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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


nachher ist’s aus! Oder meinst Du etwa, Ihr könnt das Hüttenwerk so nach und nach zum Butterbrot aufessen? Bei Gott, daß das nicht geschieht, dafür sorge ich!“ Die entschlossene Dame wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.

Antje schwieg. „Geh’ hinaus, Leo!“ bat sie endlich.

„Ich bedaure! Mich interessirt es, zu hören, was Deine Mutter uns vorschreibt für unseren künftigen Haushalt,“ war Leos Antwort gewesen.

„Nichts weiter,“ hatte langsam Frau Klaartje Frey erwidert, „nichts weiter als das, was Antje lernte, so lange sie in meinem Hause lebte: Einfachheit, Sparsamkeit und Arbeit, Arbeit, wie sie einem Manne geziemt, der für Weib und Kind zu sorgen hat – keine brotlosen Künste! Und nun bitte ich um das Kursbuch.“

Leo war zur Uhr getreten. „Der Schnellzug nach Leipzig geht in dreiviertel Stunden,“ erklärte er sehr ruhig.

„Leo!“ Der jungen Frau war das Herz fast stillgestanden. „Mutter!“ flehte sie nach der andern Seite, „bleib hier – geht nicht so auseinander!“

„Du besuchst mich wohl mal, Antje?“

„Ach, Mutter, es ist ja nicht möglich, daß Du so von uns gehst!“

„Freilich gehe ich! Es soll keiner sagen die alte Frey hetzt ihr Kind gegen den Mann auf. Ich habe Euch gewarnt, und Ihr wißt nun – hilf mir die Sachen packen, Antje!“

Sie war gegangen, ohne sich nach dem jungen Mann umzusehen. Antje bemerkte, wie er ihr eine Verbeugung machte, ironisch tief, bis zur Erde, aber sie sah es durch Thränen. – –

Und endlich war das Silber geordnet. Sie stand da in der farblosen Dämmerung und fürchtete sich fast, so herzenseinsam, so kalt war es um sie her – Leo hatte kein Wort des Trostes für sie gefunden. Er war ihrem suchenden Blick förmlich ausgewichen und sie hätte ihm doch so gern gezeigt, daß sie die harten Worte der erregten Frau nicht billige. Sie grübelte und grübelte, wie sie ihm eine Aufmunterung, eine Anerkennung verschaffen könnte. Ihre Mutter hatte es ja so gut gemeint, wie aber durfte sie ihm Worte sagen, wie das von den „brotlosen Künsten“!

Antje preßte die Handflächen gegen einander in Seelenqual. „Wenn ich nur etwas wüßte,“ lispelte sie, „so eine recht große Freude!“ – Aber es fiel ihr nichts ein; seufzend stieg sie die Treppe empor und suchte ihr Zimmer auf.

(Fortsetzung folgt.)




Vom römischen Karneval.
Von Woldemar Kaden. Mit Zeichnungen von P. Bauer.


 „Lieblich ist’s, schwärmen zu seiner Zeit.“
 Horaz.

Eine wilde Musik zieht unter meinen Fenstern vorbei die Straße entlang. Schreien und Jauchzen der Kinder mischt sich mit dem Klange der Pauke, der Trommeln und Trompeten. In dem Garten drüben glühen aus dunklem Laube die goldenen Früchte; ein blauer klarer Februarhimmel liegt über den Dächern der „ewigen Stadt“. Die Erinnerungen, in Gestalten, in Gruppen und Bildern, ziehen an meinem Auge vorüber und dieses fällt auf ein paar alte Münzen, die der Zufall mir auf meinen Schreibtisch gestreut hat.

„Es war einmal ...“

Es liegt da ein römisches Bajoccostück aus dem Jahre 1787, eine abgegriffene, fast schwarze Kupfermünze. Sie trägt die Umschrift: „Pius VI, Pont. Max. A. XIII.“ d. h. „Papst Pius VI. hat sie geschlagen im 13. Jahre seines Pontifikats.“ Ueber dem päpstlichen Wappenschilde kreuzt sich ein stattlich Schlüsselpaar, schwebt in unangetasteter Hoheit die uralte Tiara ...

1787! Ist das nicht das reiche, das wirkliche Glücks- und Jubeljahr unseres großen Poeten, sein italienisches Jahr? Wohl, 1787 war Goethe in Rom, dort erlebte er den lustigen Karneval. So hätte dieser Bajocco in Gesellschaft von den damals im Kirchenstaat üblichen, heute verschollenen Münzsorten der Rusponi, Zecchini, Laternini und Paoli vielleicht schon in Goethes Tasche geklimpert, da er inmitten der ausgelassenen Maskenwelt schauend, genießend den Korso hinabschritt und abends den vom „18. Febr. 1787“ datirten Brief in die Heimath mit dem Zusatz versah: „Abends, nach verklungener Karnevals-Thorheit.“

Verklungen! Goethe hatte mit prophetischem Geiste gesprochen.

Da liegt neben dem ersten ein anderes, ebenso historisch gefärbtes, etwas zerschnittenes oder zerhacktes Doppel-Bajoccostück. Es ist elf Jahre jünger, hat aber ganz andere Dinge erlebt: es führt die ernste Jahreszahl 1798!

An Stelle des Papstwappens stehen die antiken bedrohlichen Fasces, die Ruthenbündel; vor diesen kreuzen sich ebenso bedrohlich trotzig zwei Beile; die Tiara hat sich in die Jakobinermütze verwandelt, und inmitten eines Strahlenkranzes läuft rundum die stolze Legende: REPUBLICA ROMANA!

Diese römische Republik lag noch in der Wiege und war eben erst gewickelt, d. h. am 15. Februar des genannten Jahres gegründet worden. Im Februar, also mitten im Karneval, und ihr zweites Opfer – das erste war der französische Gesandte Duphot gewesen, der am 28. Dezember 1797 bei einem Aufstandsversuch der römischen Republikaner im Getümmel umkam – ward der arme Prinz Karneval; er erhielt in jenem Jahre, wo die Göttin Vernunft auf den Thron kam, den Todesstreich.

Unsere Zeit aber steht wie einst Hamlet auf dem römischen Todtenacker. Der alte Todtengräber hat eben einen Schädel aufgeworfen und spricht: ... „Dieser Schädel da war des Karnevals Schädel, des Königs der Spaßmacher.“

Hamlet betrachtet ihn ernsthaft: „Ach armer Karneval! Ich kannte ihn, ein Bursche von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen ... Wo sind nun deine Schwänke? deine Sprünge? deine Lieder, deine Blitze voll Lustigkeit, wobei die ganze Welt in Lachen ausbrach? Alles weggeschrumpft!“

Und wieviel ist das, was wegschrumpfte! Denn die Dynastie ist alt. Es war schon Papst Paul II., der den jungen Ritter Karneval um 1467 aus dem Labyrinth des Mittelalters an seinen Hof zog. Auf den lustiggrünen Volkswiesen am Fuße des Monte Testaccio, in dessen Grotten die römischen Weine lagerten, hatte er bis dahin sein Wesen getrieben, aber jener Papst lockte ihn in das Innere der Heiligen Stadt, um ihm und seinem landstreichenden Gefolge die Via Lata zu den „Corse“, den Pferdewettläufen, anzuweisen, so daß diese Straße davon den noch heute geltenden Namen des „Corso“ bekam.

Ueber vierhundert Jahre sind seit jenem ersten Karneval vergangen.

Auf der Piazza Venezia versammelte damals sich der Nobilissimo convito papale. Senatus populusque Romanus, Roms Volk und Senat, um von ihren mit farbigen Tüchern behangenen Balkonen aus dem Eintreffen der „Barberi“ zuzusehen, den wettlaufenden Juden, Jünglingen, Greisen, Büffeln und Eseln; denn die „Corse“ der Zweifüßler waren damals so beliebt wie die später allein übriggebliebenen der Vierfüßler, der Pferde.

Bis zur Tollheit und Verrücktheit muß damals wohl die Karnevalsfreude ausgeartet sein, so daß selbst die Türken darob verwundert die Köpfe geschüttelt haben. Einer derselben, der um 1550, als Julius III. zu regieren anfing, dem römischen Karneval beiwohnte, erzählte nach der Heimkehr seinem Herrn, wie zu einer gewissen Zeit des Jahres die Christen auf einmal verrückt werden und erst wieder zur Vernunft zurückkehren und genesen durch Kraft eines grauen Pulvers, das man ihnen in den Kirchen auf den Kopf streut.

Das ist die Segenswirkung der Aschermittwochsasche.

Was schwärmte damals, und zu Goethes Zeit noch immer, nicht alles an Masken durch die Straßen der Ewigen Stadt! Mit den Paoli, Scudi und Bajocchi sind sie verweht, der lustige Arlecchino und Pulcinella, der bergespaltende Capitan Spavento, Peppe Nappa, Tabarrino, Tartaglia, Meo Patacca, Pantalone, Florindo und Meneghino, Stentorella und Scaramuccia, Ruzzante und Scapino!

Ihre Namen liest das heutige Geschlecht wie die studirende Jugend die Namen jener Helden der Odyssee und Ilias.

Die alten Götter sind gegangen. Nur ihre Hüllen ließen sie für die Kostümkunde zurück. Der ganze lustige Spukstaat des

Prinzen Karneval, seine Masken und Trachten, seine Schellen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_090.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)