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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

während der vordere Theil nur 0,83 Meter maß. Der Umfang betrug immer noch 2,7 Meter.

Es war sehr schwer, sich im Reifrock geschickt zu bewegen. Stets umlauerten die Trägerin Gefahren. Schon über eine schmutzige Straße zu gehen, war ein Kunststück. Denn es war unmöglich, das Kleid allein aufzuheben.

Daher erfand man 1858 das lève-jupe und das Pompadour-porte-jupe, Vorrichtungen, durch welche das Kleid wie eine Gardine an verschiedenen Stellen aufgezogen werden konnte. Eine verwickelte und daher auch oft versagende Einrichtung mit Schnüren, Rollen und Haken ermöglichte es, dem vorher glatt hängenden Kleid durch einen Zug an einem am Gürtel hängenden Band plötzlich die Gestalt eines achtfach gerafften Vorhanges zu geben. Aber gegen die Schwierigkeiten im Wagen, in enger Thür, im Gedränge, bei Windstößen, beim Ersteigen einer Treppe, auf engem Sitz im Theater oder Konzerte halfen alle Vorkehrungen nichts.

Hohl und unwahr, aufgebauscht und unsittlich war diese Tracht – ein echtes Bild des zweiten Kaiserreiches. Der Kaiserin Eugenie, der gefeierten Führerin dieser Mode, wird man sie stets als ihr Spiegelbild vorhalten. Sie gehörte zu ihr, ihrem ganzen inneren Wesen nach.

Aber die Gerechtigkeit fordert, zu berichten, daß die Kaiserin guten Geschmack genug besaß, wiederholt gegen den Reifrock aufzutreten. Schon 1858 wurde der Welt durch die Pariser Modeberichte verkündet, daß sie ihn abgelegt habe; 1859 ertönte wieder der Ruf, daß seine letzte Stunde geschlagen habe; er sei zu „gemein“ geworden, die Kaiserin habe zu einem Feste am Napoleonstage die Stahlreifen durch das Stärken, die Steifheit der Röcke durch deren Zahl ersetzt.

Aber alsbald begann die Industrie eine Gegenbewegung: die Stofffabrikanten, denen die bauschige Tracht so genehm war, die Stahlerzeuger, die Millionen von Metern Reifen zu liefern übernommen hatten, die Schneider, die Posamentiere, die Blumenmacher – alle erhoben ein lautes Geschrei, man solle die treffliche Mode nicht stören. Der Rückzug der Kaiserin wurde durch jene Erfindung der trichterförmigen Krinoline gedeckt. Trotzdem trug die Kaiserin noch 1859 in Compiègne, wo sie wirklich Herrin der Mode war, wieder fußfreie, engere Kleider, leichte Wollenstoffe statt der theuren Seide. Auf diese Weise empfahl sie ihren Gästen, den erschreckend anwachsenden Luxus mit bekämpfen zu helfen. Die Rennen von Longchamp 1860 brachten abermals die Kunde, die Krinoline sei aus der eleganten Welt verbannt. Aber alle diese Anläufe erwiesen sich als vergebliche. Selbst der Fürstin der Mode war der Gegner zu stark, sie beugte sich vor seiner Gewalt. Sie mußte sich immer wieder selbst zum Reifrock bequemen.

Die Fabrikanten siegten, denn sie allein waren es, welche die Mode hielten und der Welt auch ferner aufzwangen. Balzac sagte 1855, Frankreich habe 500000 Frauen, die sich modern tragen, die tonangebende Gesellschaft bestehe aber aus höchstens 2000 Menschen und unter diesen aus 200 Frauen, deren Geschmack die Welt beherrsche. Er vergaß in seiner Rechnung einen Posten: jene noch geringere Zahl Großhändler, welchen der Geschmack jener 200 Frauen ebenso unterthan war wie der der Kaiserin.

„Konjunktur“ heißt die oberste Herrin der Mode. Sie ist heute und war noch viel mehr damals eine Sache der Handelsberechnung. Und weil Paris während des zweiten Kaiserreiches so unbedingt herrschte, darum war diese Berechnung so sicher und bequem. Den anstrengenden, aber das Gute fördernden Wettbetrieb der Kräfte hatte eine großartige Gemeinsamkeit des Strebens ersetzt. Jeder fand seine Rechnung unter dem herrischen Walten der Mode. Zwar war der Industrie jede Selbständigkeit im künstlerischen Schaffen, jede Eigenart unterbunden, sobald sie nicht im Ringe mit den großen Machern sich befand – aber die Brocken, welche Paris abwarf, waren so groß, daß es auch noch in den fernsten Ländern davon etwas zu knappern gab.

„Modes de Paris“ stand und steht noch heute auf tausend deutschen Ladenschildern. Das war der Triumph des einheitlich geregelten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_076.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)