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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


 Denksprüche.

 Narrenschuhe.
Narrenschuhe trägt ein jeder,
Und sie sind von derbem Leder,
So daß manchem von den Alten
Sie bis zu dem Grabe halten.


 Guter Rath.
Dein Geheimniß sage nicht!
Was du weißt, das frage nicht!
Geht dir’s schlecht, so klage nicht!
Bau auf Gott und zage nicht!


 Rhythmus.
Das ist die Gewalt des Rhythmus,
Daß unwillkürlich alles mitmuß.


 Thorheit.
Thorheit haftet jedem an;
Doch mir scheint, der größte Thor
Ist der dünkelweise Mann,
Dem die Eitelkeit ins Ohr
Flüstert, daß von Thorheit frei
Er allein auf Erden sei.


 Zwerg und Riese.
Ein Zwerg, wird er auf eines Riesen Schulter stehn,
Kann leicht den Riesen übersehn;
Doch hat mit Recht man immer nur den Riesen
Und nicht den Zwerg als groß gepriesen.


 Erziehung.
„Was ist das Wichtigste bei dem Erzieh’n von Kindern?“
Laß walten die Natur und such’sie nicht zu hindern!


 Zerrissene Freundschaft.
Eine Freundschaft, die zerrissen,
Knüpft nicht so sich wieder an,
Daß man nicht den Knoten drinnen
Deutlich noch verspüren kann.


 Habe.
Die Habe, die du hast, reich’ andern froh als Gabe;
Wenn dich die Habe hat, ist sie dir keine Labe.

  D. Sanders.




Truggeister.
Roman von Anton von Perfall.
(5. Fortsetzung.)


Als die kurze Trauungsfeierlichkeit vorüber war, stieg Stefanelly in einen Wagen mit dem alten Weinmann, der sich in lärmender auffallender Weise mit dem Baumeister wie mit einem guten Freunde unterhielt und die knochige Hand mit dem großen blitzenden Diamant wie ein Aushängeschild plump und schwer zum Wagenschlage heraushängen ließ. Loni, die junge Frau, kokettirte lebhaft mit dem Brautführer, dem jungen Mareschal, ohne es dabei zu versäumen, mit den Augen ihre früheren Verehrer vom Markte zu begrüßen. Trotzdem war sie den neugierigen Leuten immer noch sympathischer als die Bertl Margold, die ihre Umgebung nicht einmal mehr eines Blickes würdigte und sich in die Ecke ihres Wagens drückte – die künftige „gnädige Frau“! –

Die Wagen waren verschwunden, man kehrte zu seinen Geschäften zurück und feilschte wieder um jedes Pfennigstück, der lüsterne Traum vom goldenen Glück war verflogen. – –

Das Hochzeitsmahl fand bei Arnold statt, das ließ sich der alte Weinmann nicht nehmen. Er war jetzt Hausbesitzer und gehörte zu der großen Spekulantengesellschaft, an deren Spitze Stefanelly stand. Da mußte man doch repräsentiren!

Ein besonders üppig ausgestattetes Zimmer des Arnoldschen Anwesens war heute für die Hochzeitsgäste in Bereitschaft gesetzt. Loni war ausgelassen fröhlich; die Atmosphäre dieses Raumes behagte ihr, sie warf sich kichernd auf die sammetnen Kanapees, betrachtete sich in den hohen Spiegeln, knapperte vor Beginn der Mahlzeit schon an dem Konfekte herum, erklärte ihrem Mann, solch ein Speisezimmer müsse sie auch haben, und schien es noch immer nicht vergessen zu haben, daß Ingenieur Mareschal, ihr heutiger Brautführer, ihr einst gefährlich nahe gestanden hatte.

Weinmann erfüllte die Luft mit einem ständigen erschütternden Lachen und machte sich über Margold lustig, der still und schweigsam dasaß und sich offenbar hier ebenso wenig behaglich fühlte wie die übrigen beiderseitigen Verwandten. Mit neugieriger Verlegenheit blickten die Leute auf die reichbesetzte Tafel und umher in dem üppigen Raum, der ihnen wenig Hoffnung gab auf die in ihren Kreisen bei solchen Festen übliche Gemüthlichkeit.

In einem sonderbar erregten Zustande befand sich Bertl; jeder Unbetheiligte hätte sie mit dem hochgerötheten Antlitz, den leuchtenden Augen für die Braut gehalten. Es war aber auch ein harter Tag für sie. Der süße Traum, den ihr Vater erbarmungslos gestört hatte, indem er ihr seine Unterredung mit dem alten Brennberg über ihr Verhältniß zu dessen Sohn mittheilte, umgaukelte sie heute wieder mit seinem ganzen verführerischen Zauber. Sie dachte sich auf den Platz Lonis, und wie mit einem Zauberschlag versank ihre ganze Umgebung, der lärmende Weinmann, die unbeholfenen Verwandten, der verhaßte Stefanelly, ja selbst der Vater, die Mutter und an ihre Stelle trat eine vornehme Gesellschaft, Damen in strahlendem Schmuck, Herren in glänzender Uniform! – O, wie sie jetzt alles um sie her anwiderte! Was nützte es ihr, daß der Vater verkauft hatte, daß ihr Wunsch erfüllt war, in M ... zu sein, wenn sie immer unter diesen Leuten leben mußte! Woher sie nur einen solchen Abscheu gegen dieselben gewonnen hatte? Sie gehörte ja zu ihnen, war mitten unter ihnen aufgewachsen. – Er allein, dem all ihr Denken galt, er war schuld daran, er machte sie unzufrieden durch die trügerischen Hoffnungen, die er in ihr wachrief. – Aber am Ende waren sie doch nicht so trügerisch, diese Hoffnungen? Wie der alte Brennberg sprechen würde, das hatte sie ja von vornherein wissen müssen, ebenso, daß Theodor nicht offen seine Neigung bekennen durfte, ohne alles zu verderben.

Sie fühlte eine heißere Sehnsucht nach ihm als je, nicht nur eine wirkliche Leidenschaft, sondern das angstvolle drängende Gefühl, daß er allein sie retten könne aus diesen ihr jetzt verhaßten Lebenskreisen. Sie erröthete über das spöttische Lächeln der bedienenden Kellner, die sich über die Unbeholfenheit und Ungeschicklichkeit dieser Gäste im stillen lustig machten; ihr selbst fiel heute die häßliche Gier, die unsaubere Art ihres Essens auf, das geräuschvolle Lachen, die harte unbeholfene Sprache. Selbst ihr Bruder Hans, trotzdem er aussah wie ein Kavalier, und sogar der reiche Stefanelly mit seinem Orden auf der Brust, seinem gewandten weltmännischen Benehmen kamen ihr entsetzlich gewöhnlich vor. Der Gedanke packte sie, ob sie nicht am Ende auch so aussehe, auch sich so benehme, ohne daß sie es selbst wußte, und ob nicht der junge Brennberg, nachdem er zuerst oberflächlich Gefallen an ihr gefunden hatte, das plötzlich entdeckt haben könnte. Sie musterte und prüfte sich streng im Spiegel gegenüber, forschte nach jeder Bewegung, jedem Zug ihres Antlitzes, der ihr mißfallen könnte; und obwohl sie nichts fand, was sie sich hätte vorwerfen können, so vermochte sie doch nicht, ihrer Beklemmung Herr zu werden.

Stefanelly beschäftigte sich angelegentlich mit dem alten Margold, der neben ihn zu sitzen kam, trank ihm zu, legte ihm die besten Bissen vor, drückte ihm seine Freude aus, daß es ihm, einem tüchtigen, fleißigen Arbeiter, durch die glücklichen Zeitumstände vergönnt sei, seine alten Tage in Ruhe und Behagen zu genießen im Kreise seiner Kinder, und fragte teilnehmend, wie er sein Kapital wohl anlegen werde. Heutzutage könne man nicht vorsichtig genug sein, es gebe immer Leute, die Unerfahrene auszubeuten suchten.

Margold entwickelte darauf mit unruhigem Eifer seinen Plan. Er wolle die Gärtnerei durchaus nicht aufgeben, denn ohne Arbeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_092.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)