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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

dann werden’s mit Equipagen und Bedienten kommen – nein, was das Pack für ein unverschämtes Glück hat! – Ah, da kommt der alte Weinmann! Wie der sich bläht vor Hochmuth! Wie ein Bankier schaut er aus – und daneben, richtig, der Margold! O je, den hat das Glück ja ganz zusammengedrückt! Der versteht’s noch nicht, den Privatier zu spielen. Und sie erst recht nicht! Schaut’s doch! Die Margoldin! Den Hut, wo sie den aufgabelt haben mag, und das seidene – na das kennen wir bereits. Wie sie daher kommt, als wenn sie einen Sack Kartoffel tragen müßt! Und wer ist denn der Glatzköpfige da hinten? ’S ist keiner von uns! ’n Orden hat er an seinem Frack – ja, wer kann denn nur das – –

„Der Stefanelly, der Bauunternehmer!“ ging’s plötzlich andächtig flüsternd von Mund zu Mund. „Der Millionär, der ihnen abkauft hat! Der Millionär!“ flüsterte es weiter – dann war’s feierlich still.

Die hohe Halle mit den unzähligen Heiligen, Engeln, Marien, Himmelfahrten und Kreuzigungen, die heilige Ceremonie, die sich am Hochaltar vollzog, alles war vergessen; alle Blicke, alle Gedanken hefteten sich auf den Mann mit dem kahlen Haupt und dem Orden vor der Brust, der zwei von ihnen losgekauft hatte aus der Knechtschaft der Arbeit – auf den Millionär Stefanelly!

Wie ein Messias erschien er ihnen, und wäre er jetzt vorgetreten mit der Verkündigung seines kostbaren Geheimnisses, das heißersehnte Gold mit zauberhafter Kraft an sich zu ziehen, sie hätten ihm andächtiger, brünstiger gelauscht, als wenn ein Engel herabgeschwebt wäre von dem sternbesäeten Gewölbe und zu ihnen geredet hätte. –

Sonst waren nur wenige Hochzeitsgäste da, und die wenigen, wohl die nächsten Verwandten, trugen in ihrer altmodischen, ärmlichen Kleidung, ihrer eckigen schüchternen Haltung zum Glanz des Festes nicht bei.

(Fortsetzung folgt.)





Blätter und Blüthen.


Nach hartem Kampf! (Zu dem Bilde S. 69.) An einem naßkalten Februarmorgen lehnen wir, die gespannte Flinte unterm Arm, Hektor zu Füßen, an einer schneetropfigen, in den Buchenhochwald eingesprengten Fichte und lauschen nach dem Fuchsbau hinüber, in welchem Erdmännchen als ungebetener Gast das Hochzeitsfest Reinekes, seines Erzfeindes, stört. Wie das da unten poltert und rumort! Der dumpfe „Hals“ (Bellen) des Hündchens, der zeitweise unser Ohr trifft, dann wieder verstummt, um nach hellem Klopfen, Pochen und Rollen unter der Erde von einer andern Stelle des Baues weit giftiger zu uns herüber zu klingen, läßt uns schließen, daß es drinnen zu ernsten Auseinandersetzungen gekommen ist. Aber je lauter es im Bau wird, desto lauter klopft auch unser Herz vor Weidmannslust – denn wir wissen, daß der Augenblick ganz nahe bevorsteht, wo unser schneidiges Teckelchen dem rothen Gauner handgreiflich beweist, daß es draußen trotz des matschigen Schlappschneewetters viel angenehmer ist als drinnen im warmen trockenen „Bau“ – – und ihn zum „Springen“ veranlaßt. Das Fuchshetzen ist eine der erregendsten Jagden, die den Jäger in der gespanntesten Aufregung hält, wie den Backfisch der erste Roman.

Jetzt ist plötzlich alles still – – und wie der Blitz, so unerwartet schnell fährt das Hündchen aus der Röhre und stürmt, die Nase suchend dicht auf der Erde, rings um den Bau und, ohne auch nur eine Sekunde zu stutzen, wieder hinein in das verhaßte Malepartus. Aufgepaßt! Der Fuchs ist vor dem Teckel geflohen, „er hat sich versetzt“, er will „springen“. Das Teckelchen hatte ihn in dem unterirdischen Labyrinth verloren und suchte deshalb oben den Bau ab, ob sein Feind schon das Weite gesucht hätte.

Ritsch! Da saust ein rother Streifen aus einer anderen Röhre. Dicht über die Erde, so rasch ihn seine Läufe zu tragen vermögen, geht’s in schnellster Flucht der Fichtenschonung zu. Aber selbst in der wildesten Hast weiß sich der Schlauberger doch zu decken – hier durch einen Stamm, dort durch einen Busch. Da heißt es rasch gezielt und gedrückt. Es knallt – der Fuchs knickt ein wenig zusammen und ist in den dichten Büschen verschwunden. „Donnerwerter! daß einem das passiren muß! Hektor faß!“ Und Hektor rast dem Erzschelm nach.

Und Erdmännchen? Drunten kläffte und „hühntscht’s“ von neuem. Der schwarze, giftige Satan macht Frau Fehin, die sich während seiner Auseinandersetzung mit dem Gemahl verschämt in das entlegenste Gemach der weitverzweigten Raubritterburg zurückgezogen hatte, seine unerwünschte zudringliche Aufwartung.

Aber auch über der Erde wird’s lebendig. Laut „ausgebend“ (bellend) folgt Hektor flüchtig dem krankgeschossenen Fuchse. Wie genau erzählt doch der „Boll“ des Hundes dem lauschenden Jäger die ganze Jagd!

Vorerst ist Hektor noch weit vom Wilde im dichten Gebüsch. Jetzt wird der Hals des Hundes rascher und hin und wider klingt er auch heller Hektor rückt dem Füchslein näher, und in der Dickung, wo er jagt, sind lichte Stellen. Immer rascher, immer feuriger wird das „Geläute“ des Hundes – jetzt klingt es ganz hell durch den Forst, und mit dem Solo des Hundes mischt sich das Echo, welches in ununterbrochenem Schall der Berglehne entlang zieht. Hektor jagt auf einer Blöße dicht hinter dem Fuchse her. Immer heftiger wird sein Hals – jetzt wieder dumpf – er ist wieder im Buschwerk – und jetzt!? In kurzen, tiefen, ich möchte sagen, so regelmäßigen Tönen wie das Ticken einer Uhr, oft dumpf, oft hell, jauchzt uns der Hals des Hundes zu, daß sich Reineke gestellt hat, daß er unter einem Busch in lichter Dickung steckt – den Kopf mit offenem „köckerndem“ Rachen und giftig äugenden Sehern vorangestreckt – die Lauscher geknickt, wagrecht liegend – dem Hunde zugekehrt, der, um das Buschwerk kreisend, einen günstigen Augenblick zum Angriff sucht.

Aber wle er sich auch dreht, immer blickt er in die weißen haarscharfen Fänge des wüthenden Fuchses.

Plötzlich schreit der Hund laut auf – er hat einen Schmiß vom Fuchse weg – dann ist’s todtenstill. Wenn wir näher wären, würden wir nur ein Schnarchen und tiefes Athmen und ein dumpfes Schütteln und Schlenkern hören.

Unsere Aufmerksamkeit ist wieder ganz auf den Bau gelenkt, in dem

es wieder lustig hergeht. Von Zeit zu Zeit schielt unser Blick aber doch zur Dickung hinüber, ob Hektor noch nicht erscheint. Da ist er endlich, der alte Bursch – im hochgehobenen Rachen den gewürgten Kapitalfuchs tragend – – nach hartem Kampfe.

Karl Brandt.     

Aurelian überbringt die Brautwerbung des Frankenkönigs Klodwig. (Zu dem Bilde S. 81.) In dem burgundischen Reich, das wir uns nicht mehr dort, wo das Nibelungenlied es kennt, am Rhein in der Gegend von Worms, sondern an der Rhone und in den westlichen und südlichen Alpen zu denken haben, etwa in der Gegend, wo heute noch der „Burgunder“ wächst, ging es am Ende des 5. Jahrhunderts schlimm zu. Vier Brüder theilten sich in die Herrschaft darüber, aber sie kamen schlecht miteinander aus, und einer von ihnen, Gundobad, erschlug seinen Bruder Chilperich und ließ dessen Gemahlin mit einem Stein um den Hals ins Wasser werfen; die Töchter aber verbannte er vom Hofe.

Die beiden verwaisten Mädchen zogen sich in ein Kloster nach Genf zurück, und die ältere ward auch selbst Nonne. Der jüngeren aber, Klothilde mit Namen, war noch eine wichtige Rolle in der Geschichte der Völker zugedacht.

Von der Schönheit Klothildens hörte der Frankenkönig Klodwig, der eben damals den letzten Rest der römischen Herrschaft im heutigen Frankreich durch seinen Sieg über Syagrius beseitigt hatte, und sein schlauer Kopf sagte ihm alsbald, daß er durch eine Vermählung mit dieser burgundischen Königstochter nicht bloß ein schönes Weib, sondern auch einen willkommenen Anlaß gewinnen könne, seine Hand nach dem Burgunderlande auszustrecken.

Die Geschichte weiß nun nur davon zu berichten, daß Klodwig eine Gesandtschaft an Gundobad gesandt und kurzweg um die Hand der Klothilde angehalten habe. Aber die Sage hat sich mit diesem einfach nüchternen Hergang bei einem in der Folge zu solcher Bedeutsamkeit emporgewachsenen Ereignisse nicht begnügt. Sie umgab diese Werbung Klodwigs mit romantischen Ranken und gestaltete sie zu einer romanhaften Geschichte aus. Sie erzählt, Klodwig habe einen vertrauten Mann, einen Römer mit Namen Aurelianus, zu Klothilde gesandt, damit er sie sehe und seine Werbung anbringe. Aurelianus zieht, als Bettler verkleidet, nach Genf und findet dort Klothilde mit ihrer Schwester. Und als sie ihn nach der Sitte der Zeit und des Klosters gastlich aufnimmt und ihm die Füße wäscht, da neigt sich Aurelianus zu ihr und sagt ihr heimlich: „Ich habe Dir ein großes Wort zu melden: der Frankenkönig Klodwig sendet mich zu Dir, er will Dich zu seiner Gemahlin erhöhen; und damit Du diesem Worte traust, sendet er Dir diesen Ring.“ Zugleich schlägt er seinen Mantel zurück und zeigt sein vornehm Gewand. Klothilde nimmt den Ring mit Freuden. Sie mochte in dem Antrage des Frankenkönigs sofort das Werkzeug ihrer Rache erkennen. Reich beschenkt, kehrt Aurelianus zu seinem Herrn zurück; und nun erst begiebt sich die offizielle Werbegesandtschaft zu dem Oheim Gundobad, der – in der bösen Klemme, entweder durch eine Weigerung den mächtigen Klodwig zu erzürnen oder durch seine Zustimmung der Klothilde gleichsam selbst den Rachestahl in die Hand zu drücken – gute Miene zum bösen Spiel macht und seine Nichte ziehen läßt.

Und nicht lange dauert es, da bricht das Schicksal über das Burgunderreich herein, die Rache der Klothilde beginnt: Klodwig besiegt den Gundobad in einer Schlacht bei Dijon, und wenn sich die beiden Könige auch noch einmal unter dem Einfluß anderer politischer Umstände vertragen, so wird doch das Ende darum kein anderes: im Jahre 534, dreiundzwanzig Jahre nach Klodwigs Tod, unterwirft sein und der Klothilde Enkel Theodebert den letzten Sprossen des burgundischen Königshauses, Godemar, das burgundische Reich geht im fränkiischen auf.

Wer aber die Geschichte der Klothilde betrachtet, wem fallen da nicht die verwandten Grundlinien in unserem großen nationalen Epos, dem Nibelungenlied, ein? Auch hier flüchtet ein gekränktes Weib an einen fremden Fürstenhof, um als Gattin dieses Fremden die Waffen zu schmieden, die ihrer Rache an den Eigenen dienen sollen! =     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_083.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)