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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Hofe, deshalb müssen wir ihn besuchen,“ bereitete Theodor den Vater vor.

Eine warme, von Patschuli und anderen Wohlgerüchen durchtränkte Luft ersetzte hier die eigenthümlich moderige, dem alten Holze und Mauerwerke des Hartenauschen Stiegenhauses entströmende Atmosphäre. Alles glänzend, üppig, neu, bis auf die glatten Gesichter der Lakaien. Das Alter, die Tradition hatte hier keine Stätte, nur die brutale Macht des Goldes machte sich in allen Ecken geltend.

Baron Anspacher ließ lange auf sich warten und empfing dann die Herren mit einer herablassenden Gutmüthigkeit, die für Christian verstimmender war als der zurückhaltende Stolz eines Geldfürsten, auf den er sich vorbereitet hatte. Der Bankier lenkte das Grspräch auf den Verkauf von Schönau, der ihm bis in seine Einzelheiten genau bekannt schien, und drückte mit nicht zu verkennendem Hohne seine Verwunderung darüber aus, daß der Freiherr sich von dem altehrwürdigen Besitz, an den sich die ältesten Ueberlieferungen seiner Familie knüpften, in seinen Jahren noch habe trennen können.

Der Bankier empfand eine lebhafte Genugthuung, die Nichtigkeit aristokratischer Grundsätze, mit denen er trotz seines Reichthums doch zu kämpfen hatte, der Macht des Goldes gegenüber von neuem bewiesen zu sehen.

Christian fühlte den Stachel. Er rechtfertigte sich mit der zwingenden Nothwendigkeit: die vorrückende Stadt hätte ihn ja doch vertrieben, und einen besseren Käufer als Stefanelly hätte er sich nicht wünschen können. Dann erging er sich, ohne auf das Augenwinken Theodors zu achten, in Lobeserhebungen auf Stefanelly, der vom gemeinen Arbeiter sich zu einer Finanzgröße aufzuschwingen im Begriffe sei.

Bei dem Worte „Finanzgröße“ gab es dem Banker einen Ruck, er lachte hell auf.

„‚Finanzgröße‘ nennen Sie das? Nun ja, Sie sind ja nicht bewandert in unseren großstädtischen Verhältnissen, um derlei Erscheinungen beurtheilen zu können. Wir haben darin natürlich andere Ansichten, uns täuscht der augenblickliche Erfolg nicht, wir sehen hinter die Coulissen. Uebrigens will ich Ihnen Ihre gute Meinung von dem Herrn durchaus nicht nehmen, Herr von Brennberg, Sie haben ja allen Grund dazu, es ist ein hoher Preis, den er bezahlt hat, aber zu hoch, um reell zu sein nach unseren Grundsätzen. Doch das kümmert Sie ja nicht –“ er lachte wieder verletzend. „Sie werden in der Gesellschaft erscheinen, Herr von Brennberg, bei Hofe wohl? sich entschädigen für die einsamen Jahre in Schönau? O, ich begreife das und beneide Sie um die Frische Ihrer Empfindung, Ihrer Lebenslust in Ihren Jahren! Bei mir ist das alles vorüber, ich bin übersättigt – – Spielen Sie auch?“

Christian war unangenehm überrascht von dieser unerwarteten Frage.

„Wie kommen Sie darauf?“ fragte er.

„Nun, es ist das doch nichts Ungewöhnliches bei Edelleuten vom Lande, außerdem –“ er betrachtete die wohlgepflegten Nägel seiner fleischigen Hand – „las ich Sie als Theilnehmer an dem neuen Stefanellyschen Aktienunternehmen; das zeigt mir, daß Sie wenigstens den Reiz der Spekulation lieben, der gewagten Spekulation – nun, und das Spiel ist ja auch im Grunde nichts anderes.“

„Davon haben Sie gelesen?“ entgegnete ganz verwirrt Brennberg. „Aber das sind ja doch Privatangelegenheiten, wie ist denn das möglich?“

Der Bankier lachte mitleidig.

„Nun, sehen Sie, das sind so Stückchen Ihrer neuen Finanzgröße. Der Mann macht Reklame mit Ihrem Namen.“

„Mit meinem Namen? Das wird ihm wenig nützen, er spielt am Geldmarkt keine Rolle,“ meinte Christian; die argwöhnische bösartige Beurtheilung Stefanellys, dem er sich zu Dank verpflichtet fühlte, behagte ihm nicht.

„Gerade weil Ihr Name am Geldmarkt keine Rolle spielt, weil es der Name eines der Börse völlig fernstehenden, einfachen Landedelmannes ist, von dem man gewohnt ist, daß er nur Nummer Sicher zieht, gerade deshalb sind Sie ein ausgezeichnetes Reklamemittel; das sind so Kunstgriffe dieser Leute, die im Kleinen wühlen und arbeiten.“

„Kunstgriffe, die Sie natürlich nicht mehr nöthig haben!“ entgegnete gereizt, seiner Zurückhaltung vergessend, Christian.

Der Bankier setzte seinen goldenen Klemmer auf und zwang sich zu einem Lachen.

„Ah, sehen Sie einmal, auch schon Antibörsianer und kaum ein paar Monate in der Stadt! ‚Die Pestbeule der Gesellschaft, staatlich autorisirter Raub!‘ sind diese Schlagwörter auch schon zu Ihnen gedrungen? Beruhigen Sie sich, es ist nicht so schlimm. Die Börse ist ja nur das Miniaturbild der ganzen menschlichen Gesellschaft, der Geist der ganzen Gesellschaft ist ihr Geist, und die sie lästern, sie verdammen, Brandreden gegen sie halten, die sind von demselben Geiste erfüllt, dem Geist der rücksichtslosen Selbstsucht, des persönlichen Vortheiles; reformiren Sie die Gesellschaft und Sie reformiren die Börse. Uebrigens ist es ja zu lächerlich! Als ob es ohne Börse keine Uebervortheilung der Massen gäbe! Als ob sich die Massen nicht mit und ohne Börse gewaltsam herzudrängten, um übervortheilt zu werden! Doch irgend etwas, ein Name, ein Begriff muß ja da sein, auf den man ordentlich loslästern kann, anstatt daß man sich selbst bei der Nase nimmt. – Entschuldigen Sie meine Erregung, aber gerade bei Ihnen befremden mich solche Vorurtheile, bei einem Manne, der doch schon durch seinen Namen berufen ist, nicht mit der Masse zu gehen. Dem Geburts- und dem Geldadel ist heutzutage offen der Krieg erklärt, dem ersteren, zu dem Sie gehören, aus Gründen der Vernunft, dem letzteren, dem ich angehöre, aus rein praktischen Gründen. Darum sollten wir zusammenhalten aus Selbsterhaltungstrieb. Man sieht das auch an gehöriger Stelle sehr wohl ein, und ich rate Ihnen, wenn Sie in unsern Kreisen verkehren, halten Sie sich daran!“

Christian saß wie auf Kohlen; er hatte eine Taktlosigkeit begangen mit der unüberlegten Anspielung auf die Kunstgriffe, die Baron Anspacher seiner festen Ueberzeugung nach nur in größerem Maßstabe anwendete als Stefanelly; er hatte sich am Ende den Bankier, der selbst bei Hofe hoch angesehen war, zum Feinde gemacht, er wurde am Ende dort als Demagog, als Feind des Kapitals, als – er entsetzte sich, das Wort nur zu denken – als „Sozialist“ verschrieen.

Er stammelte ungeschickt übertriebene Entschuldigungen, welche die Sache nur noch verschlimmerten.

Theodor, der während der ganzen Auseinandersetzung seinem Vater verzweifelte Blicke zugeworfen hatte, brach das peinliche Gespräch ab, indem er dienstliche Pflichten vorschützte, die ihn zum Aufbruch zwängen.

Baron Anspacher entließ Christian mit einem gnädigen Lächeln wie einen zurechtgewiesenen Schüler, von dem man für die Zukunft das Beste hofft.

Brennberg war trostlos. Er fühlte, daß er niemals auf diesem Boden heimisch werden könne, und bat seinen Sohn, von den weiteren Besuchen vor der Hand abzustehen, er sei zu abgespannt.

Dieser rieth ihm selbst dazu in der Furcht, sein Vater könnte sich wirklich noch weitere Blößen geben; er ließ ihn allein nach Hause fahren.

Peinliche Gedanken quälten Christian. Zu was sollte er sich in seinen alten Tagen noch dieser neuen ihm so fremden Welt anpassen, gleichsam von neuem gehen und reden lernen? Was gab man ihm dafür? Warum sollte er sich nicht in seine Burg verschließen können, ein stilles, beschauliches Leben führen nach seinem Sinn wie einst in Schönau? Was hatte ihn denn eigentlich nur gepackt? War die Stadtluft daran schuld oder die halbe Million?

Er dachte unwillkürlich an den alten Margold, dessen Verhältnisse sich in ähnlicher Weise geändert hatten wie die seinen. Der würde deshalb gewiß nicht aus dem Geleise kommen, sondern seine alten Tage in Ruhe verbringen. Er sehnte sich jetzt nach dem ehrlichen Alten, dem er sich näher fühlte als all den Leuten, die er heute kennengelernt hatte. Wenn er es nicht doch unter seiner Würde gehalten hätte, er wäre geradenwegs zu ihm gefahren.

Endlich hielt der Wagen wieder vor der Brennburg, und Christian verließ ihn mit ganz anderem Gefühl, als er ihn bestiegen hatte.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_115.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)