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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 4.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Eine unbedeutende Frau.

Roman von W. Heimburg.
(3. Fortsetzung.)

Tante Polly schlief nicht, und Hilde auch nicht. Das Mädchen drückte sein glühendes Gesicht in die Kissen und träumte von einer wunderbaren Zukunft. Der erste Schritt war gethan; Hilde von Zweidorf hatte den felsenfesten Glauben, daß es ihr einmal glücken müsse in der Welt; sie hatte lange gekämpft, ehe sie die Einwilligung des Vaters erhielt, Malerin werden zu dürfen; sie hatte diese Kämpfe geführt mit einer gar nicht zu entmuthigenden Zuversicht. Es war ihr undenkbar, daß sie, die Hilde von Zweidorf, so leben und so verblühen sollte, wie die Toni es gethan hatte, wie die andern Schwestern im Begriff standen, es zu thun. Sie hatte diese hundertmal „schlappe Seelen“ gescholten und den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, wenn sie sah, wie die vier Schwestern, die außer ihr noch zu Hause waren, jeden Tag, den Gott werden ließ, mit dem Glockenschlage Acht in dem kleinen Zimmer saßen und nähten oder stickten. „Maschinen seid Ihr, aber keine Menschen!“ hatte sie ausgerufen, „fangt doch etwas anderes an, geht hinaus in die Welt – hier, in unserem armseligen Haus, kehrt das Glück nimmer ein, wir müssen es suchen!“

Aber die andern meinten, die Hilde wäre überspannt; sie hätten es hier zu Hause doch noch immer besser wie Bärbe und Lotte, die in ihrem Diakonissendienst nur ewig Krankheit, Noth und Tod ansehen müßten. – Nun, Hilde hatte nicht genäht; sie verdiente sich ihr Geld durch Malereien auf Seide und Leder, sie saß halbe Tage lang an den Wiesen, die sich um das Städtchen zogen, und malte in Wasserfarben die alte Burg hinter dem Flüßchen, den Eichenkamp, der sich fern vom Horizont abhob, oder einen Bauernhof mit wendischem Giebeldach, unter mächtigen Linden halb versteckt. Wenn es dann so einsam war um sie her, wenn die Sonne so goldig auf den Fluren lag, von fern die Mittagsglocke läutete und die Bienen im Grase summten, dann starrte sie mit den dunklen Augen traumverloren in die Ferne; sie sah nicht mehr das, was vor ihr lag: sie sah ein goldschimmerndes Chaos, noch nicht entwirrbar, noch nicht deutlich, aber sie wußte, das war das Glück, und Glück war Ruhm und Reichthum und dann – Er –.

Er mußte etwas sehr Bedeutendes und Vornehmes sein. Nur nicht kleben bleiben in dieser Niedrigkeit; nur hinauf in die durchgeistigte Sphäre der höheren Kreise. Und warum auch nicht? Hilde wußte, sie war talentvoll und – schön! Hinaus aus dieser Enge, wo aus Mangel an Kavalieren die Gymnasiasten sich Fräcke machen ließen und die Kur schnitten wie erwachsene Herren. Hilde hatte nie ein Altwedeler Tanzfest besucht, und wenn die

Nicht weinen!
Nach einem Oelgemälde von P. Seignac.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_053.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2021)