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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Rock zu theilen, während früher die Schultern allein Träger des aus dem Ganzen geschnittenen Kleides gewesen waren. Die Gestalt erhielt einen starken Abschnitt in eine obere und eine untere Hälfte. Und da dieser Abschnitt das Neue war, begann die Mode alsbald, hastig sich daran zu machen, ihn recht entschieden herauszubilden. Der „antike“ Anzug war ein lothrecht sich aufbauender, ansteigender, die nun beginnende neue Mode drängte auf das Gegentheil, die wagrechte Entwicklung, erging sich in die Breite.

Der Uebergang vollzog sich nicht plötzlich. Der Formensinn mußte sich der neuen Anschauung erst anbequemen. Aber schon um 1825 erschienen die Frauen wie umgewechselt. Glichen sie früher einem aufrechten Strich, so wurden sie jetzt zu einem dicken, zweimal tief eingeschnürten Sacke. Als die Revolution abermals ihr Haupt erhob, als das Königthum der Bourbonen abermals abgewirthschaftet hatte, war diese Mode wieder auf ihrem Höhepunkt angelangt. Das Jahr 1830 bezeichnet eine der tollsten Ausschweifungen des royalistischen Geschmackes.

Den Kopf deckte ein Hut, dessen Breite die des Gesichtes in der Regel um das Dreifache überbot. Ein Thurm von Federn, Schleifen u. dgl. baute sich auf ihm auf. Der Hals war möglichst frei. Es kam darauf an, durch Gegensätze zu wirken, den Abschnitt möglichst entschieden zu kennzeichnen. Der Schnürleib war scharf angezogen. Die „Taille“, das künstliche Einengen der unteren Brust und der Seiten, wurde der Zeit Ludwigs XIV. und XV. nachgeahmt. Man nannte die Mode sogar nach den Maitressen dieser Fürsten. Die Pompadour, die Maintenon und die Dubarry begannen der Ninon den Rang als Vorbilder der neuen Zeit streitig zu machen. Aus der engen Taille heraus aber entwickelte sich eine außerordentliche Schulterbreite. Der Oberarm wurde mit in die Kleidformen hineinbezogen; man überlud ihn mit bauschigen Aermeln, man legte die Falten des Leibchens so, daß sie in scharf seitlich gebogenen Linien von der Gürtelmitte nach den Achselhöhlen verliefen und darüber hinaus die Aermel umspannten. Höchster Erfolg der Bekleidungskunst war aber, bei einem Gürtel von 55 cm dem Kleid in Schulterhöhe eine Breite von bis zu 80 cm in der Vorderansicht, also einen Umfang von etwa 2 Metern zu geben. Also wieder eine tief einschneidende Abtheilung der Gestalt, die jener von Hals und Hut entsprach. Von den Hüften hing ein weites, aber gleichmäßig kurzes, stark fußfreies Kleid herab. Dieses war durch gesteifte Unterröcke gestützt, so daß es weit abstand. Schon in der späteren Zeit der „Antike“ hatte man die „Volants“ erfunden. Nun wurden sie bald für fast vierzig Jahre die maßgebende Schmuckform am Rock. Volants nannte man meist gekrauste Besätze, die, einseitig an den Rock genäht, mit der freien Seite schräg von diesem abstanden. In der Regel waren sie als wagrechte Streifen an die Kleider befestigt und halfen, die Gestalt künstlich zu verbreitern. Ein solches Kleid aus dem Jahre 1830 hatte unten bereits 2 Meter Weite, ohne die Falten gerechnet. Alle Hilfsmittel schienen den Frauen recht, um breit und kurz zu erscheinen. Denn es ist eine bekannte Thatsache, daß lothrechte Abtheilungen die Gestalt verlängern, wagrechte sie verkürzen. Selbst die Füße waren durch das Bandwerk der sandalenartigen Schuhe wagrecht getheilt.

Besonders lächerlich erscheinen die Winterkleider. Der Mantelkragen, die gewaltig gebauschten Aermel – „gigots“, „Hammelkeulen“, nannte man sie – der kurze, weite Rock ließen die Figur als einen kurzen Haufen erscheinen, dessen Umrißlinie schwerlich etwas von der menschlichen Gestalt erkennen ließ, es sei denn die in sehr schmale Schuhe gepreßten Füße, die unter der plumpen halb so breiten wie hohen Masse besonders schwach und zart erschienen.

Gegen die „antike“ Tracht war die der Restauration künstlerisch ein gewaltiger Rückschritt. Dort war die menschliche Gestalt vielleicht zu offen zur Darstellung gekommen, hier siegte das Werk des Schneiders über das des Schöpfers. Die von den natürlichen Bewegungen unabhängigen Kleider erhielten einen durchaus schneidermäßigen Aufputz an Schleifen und Bändern, Rüschen und Blonden, der ganz willkürlich angeheftet werden konnte. Bei aller Weitheit war der Geschmack kleinlich und gesucht.

Das zeigte sich am auffallendsten beim Kopfputz. Man wollte die Wirkung des Hutes auch beim Ballkleide nicht vermissen und baute aus Bandwerk, Federn und Haar die absonderlichsten Kunstwerke auf den Frauenköpfen auf. Auch das 18. Jahrhundert hatte ganz unverständig hohe „Toupets“ getragen. Aber nie haben die Haarkünstler so überfeinerte Werke geschaffen wie in den dreißiger Jahren. Es erschienen große Kupferwerke mit ihren Entwürfen. Monsieur Narcisse oder Hippolyte waren weltbekannte Leute. Das „Album Grandjean, journal des coiffures et des modes“ machte große Geschäfte. Man begnügte sich nicht mit einer gleichseitigen Anordnung, sondern jede Kopfhälfte mußte ihre eigene Haarbehandlung haben. Man bildete Blumen aus natürlichem Haar und flocht ausgestopfte Vögel in dasselbe. Jede Art der Scheitelung hatte etwas zu bedeuten, diese galt für schmachtend, jene für unternehmend. Stundenlang arbeitete der Künstler an einem Kopfe, um das Meisterwerk zu vollenden. Berühmte Haarkünstler kamen am frühen Morgen, um für den Abend ihr Werk vorzubereiten. Dann hieß es den Tag über fein still sitzen, damit nicht die Blumen sich lösten, der Bau ins Schwanken kam. Aber welche Qual ertrüge man nicht, um schön zu erscheinen!

Bald nach der Revolution von 1830 begann sich aber wieder ein Wandel zu vollziehen. War bisher die Schulter als eine wagrechte Linie erschienen, so begann nun die Mode, abfallende Formen für sie zu wählen. Die Hüte wurden kleiner und erhielten eine ganz abscheuliche, aber durch Jahrzehnte mit geringen Aenderungen beibehaltene Form! Sie umfaßten nämlich das Gesicht auch seitlich in Art der Scheuleder der Pferde. Um zur Seite zu sehen, mußten die Frauen den Kopf völlig umdrehen, denn die beiden Backentheile des Hutes ragten weit über das Gesicht vor. Schattenspendend war diese „Kiepe“, sie gab auch dem Gesicht eine angenehme Rundung und bot Gelegenheit, dieses durch ihm gut stehende Farben zu verschönen. Das Gebundene, Unfreie der Zeit äußert sich aber deutlich an der geschmacklosen Form. Die Haaraufbauten verschwanden und die Künsteleien verzogen sich vom Scheitel an die Backen, so daß die Ohren meist durch Locken oder Haarwickel verdeckt wurden.

Der Schnitt des Kleides blieb der alte, aber die Umrißlinie der ganzen Figur änderte sich durch die Vorliebe für Shawls. Seit etwa 1836 beginnen diese, das Prunkstück der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_046.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)