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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Bertl saß dicht an der verschlossenen Verbindungsthür; seit sie das erste Klirren gehört hatte, horchte sie mit höchster Anstrengung – er war bei der Gesellschaft – eine innere Stimme sagte es ihr, Arnold war ja sein Stammlokal. Die peinliche Stille, die nun wieder herrschte, hatte für sie etwas Unheimliches, war ihr unerklärlich. Endlich wagte sie es, den Kellner um Bescheid zu fragen. „Es sind Offiziere, die ihr Spielchen machen bei einer Ananasbowle,“ war der Bescheid.

Sie mußte lachen, daß sie das so beunruhigt hatte: aber nach Lieutenant Brennberg zu fragen, wagte sie nicht; sie war bei der ersten Frage schon so frech angelacht worden. Den übrigen am Tische fiel der Vorgang im Nebenzimmer nicht auf.

Plötzlich entstand drüben verworrener Lärm, allgemeines Durcheinander, laute Ausrufe: „Gieb nach!“ „Laß ab!“ „Es ist umsonst!“ „Verdammtes Pech!“ tönten herüber. Ein Stuhl wurde gerückt, eine Thür zugeschlagen, gleich darauf überreichte ein Kellner Stefanelly eine Karte. Bertl hörte deutlich, wie er dem Baumeister ins Ohr flüsterte: „Der Herr Baron möchte Sie sprechen!“

Gewiß, das war er, Brennberg, und was konnte er anders wollen als nach ihr fragen! Am Ende wollte er gar sich von Stefanelly hier einführen lassen, um sie zu sehen! Ueber der Freude bei diesem Gedanken vergaß sie ganz, in welcher unpassenden Verfassung für solchen Besuch sich die Gesellschaft schon befand.

Stefanelly verließ das Zimmer mit einem unwillkürlichen Griff in die Tasche. Draußen auf dem Gang stand Lieutenant Brennberg mit dunkelrothem glühenden Antlitz.

„Eben gehört, daß Sie hier sind, Herr Stefanelly. Bin in verdammter Verlegenheit, eben den letzten Einsatz verloren, und jetzt will und darf ich nicht gehen! Kamerad aus dem Norden hier, von Berlin, da wär’s eine Schande. Der Mensch hat unerhörtes Glück, kann aber nichts, ich kriege ihn doch noch unter, wenn Sie mir aushelfen. Sie haben immer die großen Bohnen bei sich, und wir stehen ja in Geschäftsverbindung, die sich noch erweitern wird, verlassen Sie sich darauf! Fünfhundert Mark? können Sie?“

Stefanelly hatte schweigend seine Brieftasche herausgezogen und einige Worte auf eine Karte geschrieben.

„Hier, unterschreiben Sie!“ Er reichte dem jungen Mann Karte und Bleistift.

Mit zitternder Hand schrieb dieser seinen Namen darunter, während der Unternehmer fünf Banknoten herauszählte.

„Hier, Herr Lieuteuaut! Es ist zwar nicht recht, daß ich Ihre Leidenschaft unterstütze, aber ich sehe Sie doch lieber in meinen Händen als in denen eines anderen.“

Theodor griff hastig nach dem Gelde, aber Stefanelly hielt es fest; ein Gedanke war ihm gekommen.

„Folgen Sie mir erst zu der Hochzeitsgesellschaft, bei der ich mich befinde, Geschäfte halber natürlich. Sie werden sich amüsiren mit dem komischen Volk. Ein paar hübsche Mädels sind dabei – na, Sie kennen sie ja, die Loni Weinmann, die Braut, und die junge Margold. Kommen Sie, es liegt mir daran, Sie erweisen mir einen Gefallen –“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich komme, aber zuerst muß ich an den Spieltisch.“ Theodor zerrte an den Banknoten, indem er wiederholte: „Ich komme, ich schwöre es Ihnen, nur jetzt –“

Die Finger Stefanellys gaben nach, Theodor blieben die Banknoten. Im Nu war er damit im Nebenzimmer verschwunden.

Zu Bertls bitterster Enttäuschung kehrte Stefanelly allein in das Zimmer zurück, und Theodor hatte doch sicher erfahren, daß sie da war!

Da erklärte der Unternehmer in selbstbewußtem Tone, daß noch ein Gast sich einfinden werde, ein guter Freund von ihm, den er selbst einzuladen sich erlaubt habe, Herr Lieutenant von Brennberg.

Ein Offizier als Gast bei der Hochzeit! Das setzte dem Ganzen noch die Krone auf, die späte Stunde, in der dieser Gast kam, wurde nicht in Anrechnung gebracht. Aber wohl oder übel mußte man sich nun doch etwas zusammen nehmen.

Frau Margold lachte mit dem ganzen Gesicht und warf selige Blicke auf Bertl hinüber, der die hellen Thränen in den Augen standen

Der alte Margold schlief und hörte von der ganzen Sache nichts.

Im Nebenzimmer herrschte wieder lautlose Stille; nur hier und da ein leises Rauschen von Geld und Karten.

Bertl war mit ganzer Seele drüben, was mußte das für ein Spiel sein, bei welchem so andächtige Stille herrschte? Jetzt verworrene Stimmen, lautes Gelächter, Stühle werden gerückt, Gläser klingen; gleich darauf geht die Thür auf und Lieutenant Brennberg tritt ein, geradeswegs auf Stefanelly zu, dem er herzlich die Hand drückt.

„Berlin ist besiegt, ich danke Ihnen,“ sagte er lachend. Dann wandte er sich, nach einigen mehr als flüchtigen Höflichkeitsworten an den alten Weinmann und an das junge Paar, Bertl zu, die am unteren Ende des Tisches saß, bleich, die großen Augen starr auf ihn gerichtet.

Sie war entzückend als Brautjungfer mit den Blumen im Haar und er sah sie zum ersten Male im festlichen Gewande – kein Zweifel, Bertha ward von Tag zu Tag schöner. Der Anblick fesselte ihn, seine Nerven zitterten noch vom Spiele.

„Warum allein und so ernst, Fräulein Bertha?“ fragte er, sich über sie herabbeugend.

„Warum allein? – Weil ich allein bin!“ flüsterte sie erregt und eine Blutwelle schoß in ihr Antlitz.

Theodor setzte sich, der Kellner füllte das Kelchglas.

„Oder glauben Sie vielleicht, ich fühle mich heimisch hier, glücklich?“

„Bei Ihren Leuten?“ fragte der Offizier spitz.

„Sie waren es, bis ich andere kennenlernte und mir diese anderen weismachten, diese hier seien zu schlecht für mich. Uebrigens sehen Sie mich heute zum letzten Male dabei. Wir sind nicht mehr in Haching, wir haben gut verkauft wie Ihr Herr Vater. Ja, unsere Väter sind ja seit heute Compagnons.“

„Wie so, mein Fräulein?“

„Der Vater hat eben Aktien erworben von Herrn Stefanelly, ich weiß nicht, wie die Dinger heißen, aber Ihr Papa hat dieselben –“

„Ah, in dieser Beziehung meinen Sie’s, das nennen Sie Compagnons? – Reizend, Fräulein Bertha! Uebrigens freue ich mich, daß Sie meinen Rath so rasch befolgt haben.“

„Freuen Sie sich wirklich? Nun, Sie sind auch schuld daran, ich ließ dem armen Vater keine Ruhe mehr; jetzt freilich merke ich, daß damit eigentlich wenig gethan ist, wir nehmen eben Haching mit herein, wie Sie sehen.“

„Das sehe ich gar nicht,“ erwiderte Theodor, der mit seinen Augen die blühende Gestalt des schönen Mädchens verschlang. „Sie können heute jede Fürstin beschämen, jedem Salon zur Zierde gereichen. Sie sind wirklich schön, Bertha, entzückend schön.“

Theodor sprach diese Worte so verlangend, so lang gedehnt, und sie drangen ihr so tief in die Seele, daß alles flimmerte um sie her. Sie saßen dicht nebeneinander, ganz allein. Die übrige Gesellschaft hatte wieder mit sich zu thun und bei neuen Flaschen den neuen Gast rasch vergessen. Der Ingenieur Mareschal flüsterte, unbekümmert um den Bräutigam, der auf die Lehren Stefanellys horchte, mit Loni; nur Frau Margold verlor keinen Blick von dem Paare unten am Tische.

Da erwachte der alte Margold aus seinem Schlafe, blickte verlegen über seine Schwäche umher, und plötzlich blieb sein Blick starr an dem Paare unten haften, an Bertl und Theodor. Er griff sich in das spärliche Haar, er wollte fragen, aber die Sprache versagte ihm. Wo war er denn? Auf der Hochzeit seines Kindes, mit – mit –? Dort saß sie ja an seiner Seite und er neigte sein Gesicht zu ihr – war das die Wahrheit, oder hatte er, der alte Margold selber, den Verstand verloren? Seine Gedanken wälzten sich wirr durcheinander.

„Was gaffst Du denn so auf den Baron?“ schalt seine Frau. „Gehe hin und bedanke Dich für die hohe Ehre, daß er gekommen ist zur Hochzeit von Hans.“

„Zur Hochzeit von Hans – ja so – ist er gekommen! Das ist freilich eine hohe Ehre“ – er lachte bitter auf – „der Sohn von meinem guten Herrn! Aber ich kann ihm nicht mehr danken, ich bin ganz wirr im Kopf, es taugt nichts, das Zeug da, für einen alten einfachen Mann wie ich bin. Komm, Mutter, wir gehen heim, Bertha soll auch mit, es ist schon spät!“

Frau Margold war empört.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_095.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)