber – schau, Berger, ich bin doch Deine Frau, und, abgesehen von allem andern, solltest Du nicht vom Sterben reden; ich gräme mich zu Tode, wenn Du mich allein läßt in so einer falschen Welt.“

Aber er ließ sie doch allein eines Tages, und Frau Polly wollte zuerst schier verzagen in der Einsamkeit, die seinem Scheiden folgte. Es war ein Glück, daß sie so viele gute Freundinnen besaß und so gern in Kaffee- und Theekränzchen ging. Sie fand sich nach und nach in ihren Witwenstand hinein, wurde noch sparsamer, interessirte sich noch mehr für fremde Leute und hatte vollauf Zeit, von ihrem Fensterchen aus die Nachbarn zu beobachten. Zu Tode grämte sie sich nicht.

Manchmal kam allerdings die Sehnsucht über sie nach den freundlichen Lauten einer Menschenstimme, wenn sie bei schlechtem Wetter so recht verlassen zu Hause saß in der Dämmerung und strickte; aber an ein Zweidorfsches Mädchen dachte sie doch nicht.

Und nun war es trotzdem gekommen, wie der selige Berger es prophezeit: in die stille Witwenwohnung der Frau Postsekretär Berger sollte eine der Zweidorfschen Töchter ihren Einzug halten. Als eines Tages wieder einmal ein gar so sorgenschwerer Brief des Herrn von Zweidorf kam, da hatte sie erwidert, er möge ihr in Gottesnamen das Mädel, das durchaus malen lernen wolle, schicken. Freilich schalt sie sich nach ein paar Stunden selbst darüber aus; nun sei es vorbei mit dem ungenirten Leben, und, anstatt daß sie wie jetzt täglich ein halb Pfund Fleisch kaufe, müßten es fortan dreiviertel Pfund sein. Sie schwankte, ob sie nicht wegen Kränklichkeit wieder abschreiben solle; dann meinte sie aber, diese Hildegard – „welch ein verrückter hochtrabender Name! Na, wir wollen Dir die adligen Mucken schon austreiben, mein Töchterchen“ – diese Hildegard könne doch nicht den ganzen Tag malen, und es werde gut sein, wenn sie in den Morgenstunden auch etwas Praktisches treibe; auf diese Weise wäre vielleicht die Aufwartefrau, wenn auch nicht ganz zu ersparen, so doch nur noch auf eine Stunde vonnöthen. „Nun,“ tröstete sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_042.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)