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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Aber sie sah den Gefragten nicht an, ihre Blicke irrten ängstlich nach der Thür, die mit einem Teppich verhängt war, dem man allerhand drollige Figuren eingewirkt hatte, Vögel, Katzen, Puppen, Geräthe. Maiberg hörte, daß im Nebenzimmer gesprochen wurde; er hatte in kurzen Sätzen Leos Stimme erkannt, aber eine Frauenstimme, ein merkwürdig tiefes Organ, das langsam, bedächtig sprach, herrschte vor. Zu verstehen war nichts, Antje hätte nicht nöthig gehabt, mit zitternder Hand den Teppich vollends vorzuziehen.

„Hat Leo diesen Fries gemalt?“ fragte der Gast und zeigte hinauf, wo unter dem vergoldeten Stuck des Plafonds ein breiter lichtblauer Streifen sich um das Gemach zog, von dem sich reizende Gruppen spielender Kinder abhoben.

„Ach nein,“ erwiderte Antje, „nur den Entwurf hat er gemacht!“ Und sie horchte abermals nach der Thür hin.

Leos Stimme war jetzt lauter geworden. „Papa – böse?“ fragte die Kleine mit angstvollem Gesichtchen, während sich Maiberg erhob, um sich zu verabschieden. Aber während er noch das Köpfchen des Kindes streichelte, sprach die Frauenstimme nebenan so laut und heftig, daß jedes Wort zu verstehen war:

„Lassen Sie mich ausreden, Herr Sohn, Tausendwetter! Denken Sie, mir machen solche Unterredungen Vergnügen? Schlimm genug, daß sie nöthig geworden sind! Ich sage, Sie werden Ihre Lebensweise ändern, weil Sie es Frau und Kind schuldig sind! Ich will nicht, daß meine Tochter dermaleinst hungern soll! Und wenn Sie sich nicht dazu entschließen können, Ihren Verhältnissen gemäß zu leben, so treiben Sie Ihre Verrücktheit allein, ich nehme meine Tochter mit Freuden wieder – je eher, je lieber!“

Das letzte hörte Maiberg, als er schon durch den Flur ging, es schallte hier nach deutlicher durch die Thür. Und hinter dem sich eilig Entfernenden zitterte der angstvolle Ruf Antjes: „Aber Mutter – liebe Mutter!“

Im Hause mochte er nicht bleiben; so stieg er die Treppe hinunter und suchte den Garten auf. Dort wanderte er in den Wegen umher, nicht achtend der klaren Winterlandschaft und des duftigen Schnees, dem die Sonne tausendfaches Glitzern und Funkeln entlockte. Diese kräftige Frauenstimme dort oben hatte ihm aus der Seele gesprochen; gestern nacht schon hätte er am liebsten den Freund an den Schultern gerüttelt und gefragt: „Sag’ mal, Mensch, bist Du verrückt geworden? Nennst Du das Geselligkeit, dieses wüste Durcheinandersprechen, dieses Trinken, Rauchen, Spielen? Wohin bist Du gekommen? Kehr’ um, Leo, Du spielst Dir selbst Komödie vor! – Ich kenne Dich besser, Du steigerst Dich in etwas hinein, das Dir gar nicht eigen ist!“ – Doch, was würde das helfen? Wenn Leo eine Idee erfaßte, hielt er fanatisch an ihr fest, und darum hatte die Schwiegermama – denn wer sollte sonst die Sprecherin gewesen sein – ihre Sache beim verkehrten Ende angefangen.

Ein beklemmendes Gefühl bemächtigte sich seiner; er machte Pläne zur Abkürzung seines Aufenthaltes. Es ist schrecklich, Gast in einem Hause zu sein, wo der Friede fehlt. Da hörte er seinen Namen rufen, und als er sich umwandte, sah er Leo am offenen Fenster.

„Komm doch herauf, Maiberg!“

Gehorsam schritt der große blonde Mann ins Haus zurück und trat ins Atelier. Leo wanderte dort auf und ab, indem er leise vor sich hin pfiff.

„Setz’ Dich,“ sagte er, „nimm eine Cigarre und tröste mich in meinem Abschiedsschmerz – meine Frau Schwiegermutter verläßt in ein paar Augenblicken das Haus.“

„Du hattest Streit mit ihr, Leo?“

„Keineswegs! Meine Schwiegermama meinte nur so beiläufig, da ich mit dem Malen nichts verdiente, so möchte ich lieber eine andere Stellung in der menschlichen Gesellschaft suchen, etwa als Schreiber in ihrem Kontor oder dergleichen. Wir konnten uns nicht einigen, und so zieht die würdige Dame es vor, mein Haus zu verlassen. Das ist das Ganze. – Sie ist von thatkräftiger Natur und liebt rasche Entschlüsse,“ setzte er hinzu. „Da siehst Du es, binnen einer Viertelstunde ist sie fertig geworden zum Ausrücken, ja, ja, sie ist schneidig, das ganze Arbeiterpersonal daheim zittert vor ihr, Maiberg; wahrhaftig, da fährt der Wagen schon vor.“ Er ging rasch zum Fenster und sah hinunter.

Wolf war neben ihn getreten und beobachtete, wie Antje die alte Dame küßte und immer wieder küßte, und wie sie, als das Gefährt schon davon gerollt war, noch selbstvergessen in dem kalten Ostwind stand und auf die Spuren der Räder im Schnee blickte.

„Deine Frau thut mir leid,“ sagte Maiberg endlich.

„Weshalb? Ich habe ihr freigestellt, die Mutter eine Zeitlang zu begleiten, sie will aber nicht.“

„Die gnädige Frau läßt die Herren zum Frühstück bitten,“ meldete der Diener.

Als sei nicht das Geringste vorgefallen, begegnete Antje ihnen im Speisesaal; nur das verrätherische Zucken in dem blassen Gesicht gab Kunde von ihrer inneren Aufregung. Leo sprach von der letzten Ausstellung in München und von der neuesten Oper; in den Gläsern funkelte Sherry und der Diener kredenzte zum Sauerkraut, mit Austern gekocht, echtes Münchener.

Maiberg mußte immer wieder die Frau betrachten, die zwischen ihnen saß. „Darf ich nachher noch einmal nach meiner kleinen Patientin sehen?“ fragte er.

Sie bejahte freundlich.

„Du besuchst wohl mit Maiberg heute abend die Oper?“ fragte Leo. „Ich habe indeß eine Besorgung; wir fahren dann miteinander wieder heraus.“

„Ja!“ sagte sie abermals und nickte dazu mit dem Kopfe wie ein schöner Automat.

„Aber,“ widersprach Maiberg, „paßt es Ihnen denn auch, gnädige Frau? Sie sehen angegriffen aus und legten sich wohl erst bei Tagesanbruch zu Bette! Leo, ich bitte Dich, ich bin wirklich nicht so vergnügungssüchtig, wie Du anzunehmen scheinst.“

„Dann bleibt davon!“ erwiderte er.

„Wenn es Ihnen recht ist, gnädige Frau, so verleben wir den Abend daheim. Ich habe ohnehin Briefe zu schreiben, die ich nicht mehr länger aufschieben möchte.“

„Ja!“ sagte sie zum dritten Male. Dann stand sie auf und ging hinaus.

Gleich nach dem Mittagessen fuhr Leo in die Stadt; Antje hörte den Wagen vom Hofe rollen. Sie befand sich im Eßsaal, beschäftigt, das Silber zu verschließen, das bei der gestrigen Gesellschaft gebraucht worden war. Es war nach vier Uhr und die Dämmerung schon hereingebrochen. Mechanisch wischte sie jeden silbernen Löffel, jede Gabel mit einem zierlich ausgebogten Leder ab und legte Stück für Stück in den blauen Sammet des großen Juchtenkastens.

Ihre Gedanken waren bei Leo. Was mochte er beginnen in seinem gekränkten Stolze? Er that ihr in der Seele leid; nie hatte sie ihre Mutter so heftig gesehen. – Als Antje heute früh schreckensbleich in das Zimmer stürzte, in dem sie die beiden wußte, saß die alte Dame zornesroth am Tische, die Abrechnung des Bankiers vor sich. Die Hand, die eben derb aufgeschlagen hatte, lag noch geballt auf der bunten Decke neben dem Tintenfaß. Leo stand kreidebleich, aber ein überlegenes Lächeln um den Mund, am Ofen, in nachlässiger Haltung, als wärme er sich die Hände.

„Mutter, ich bitte Dich,“ hatte Antje gerufen, „was hast Du eben gesagt!“

„Daß Du mir willkommen bist zu jeder Stunde,“ war die erbitterte Antwort gewesen, „daß ich noch immer einen warmen Platz für Dich habe und daß es mir lieb ist, Du kommst bald, ehe Du mitansehen mußt, wie hier – alles in die Brüche geht!“

„Nun weißt Du es, entscheide Dich!“ hatte Leo trocken erklärt.

Aber sie hatte gar nicht auf ihn gehört. Sie war mit gefalteten Händen auf die Mutter zugetreten und hatte sie nur mit einem flehenden, innig flehenden Blick angeschaut.

„Sie brauchen sich nicht zu wiederholen, Mama,“ hatte Leo weiter gesprochen, „meine Frau weiß, daß ich keine Bilder verkaufe, und daß ich Champagner und schöne Pferde liebe – –“

„Leo, so schweig’ doch davon!“ hatte die junge Frau seine Rede unterbrochen; „was mein ist, ist auch Dein, ich habe mich noch nicht beklagt über Deine Ausgaben! Wenn Mutter es thut, so meint sie es nur gut und – hat vielleicht nicht unrecht. O, ich bitte Euch, vertragt Euch doch, bitte! bitte!“

„Du hast Dich noch nicht beklagt, Kind, das ist wahr. Du würdest ihm auch kein Wort sagen, und wenn heute der letzte Groschen zum Fenster hinausflöge! Deshalb bin ich da, deshalb

habe ich ihm einfach vorgerechnet, daß Ihr, wenn Ihr so weiter lebt, noch sechs bis acht Jahre reichet mit Deinem Vermögen –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_088.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)