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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Der Kampf gegen die Bakterien.

Die Heilung des Wundstarrkrampfes (Tetanus).


Wer jemals in seinem Leben an dem Leidenslager eines vom Wundstarrkrampfe Befallenen geweilt hat, dem wird der erschütternde Anblick unverlöschlich in der Erinnerung haften. „Traurig großartig“ hat noch vor kurzem Dr. Renvers treffend die Summe von Erscheinungen genannt, welche den Tetanus begleiten. Mit krankhaft verzerrten Gesichtszügen, gerunzelter Stirn, angsterfülltem Blick, den Kopf hinten übergebogen, mit krampfhafter Streckung der Bauchwirbelsäule liegen die Kranken unbeweglich mit starrer Rumpfmuskulatur bei vollem Bewußtsein im Bett, nur imstande, sich mühsam lispelnd zu verständigen. Die Kaumuskeln sind zusammengezogen, die Oeffnung des Mundes ist unmöglich. Von Zeit zu Zeit steigert sich die anhaltend dauernde Starre. Bald fieberlos, bald nur vor dem Tode hohe Temperaturen zeigend, erliegen die Patienten entweder in den ersten Tagen einem solchen Krampfanfall, oder aber es tritt langsam zunächst Nachlaß der Krämpfe und dann der Starre ein, wenn nicht Erschöpfung auch jetzt noch den Patienten zu Grunde richtet.

Der Tetanus tritt zumeist als eine Begleiterscheinung von Wunden auf, und das Räthselhafte bestand bisher darin, daß er oft mit ganz geringfügigen, kaum bemerkbaren Verletzungen, einem Splitter, der selbst vom Kranken übersehen wurde, der keine Eiterung erzeugte, verbunden war. So geringe Ursachen und so fürchterliche Wirkungen! Beträgt doch die Sterblichkeit bei dieser Krankheit etwa 90 Prozent; in den deutschen Kriegslazarethen 1870/71 fielen ihr 159 Verwundete zum Opfer.

Schon der alte Hippokrates kannte den Wundstarrkrampf und stellte bereits die richtige Regel auf, daß der Tetanus um so gefährlicher ist, je frühzeitiger er nach der Verletzung sich einstellt, und mehr Aussicht auf Heilung bietet, wenn die ersten vier Tage ohne Anfangsspuren desselben verlaufen. Die Ursache dieser erschütternden Krankheit konnte er nicht finden, und bis auf unsere Tage blieb sie für alle Aerzte ein unerforschliches Räthsel.

Da kamen die Zeiten, in denen die Bakteriologie neues Licht in das Wesen so vieler Krankheiten brachte, und ihr gelang es auch in kurzer Zeit, alles in diesem jahrtausendelang so geheimnißvollen Leiden aufzuklären und selbst ein Heilmittel gegen dasselbe zu finden Das ist ein Siegeslauf, dem die ganze Menschheit entgegenjubelt, und der Jubel wird auch selbst im Stillen Ocean ein recht lautes Echo finden, denn ein großer Ruhmesantheil an dieser Entdeckung gebührt einem Schüler Robert Kochs, dem Dr. Kitasato aus Tokio in Japan.

Der erste Lichtstrahl drang aus Italien hervor. Hier stellten im Jahre 1884 Carle und Rattone fest, daß man bei Thieren Tetanus erzeugen könne, wenn man sie mit Wundsekreten am Wundstarrkrampf erkrankter Menschen impfe. Es war nun erwiesen, daß der Tetanus eine übertragbare, infektiöse Krankheit sei; die Suche nach dem Krankheitserreger begann. Nun geschah in Deutschland fast gleichzeitig und unabhängig von der italienischen eine neue wichtige Entdeckung. Nicolaier fand in Göttingen eine Gartenerde, die, wenn er sie Mäusen, Meerschweinchen und Kaninchen unter die Haut brachte, regelmäßig die Erkrankung und den Tod der Thiere an Tetanus veranlaßte. Es unterlag keinem Zweifel – in dieser Gartenerde mußte der Krankheitserreger stecken. Man durchsuchte den Eiter der an Tetanus erkrankten Versuchsthiere und fand eine Menge verschiedener Bakterien, darunter aber auch einen dünnen borstenartigen Bacillus, der an einem Ende Sporen bildete, so daß er in diesem Zustande wie ein Trommelschlägel oder eine Stecknadel aussah; er erschien von Anfang an verdächtig, und der Verdacht wurde noch bestärkt, als Rosenbach ein ähnliches Gebilde in der Wunde eines an Tetanus erkrankten Menschen nachwies. Aber der Bacillus spottete aller Bemühungen, ihn rein darzustellen, er erschien immer in Gesellschaft von anderen Bakterien, so daß man nicht bestimmen konnte, welchem Bacterium die Fähigkeit, den Wundstarrkrampf zu erzeugen, zuzusprechen sei.

Inzwischen mehrten sich die Beweise für die Uebertragbarkeit des fürchterlichen Leidens. In einem Falle wurde ein Holzsplitter aus der Wunde eines Tetanuskranken herausgezogen und vierzehn Monate lang trocken aufbewahrt; er wurde dann einem Thiere eingeimpft und erzeugte Tetanus; in einem zweiten Falle rief ein Holzsplitter, welcher aus einer Hohlhandwunde vier Monate nach der Verletzung herausgezogen und zweieinviertel Jahr in Papier aufbewahrt worden war, bei Thieren Impftetanus hervor. Ein Knabe endlich, welcher sich durch Fall auf einen Holzpfahl in einem Weinberge eine Verletzung im Gesicht zugezogen hatte, erkrankte acht Tage darauf und starb bald. Aus der Gesichtswunde wurde ein Splitter entnommen; auch er hat, Thieren eingeimpft, Tetanus verursacht.

Aber der Tetanusbacillus blieb immer noch unfaßbar. Seine Züchtung war mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft. Der borstenartige Bacillus ist ein anaërobes Bakterium, das heißt: er gehört zu der Klasse derjenigen Kleinorganismen, für welche Sauerstoff, der belebende Theil der Luft, geradezu Gift ist, und er muß darum unter Ausschluß von Sauerstoff gezüchtet werden. Dies war aber um so schwieriger, als er stets, wie wir bereits erwähnt haben, im Verein mit anderen anaëroben Bacillen auftrat. Erst neuestens ist es Kitasato gelungen, ihn aus diesem Bacillengemisch herauszugreifen. Er nahm ein kleines Gewebsstückchen von einem an Tetanus gestorbenen Menschen aus der unmittelbaren Umgebung der vereiterten Wunde und brachte es auf die gebräuchlichen Nährmittel. Nun machte er die Beobachtung, daß im Brutschrank die verschiedenen Bakterien sich sehr üppig entwickelten, daß aber der verdächtige borstenförmige Bacillus am allerersten seine Sporen ausbildete, während die übrigen erst viel später sich hierzu bequemten. Dieses voreilige Wachsthum sollte dem Bacillus verderblich werden.

Die Bakteriensporen sind nämlich viel widerstandsfähiger gegen die Einwirkung der Hitze als die im Wachsthum befindlichen sogenannten „vegetativen“ Bakterien. Kitasato wartete darum nicht ab, bis auch die anderen Bacillen Sporen gebildet hatten, sondern erhitzte seine Mischkulturen 1/2 bis 1 Stunde im Wasserbade auf 80° C. Alle vegetativen Formen wurden dadurch abgetödtet, nur die Sporen blieben entwickelungsfähig, und nun war es ein Leichtes, aus diesen Sporen Reinkulturen des borstenförmigen Bacillus zu erhalten, der jetzt durch Impfversuche als der unzweifelhafte Erreger des Wundstarrkrampfes entlarvt wurde und den Namen „Tetanusbacillus“ mit Fug und Recht erhielt.

Es ist bemerkenswerth, daß er in Reinkulturen ein widerwärtig riechendes Gas erzeugt; in Traubenzuckerbouillon ist diese Gasentwicklung mitunter so stark, daß beim festen Verschluß des Kölbchens dieses selbst auseinander gesprengt und zertrümmert wird.

Man wandte sich nunmehr auch der genauen Erforschung der von den Tetanusbacillen erzeugten Stoffwechselprodukte zu und fand in Reinkulturen derselben zunächst zwei alkaloidartige Gifte, Tetanin und Tetanotoxin, die allerdings erst in großen Dosen starke Reflexkrämpfe erzeugen, und zuletzt ein eiweißartiges Gift, ein Toxalbumin, welches dem Schlangengift ähnlich schon in sehr geringen Gaben die dem Tetanus eigenthümlichen Starrkrämpfe hervorruft. Das Toxalbumin wirkt bereits in der winzigen Menge von 1/100 Milligramm.

Impfungen mit ganz kleinen Mengen der Reinkultur ergeben folgendes Bild. Bei Mäusen macht sich schon nach 15 Stunden eine Muskelunruhe bemerkbar, die sich namentlich in einer großen Aengstlichkeit und Erregbarkeit zeigt. Nach etwa 20 Stunden beginnt zunächst in der Nähe der geimpften Stelle eine Starrheit der Muskeln, die sich rasch über den ganzen Körper erstreckt und von lebhaften Muskelstößen begleitet wird. In diesem Zustand bleiben die Thiere 1–3 Tage und gehen dann gewöhnlich am 2. oder 3. Tage nach der Impfung zu Grunde. Besser läßt sich (nach Renvers) das Krankheitsbild an größeren Thieren, namentlich an Kaninchen und Hunden, verfolgen, da hier der Impftetanus langsamer auftritt. Die Thiere bleiben zuweilen 3 Tage lang ohne jede Veränderung. An der Impfstelle bemerkt man keine Entzündung. Ist das Thier z. B. am Oberschenkel geimpft worden, so zeigt sich alsdann die Starre zuerst in diesem Körpertheil, in 24 Stunden schreitet sie auf die Rumpfmuskeln über, befällt zunächst die auf der Impfstelle liegende Seite und bewirkt eine starke Seitwärtskrümmung der Wirbelsäule; in weiteren 20 Stunden kommt es zu Krämpfen der Gesammtmuskulatur, denen die Thiere rasch erliegen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_074.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)