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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

stirbt er an einer Krankheit, von der die jungen Leut’ schon lang kurirt sind – an der Einbildung!“

Bertl weinte helle Thränen, der Vater ging stürmischen Schrittes in der Stube auf und ab.

„Ja, das ist die Stadt, diese verfluchte Allerweltsgleichmacherin! Alles gleich, Häuser und Menschen! Und doch ist’s eine Lüge, eine großmaulige Redensart, und nirgends glaubt man im Herzen weniger daran als gerade in der Stadt. Es giebt keine Gleichheit, so lange es Menschen giebt, und wer es erzwingen will wie Ihr, der erzwingt sein Unglück.“

„Ich versteh’ von dem allem nichts,“ mischte sich jetzt Bertl unter Thränen ein, „ich weiß nur, daß ich von dem Mann nimmer lasse und alles thue, um die Kluft, die mich und ihn trennt, auszufüllen, und daran soll mich niemand hindern! Ich verlasse morgen Dein Haus, Vater; wenn es Dir mehr am Herzen liegt als Dein eigenes Kind – auch gut!“

Sie erhob sich mit entschlossener Miene.

„Dann gehen wir zusammen, Bertl!“ – Hans sagte das, der eben eingetreten war.

Unter der Thür blieb Bertl stehen und sah zurück auf den Vater. Aber der sprach kein Wort. Er stand am Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

Bertl ging auf ihr Zimmer, durch dessen offene Fenster der würzige Geruch des Herbstes, aufgewühlter Erde, überreifen Obstes drang; wie kahl und dürftig ihr hier jetzt alles erschien! Die Mutter kam eilig nach. Sie mußte erst recht ausführlich erzählen hören! Die Augen der Frau Margold glänzten von mitempfundenem Glück, der Vater war ihr unbegreiflich in seiner Hartnäckigkeit; übrigens zweifelte sie nicht, daß er nachgeben werde. „Er weint unten,“ sagte sie, „und das hat er nur einmal gethan, seit wir verheirathet sind; da hat er nachher auch nachgegeben. Es war am Abend, bevor er auf mein Zureden den Dienst kündigte beim alten Brennberg, um selbst ein Geschäft anzufangen. Er muß immer gezwungen werden zu seinem Glück, er ist wie ein Kind. – Träume nur recht schön von Deinem Schatz! Gott, ist das eine glückliche Zeit!“ Sie küßte leidenschaftlich ihre Tochter und verließ das Stübchen.

Margolds sonst so stilles Haus konnte diese Nacht nicht zur Ruhe kommen. Bald da, bald dort leuchtete es hinter den Fenstern auf, zwischen den Schuppen, selbst in den Warmhäusern im Garten – wie ein unruhiger Gedanke.

„Die läßt der Neid nicht schlafen!“ meinte Loni, als sie spät in der Nacht mit dem schlaftrunkenen Vater heimkam, um zum letzten Male in dem kleinen Häuschen an der Landstraße zu übernachten.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüthen.

Auf dem Standesamt. (Zu dem Bilde S. 40 u. 41.) Der Schullehrer in Oberwiesenbach hat immer eine große Freude gehabt an des Bauern Hinterhöfer blonder Veva, weil sie so schön schreiben konnte, schöner als alle die anderen Kamerädinnen. „Da, nehmt Euch die Veva zum Exempel, die schreibt wie gestochen!“ so hatte er gern den Ehrgeiz seiner Blldungsbefohlenen anzustacheln versucht.

Nun, heute hat sie Gelegenheit, ihre Kunstfertigkeit in vollem Lichte erstrahlen zu lassen! Sie hat ja ihren Namen unter das standesamtliche Protokoll zu setzen, das sie und ihren getreuen Balthasar zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten macht. Aber merkwürdig: heute will es gar nicht recht gehen! Nicht als ob sie ihren Bräutigam nicht von Herzen gern hätte, als ob sie vor dem letzten Schritt bangte, der sie ihm zu eigen giebt. Im Gegentheil! Sie ist ihm schon lange verlobt und hat den Hochzeitstag fast nicht erwarten können! Aber trotzdem – oder gerade deshalb? – zittert ihre Hand und die Augen flimmern ihr, daß sie den Platz für ihre Unterschrift nicht finden kann und der etwas verdrießliche Standesbeamte ungeduldig zum zweiten und dritten Male mit dem Finger darauf weisen muß.

Der Bräutigam verliert die Ruhe darüber nicht; gelassen steht er neben der verlegenen Liebsten und wartet mit männlicher Ueberlegenheit, bis sie glücklich ins Reine gekommen ist; es schmeichelt am Ende nur seinem Selbstgefühl, wenn seine getreue Veva über der Wichtigkeit dieser entscheidenden Handlung etwas aus der Fassung geräth. Auch der Vater, der alte Hinterhöfer, läßt sich nicht aufregen; aber natürlich, die zwei Brautjungfern, die naseweisen Dinger, die können es nicht lassen, lose Scherze mit gedämpfter Flüsterstimme auszutauschen, in ihr festtägliches Taschentüchlein zu kichern und die Würde des Orts aufs schnödeste zu mißachten. Das kann der Bäuerin, der Hinterhöferin, nicht gefallen! Sie ist immer für Zucht und Ordnung gewesen, immer und überall, und vollends heute und hier, wo ihre einzige Tochter vor dem Amt steht und etwas so Ernstes unterschreiben muß. Mißbilligend fliegen ihre Blicke hinüber zu den respektlosen Ruhestörerinnen; am liebsten würde sie gleich handgreiflich dazwischen fahren, aber da das auch wieder nicht geht, so ballt sie wenigstens die Faust – um ihrem inneren Grimm doch etwas Luft zu machen. Nur einer hat seine Freude an dem Geschäker der zwei hübschen Mädel. Das ist der junge Amtsdiener, der mit seiner Aktenmappe hinter ihnen steht und wartet, bis der Akt fertig ist und er sein Trinkgeld kriegt. „Solche Gesellschaft hab’ ich nicht alle Tage!“ denkt er – und das ist angesichts der Sachlage ein sehr begreiflicher Gedanke! =     

Auf der weiten Welt allein. (Zu dem Bilde S. 37.) Wie mag ihm weh ums Herz sein, dem einsamen Menschenkinde, das da am Wegrande sitzt auf schmaler beschneiter Planke und den Blick sehnsuchtverloren auf der schneebedeckten Erde ruhen läßt, während seine Hand – ist’s, um das Mitleid eines Nahenden zu erwecken oder zum eigenen Troste? – mechanisch an der Kurbel des eigenartigen Musikinstrumentes dreht und ihm seltsam melancholische Töne entlockt! Und tiefes Mitgefühl ergreift auch den Beschauer beim Anblick des bedauernswerthen Geschöpfes, das ein hartes Schicksal hinausstieß auf die winterliche Straße, dort ein kärglich Brot sich zu erwerben – allein auf der weiten Welt.

Es ist eine Savoyardin, die das Bild des Malers Professor G. Induno uns vorführt. Ihre Heimath ist jenes großartige Bergland um den Riesen Montblanc her, das wohl dem fernher kommenden Besucher unendliche Reize enthüllt, aber seinen Bewohnern doch nur kümmerlichen Unterhalt gewährt. Und so ziehen sie denn, die Knaben und wohl auch die Mädchen, wenn der Winter kommt, hinaus in die beglückteren Länderstriche, um sich mit allerlei Hantierung der bescheidensten Art das Brot zu verdienen, das die Heimath ihnen versagt. Oft ist dann ein eigenthümliches Saiteninstrument der treue Gefährte auf der Wanderschaft, die „Gironda“, die mit ihren schlichten dünnen Tönen die Herzen der Mitmenschen zu mildthätigem Wohlthun rührt und dem armen Spieler oder der doppelt verlassenen Spielerin manch Scherflein werkthätiger Menschenliebe zuführt. So ist auch das Mädchen auf unserem Bilde gezogen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, rastlos, ruhelos. Der Wintersturm drang ihm durch die ärmliche Kleidung, wühlte ihm in den Strähnen des schwarzen Haares und fuhr ihm eisig um das liebliche Antlitz; aber es durfte nicht müde werden – eine kurze Rast am Wege und dann weiter, hinein in die weite Welt – allein! =     

Ueberfall. (Zu dem Bilde S. 49.) Das Ende eines erregten Dramas ist es, was der Künstler uns in seinem Bilde schildert. Eine Rotte Wölfe hat einen kapitalen Hirsch überfallen und er wird ihnen eine leichte Beute, denn er war schon vorher schwer verwundet. Im Kampfe mit einem Nebenbuhler ist er, vom tödtlichen Stoß des feindlichen Geweihs in die Weichen getroffen, unterlegen; so rasch er es noch vermag, entflieht er, verfolgt vom Siegesgeschrei des Gegners.

Und nun das traurige Ende des Besiegten! Die Wölfe haben die Schweißfährte des kranken Hirsches aufgenommen und ihn dicht am Felsenhange aus dem Wundbette gesprengt. Bald ist der Hirsch gestellt, der mit niederem Kopfe die Anstürmenden abzuschlagen sucht. Aber von allen Seiten drängt’s heran und der schon Todeswunde hat nicht mehr die Kraft, sich mit dem Geweih seiner Feinde zu erwehren.

Eine Eisenbahnkirche. Während das westliche Europa trefflich eingerichtete Schlafwagen und Wirthschaftsräume auf den Eisenbahnzügen besitzt und Nordamerika auf seinen den ganzen Welttheil durchfliegenden Eilzügen alle diese Einrichtungen zur größten Vollkommenheit ausgebildet hat, ist man in Rußland auf den Gedanken gekommen, mitten im lärmenden Eisenbahnverkehr in den Zügen selbst auch der Andacht eine Stätte zu bereiten. In den Eisenbahnwerkstätten zu Tiflis ist eine Eisenbahnkirche hergestellt worden, die aus einem Wagen von vier Achsen besteht; er enthält einen kleinen Abtheil für den Geistlichen und Platz für 70 Personen, die dem Gottesdienste beiwohnen wollen. Der aus Eichenholz geschnitzte Altar befindet sich im hintern Theile des Wagens; auf dem Verdeck über demselben erhebt sich ein goldenes Kreuz. Zu beiden Seiten des Altars befinden sich Sitzplätze, die Mehrzahl der Andächtigen muß indeß stehend die Predigt anhören. Drei kleine Glocken, die harmonisch zusammentönen, sind unter der Plattform angebracht. Solche Eisenbahnkapellen sollen auf allen Hauptbahnen des russischen Reichs eingerichtet werden; sie sind indeß nur für Kriegszeiten bestimmt und sollen den Generalen, Großfürsten und ihrem nächsten Gefolge bequeme Gelegenheit bieten, ihren religiösen Gefühlen in kirchlicher Andachtsübung Ausdruck zu geben.†     



Inhalt: [Anm. WS: Inhaltsverzeichnis des vorstehenden Heftes, nicht transkribiert]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_052.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)