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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Der Freiherr bekam jedes Mal einen Hustenanfall, wenn jemand die Rede auf den Wald und die Bahn brachte: er behauptete, die schlechte Stadtluft, die jetzt bei Nordwind gerade auf ihn zugetrieben wurde, sei daran schuld. Und sie kam wirklich an ihn heran, die Stadtluft. Der Holzhändler, dem er sonst die Thür gewiesen hatte, wurde von ihm jetzt wenigstens angehört. „Der Wald ist ja doch verloren, der Sturm kann ihn jetzt von allen Seiten fassen, die Freude daran ist mir nun einmal verdorben,“ so redete er sich selbst ein, während der gebotene hohe Preis ihn lebhaft erregte. Sein Theodor, der Lieutenant, brauchte viel Geld – so schlug er einen Morgen um den andern los. Schönau warf eine spärliche Rente ab und Christian hatte sein ganzes Leben mit finanziellen Verlegenheiten zu kämpfen, nur zu oft sparte er sich die Repräsentationskosten seines Hauses vom Munde ab. Jetzt in seinen alten Tagen fiel ihm auf einmal das Geld nur so in den Schoß, um das er oft die qualvollsten Nächte durchlebt hatte. Die Habsucht erwachte in ihm.

Was wurde denn geschätzt in der Stadt? Etwa ein alter Name, ehrenvolle Traditionen einer Familie? – Geld, und nichts als Geld! Nicht nur beim Volke, nein, auch bei Hofe! Wie sie ihn behandelten, die Herren Adjutanten und Kammerherren, ihn, den armen Brennberg von Schönau im altmodischen Frack, als er Audienz verlangte! Gab etwa sein Sohn, sein Theodor etwas auf die Güter, die er selber, der Vater, hochzuhalten gewohnt war? Konnte er die Idee in ihm retten, in der sein Vater aufgewachsen war? Nimmermehr! Die Kinder sind nicht mehr Kinder ihrer Väter wie früher, sondern Kinder ihrer Zeit. Theodor lachte über das verschnörkelte, altmodische, ärmlich eingerichtete Schlößchen, über die alten brüchigen Ahnenbilder, über den Vater selbst in dem kaffeebraunen langen Rock mit steifem Kragen, der hohen schwarzen Kravatte und den Vatermördern, über das „Euer Gnaden“ der Dienstboten, auf das so streng gehalten wurde. Geld wollte er, Geld, um zu genießen! Das war das neue Evangelium, gepredigt aller Orten, von allen Ständen, tausendstimmig scholl es heraus aus dem schwarzen Dunst der Stadt, und an den alten Mauern von Schönau brach sich das Echo.

Darum, wenn auch mit blutendem Herzen, die Taschen gefüllt von dem Erlös des alten treuen Waldes! Ihn selbst freilich, den Herrn von Brennberg mit dem kaffeebraunen Rock und der hohen Kravatte, sollte der Zeitgeist doch nicht unterkriegen, ihn nicht und das Schlößchen auch nicht, das schwur er sich wiederholt; da wollte er sich verschanzen und alle Angriffe muthig abschlagen, keinen Fuß breit weichen von seinem Standpunkt – sterben im kaffeebraunen Rock unter dem Gelächter der Menge!

Seine Frau war gestorben kurz nach der Geburt seines Sohnes, des letzten Brennberg; alles that der Vater, den Jungen in seinen Anschauungen zu erziehen; doch sonderbar, der kümmerte sich um nichts, als was hinter dem Walde lag. Seit er einmal mit dem Vater in die Stadt gefahren war, da war es vorbei, da war er nicht mehr zu halten, Schönau war ihm zu eng, zu langweilig; er war glücklich, als ihn der Vater in ein städtisches Institut gab, er lachte und schlug in die Hände vor Freude, als es zur Abfahrt ging.

Das war Christian zu viel. Er verstand sein Kind nicht mehr, an dem er hing mit der ganzen Liebe, die ein Vater zu seinem Einzigen haben kann. Er selbst hatte bis zu seinem zwölften Jahre nichts als Schönau gekannt, der Wald war seine Grenze gewesen, er hatte sich gefürchtet, sie zu überschreiten, und als er sie überschreiten mußte, welch’ qualvoller Schmerz, welch’ bitteres Weh der Trennung, welche Sehnsucht nach Hause! – Und sein Sohn, sein Theodor, der Erbe von Schönau, der letzte auf Schönau, er haßte es nahezu! Christian fühlte es damals schon, die Grenzlinie einer neuen Zeit lag zwischen Vater und Sohn, er hüben, dieser drüben! –

Noch einmal hoffte er, als sein Theodor den Entschluß faßte, Offizier zu werden. Das Brennbergsche Blut regte sich also doch in ihm, und einmal in der Uniform, so dachte der Vater, würde er auch alle die anderen neuzeitlichen, geradezu staatsgefährlichen Schwärmereien verlieren. Aber auch darin irrte er sich. Trotz aller Unterordnung im Dienste regte sich auch in dem Offizierskreise schon der neue tolle Geist. Die Kameraden frugen nicht nach dem Alter und dem Adel der Familie, sondern nach der Höhe der Zulage. Schönau war in den Augen des jungen Lieutenants erst recht ein altes fades Nest, und seine bürgerlichen Kameraden, die hie und da mit ihm hinausgeritten kamen, bestärkten durchaus nicht seinen Sinn für alte Ueberlieferungen mit ihren schlechten, Christian tief kränkenden Witzen über das alterthümliche Gerümpel.

Der alte Brennberg glaubte sich gefeit gegen die verlockenden Töne des neuen Evangeliums der Genußsucht; er lachte bei den Ermahnungen seines Sohnes, den Rest seiner Jahre es sich doch noch wohl sein zu lassen, jetzt, wo er um die Mittel dazu nicht verlegen sei. Und doch ertappte er sich oft auf einsamen Ritten durch Feld und Flur auf sonderbaren Gedanken. Er sah sich bei Hofe, in der ersten Gesellschaft der Stadt, als der reiche Brennberg, sein Wappen prangte an dem Wagenschlag, die Diener waren in den Farben seines Hauses gekleidet, trotz aller Aufklärung da drinnen in der Stadt, mit Geld in der Tasche spielt der Adel noch immer seine Rolle! Es wäre eigentlich eine drollige Ironie des Schicksals, wenn gerade die neue Zeit seinem Haus wieder zu dem alten längst entschwundenen Glanze verhälfe!

Aber er wies sie jedesmal ärgerlich ab, diese Gedanken, und wenn der Stefanelly kam, der alles Land umher förmlich auffraß, ließ er ihn jedesmal derb abfahren, so verlockend auch seine Anträge waren.

*      *      *

Die Herbstarbeiten waren im vollen Gange, die gelben Stoppelfelder verschwanden immer mehr, der rothbraune Ton des umgeackerten Erdreiches beherrschte die weite flache Landschaft. Schwere Ackergäule, Ochsenpaare tauchten da und dort schwerfällig aus dem Nebel auf, im täuschenden Lichtspiel zu unnatürlicher Größe anwachsend, während andere in der Ferne langsam zerflossen. Nur die saftgrünen langgezogenen Rübenfelder, aus denen die rothen und blauen Kopftücher und Röcke der Tagelöhnerinnen herausleuchteten, brachten Farbe in die Eintönigkeit der Landschaft.

Der alte Gutsherr von Schönau ritt von Acker zu Acker; die Reitstiefel mit gelben Ueberschlägen, der lange Rock, der zu beiden Seiten des altmodischen Sattels herabhing, die verschossene grüne Schirmmütze, der fette alte Schimmel mit dem langen Schweif, alles war weit und breit bekannt, es gab nur einen Brennberg im ganzen Lande. Die Mägde in den Rübenäckern stießen sich und kicherten, die Knechte winkten sich lachend zu, niemand grüßte ihn, das war er schon längst gewohnt. Mit gebeugtem Haupte, in Gedanken versunken, ritt er seinen Grundstücken zu.

Gegen Norden drang dumpfes Tosen aus dem Nebel. Dann hob sich dieser auf einen Augenblick; strahlenförmig sich in das Ackerland bohrende, im Bau begriffene Straßen wurden sichtbar, Dachstuhlgerippe, in denen es ameisenartig wimmelte; auf der Landstraße bewegten sich knarrend von der Stadt her ganze Kolonnen Ziegelfuhrwerke. Christian hielt an, hob sich im Sattel und blickte wie ein Feldherr prüfend auf die sich entwickelnde Schlachtlinie des Feindes. Er maß mit den Augen die Entfernung der ersten Vorposten von seinem Acker, sie betrug kaum mehr tausend Schritte! Vor ihm lagen die Felder bereits ungepflügt; wozu denn pflügen? Es verlohnte sich nicht mehr, im Frühjahr wurden sie ja überbaut, und die Leute erhielten, ohne eine Hand zu rühren, den zehnfachen Ertrag in klingender Münze. Ackern, säen, ernten, dreschen, welche Fülle von Schweiß und Sorge, und hier das blinkende schöne Geld mühelos über den Tisch heruntergestrichen! Für diese Leute war es doch eine herrliche Zeit, sie mußte es für jeden sein, der kein Brennberg war!

Da kam ein Mann auf einem Feldweg gerade auf ihn zu, und seine bekannte Erscheinung riß den Freiherrn aus diesem Gedankengang. Es war der alte Margold, sein früherer Gärtner. Auch ihn, den treuen Diener, den er noch von seinem Vater übernommen, hatte der Selbständigkeitstrieb der Zeit gepackt; Margold hatte ihn verlassen und eine Gärtnerei angefangen; und doch war er ihm nicht bloß Diener gewesen, er hatte ihn mit der alten treuen Herrenliebe geliebt, die schon längst ausgestorben ist, und Christian fühlte sich ihm jetzt noch verwandter als den in seinen Augen gesinnungslosen Standesgenossen, er war ein Stück seiner Zeit.

Christian ritt Margold entgegen, und der alte Schimmel wieherte hell auf, denn er erkannte seinen alten Futtermeister – Margold war seinerzeit im Hause Schönau alles gewesen. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_063.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)