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Blätter und Blüthen.

Am 70. Geburtstag von Hermann Allmers, der am 11. Februar gefeiert wird, darf die „Gartenlaube“ unter den Glückwünschenden nicht fehlen. Auch unseren Lesern ist der wegekundige, schönheitkündende Wandersmann, der von seinen Streifzügen durch die grünen Marschen des deutschen Nordens wie seinen frohgenossenen Schlendertagen im Weichbilde Roms und seiner Campagna gleich lebensvollen und farbenfrischen Bericht zu geben verstanden hat, ein guter alter Bekannter. „Marschenbuch“ und „Römische Schlendertage“ – wohl wecken die Titel der beiden Hauptwerke des urwüchsigen Poeten aus altem Friesenstamme gar entgegengesetzte Vorstellungen. Hier: Sankt Peter und Engelsburg, Vatikan und Quirinal, Capitol und Palatin, dazwischen die großartige Trümmerstätte des alten Forum, die in solchen Wahrzeichen aufragende Welthauptstadt dreier Kulturepochen! – und dort die weithin sich dehnenden schweigsamen Hochgrasflächen des niederdeutschen Marschlands mit ihren weidenden Herden, den von Meerwasser durchflossenen, von Dünen und Deichen geschützten Kanälen: kaum läßt sich ein größerer Gegensatz denken für den poetischen Stimmungs- und Landschaftsmaler. Und doch hat Allmers hier wie dort den echten Lokalton getroffen, hat sein kraftvolles Charakterisirungsvermögen im Süden wie im Norden sich gleich erfolgreich bewährt. Nur in einem sind die Bücher doch auf einen gemeinsamen Ton gestimmt, gerade so wie seine vielen Lieder und Balladen: sie spiegeln treulich Allmers’ scharfumkantete, heißempfindende Persönlichkeit wieder mit ihrer festgewurzelten Heimathliebe neben der stürmischen Wikingersehnsucht nach der Schönheit des Südens, seine naturfrische Persönlichkeit, wie sie aufgewachsen ist in aufrechter Selbständigkeit in der weltabgeschiedenen Stille des uralten Hofs seiner Väter zu Rechtenfleth in der Osterstader Marsch an der unteren Weser, wo er vor siebzig Jahren zur Welt kam und wo er noch heute im frohbewußten Besitz seiner markigen Manneskraft lebt. Von früh an haben sich die beim Volksthum Einkehr haltende germanische Wanderlust und ein Schönheitssinn, dessen Ideale die Kunst der Antike geschaffen hat, als die treibenden und bildenden Kräfte erwiesen, die seinem menschlichen und litterarischen Charakter das so bestimmte wie sympathische Gepräge gaben. So ließ er dem „Marschenbuch“ die „Römischen Schlendertage“, dem Drama „Elektra“ das Buch über „Die Pflege des Volksgesanges im deutschen Nordwesten“ folgen. Und so zog es ihn nach langer Rast in der nordischen Heimath vor zwei Jahren erst wieder nach Rom, um dort mit ungeschwächter Sinnes- und Herzenskraft noch einmal die Schlenderpoesie seiner schönsten Jugendzeit zu erleben.

Damals war es dem Schreiber dieser Zeilen vergönnt, den reckenhaft gebauten Marschlandssohn persönlich kennenzulernen und ihn – nach Verdienst – vielfach gefeiert zu sehen als erfolgreichen Vermittler des deutschen Geistes mit dem italienischen. Und da sah er denn auch, wie das starke Heimathsgefühl in Allmers sich mitten in seiner Bewunderung der Schönheit des Südens geltend machte; so hingebend sein Blick an den Kunstmalen und Gedächtnißstätten der Ewigen Stadt weilte, am begeistertsten schwoll ihm die Rede und löste sich die von Natur schwere Zunge, wenn wir aus dem Straßengewirr in die Campagna hinaus bogen, wenn sich dem ins Weite schauenden Blick das Bild der Stadt mit dem Petersdom als Ganzes darbot, ringsum aber andächtige Stille herrschte, die tiefe Stille der campagna romana, der – Marschen der Tiberlandschaft. „Eccola Roma“ („sieh’, das ist Rom“) brach es dann stürmisch von seinen Lippen, wie einstmals, als er diesen Ausruf an die Spitze eines seiner schönsten Kapitel aus der römischen Schlenderzeit stellte. Wie ich ihn so entzückt dastehen sah, hochaufgerichtet, ein germanischer Mann vom Fuß bis zum Scheitel, mußte ich vergleichend an jene nordischen Barbaren denken, die einst als Eroberer, Zerstörungslust in den Augen, auf das prangende Städtebild hier niederschauten, und dann des gewaltigen Umschwungs, der seitdem germanische Barbarenenkel zu den begeistertsten Verkündigern und Deutern der Schönheit und Bedeutung des alten und des neuen Roms gemacht hat. Unter diesen wird Allmers bleibend eine hervorragende Stellung behaupten. J. Pr.      

Für arme Waisen. Es liegt viel menschliches Elend in den zwei Worten „arme Waise“, und nicht umsonst sind die Geschöpfe, welche mit diesem Namen bezeichnet werden müssen, für unsere Empfindung gleichsam der Typus geworden für das allerniederste Maß von Menschenglück. Es ist nicht bloß das äußere Darben, das körperliche Hungern des Armen, es ist noch mehr die seelische Verlassenheit, das liebeleere Dasein des Vater- und Mutterlosen, was auf unser Herz so ergreifend wirkt und unser Mitgefühl so tief aufrührt.

Vergessen sind sie darum auch nicht von der menschlichen Barmherzigkeit, und viel geschieht gewiß allerorts in der Stille für sie. Aber es besteht auch seit einem Jahrzehnt etwa in Leipzig ein Verein, der es sich zur besonderen Aufgabe gemacht hat, Voll- oder Halbwaisen, gegebenenfalls auch uneheliche Kinder, die ja doch meist gerade um ihrer unehrlichen Geburt willen noch schutzloser in der Welt stehen, zu versorgen, und zwar in der Hauptsache dadurch zu versorgen, daß er ihre Aufnahme in vermögliche, namentlich kinderlose Familien vermittelt. Der Verein, welcher aus den menschenfreundlichen Bestrebungen des Schuldirektors Mehner in Burgstädt bei Chemnitz hervorgegangen ist, an Friedrich Hofmann einen der eifrigsten Förderer fand und sich „Gesellschaft der Waisenfreunde“ nennt, ist den älteren Lesern der „Gartenlaube“ nicht unbekannt; am Anfange der achtziger Jahre ist über sein Entstehen und Wirken mannigfach berichtet worden. Durch den Tod Friedrich Hofmanns gerieth das Werk etwas ins Stocken, es soll aber jetzt mit erneuter Kraft aufgenommen werden, und gerne stellt sich auch die „Gartenlaube“ ihm wieder zur Verfügung. Es ist ja keineswegs wenig, was bisher geleistet worden ist. Der Geschäftsführer Schuldirektor Mehner berichtet, daß er seit Neujahr 1878 im ganzen 55 Kinder direkt versorgt habe, während über 50 weitere Kinder von Eltern auf anderem Wege als durch den Verein angenommen wurden, wobei aber der Verein sich doch das Verdienst der Anregung zuschreiben darf. Andererseits sind die Schwierigkeiten nicht gering, denn es erfordert oft einen außerordentlichen Aufwand von Geduld, Zeit und Geld, bis alle Rücksichten und Wünsche bei der Unterbringung solch eines Wesens erfüllt sind, bis man sich von dem guten Ausfall der getroffenen Wahl überzeugt und über die weitere Entwicklung des Pfleglings beruhigende Klarheit verschafft hat.

Der Leser möge hieraus zugleich entnehmen, wie weit der Verein den Kreis seiner Pflichten spannt. Er begnügt sich nicht damit, ein Kind „angebracht“ zu haben, sondern er hat auch weiter ein Auge auf dasselbe, ob der eigentliche Endzweck der Vereinsthätigkeit, diese armen Hilflosen zu nützlichen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft heranzuziehen, erreicht werde.

Der neue Vorstand, der sich gebildet hat, ist zusammengesetzt aus den Herren Dr. jur. Philipp Fiedler, Dr. Messerschmidt, Dr. Wangemann, Franz Beyer in Leipzig und dem obengenannten Schuldirektor Mehner. Und nun wendet sich der Verein an die Oeffentlichkeit mit der dringenden Bitte, es möchte doch jeder, der ein Herz hat für die armen Waisen, durch Zahlung eines Beitrags (nicht unter 3 Mark) seinen Eintritt in die „Gesellschaft der Waisenfreunde“ erklären, damit dieselbe ihre segensreiche Thätigkeit in größerem Umfange fortsetzen und womöglich ihr letztes Ziel, die Gründung eines Asyls, erreichen könne. Die Beitragszahlungen und Beitrittserklärungen sind an den Kassirer des Vereins, Herrn Franz Beyer, Adresse Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig, Königstraße 33 p., zu richten.

Auf dem Rheineise. (Mit Abbildung S. 101.) Merkwürdige, hochinteressante Landschaftsbilder schafft er doch, der starre Winter, vollends wenn er mit solcher Macht auftritt, wie diesmal. Er überbrückt die eilenden Ströme, die sich sonst selten das Joch des Eises gefallen lassen, und giebt ihnen das Ansehen, als wären sie Gletscher des Hochgebirgs. Unser Bildchen stellt eine Ansicht vom Eise des Rheins bei Bacharach dar. Das Treibeis ist zum Stehen gekommen, die wirr durcheinandergeworfenen Schollen sind so fest aneinander gefroren, daß sie bequem das Gewicht von mehreren Menschen tragen, man hat sogar einen Weg über das Eis von einem Ufer des hier 390 Meter breiten Stromes zum andern gebahnt und ausgesteckt, um so die unterbrochene Verbindung wiederherzustellen. Als man die Dicke der Eisschicht maß, da fand sich durchschnittlich eine Stärke von anderthalb Metern. Aber es gab auch Stellen mit Durchmessern von drei, vier und fünf Metern, ja an einem Punkte sollen es der Meter sogar sieben gewesen sein! Eine Gelegenheit zum Schlittschuhsport ist freilich eine solche Eisfläche nicht – aber darum ist sie auch soviel seltener! Bis diese Nummer in die Hände unserer Leser kommt, ist wohl der starre Bann gebrochen und die Eismassen sind geschmolzen oder hinabgetrieben, dem Meere zu. Hoffen wir, daß ein gütiges Geschick die Gestade des Rheins und der andern deutschen Ströme vor einem plötzlichen überraschenden Eisgang bewahre, daß es jene gefährlichen Eisstauungen verhüte, die schon so furchtbares Unheil angerichtet haben, indem sie den Abfluß der angeschwollenen Wasser verhinderten und die Fluthen zu ungeahnter Höhe hinauftrieben.

Der Kieler Hafen im Winter. (Zu dem Bilde S. 113.) Ein paar Monate sind es her, da haben wir unseren Lesern ein stolzes Bild aus dem Kieler Hafen vorgeführt. Damals spielte sich in diesen Gewässern die großartige Flottenparade ab, die wir in Nr. 41 des vorigen Jahrgangs abgebildet haben. Aber der außerordentlich strenge Winter dieses Jahres hat den Schauplatz dieser Begebnisse bedeutend verändert. Auf Wochen schlug der Frost das bewegliche Element in Fesseln, zwanzig, ja dreißig Centimeter starkes Eis hielt die Schiffskolosse gefangen, bis Friedrichsort dehnte sich die krystallene Fläche und mühsam hielten die Hafenbehörden eine schmale Fahrstraße offen. Auf der glatten Bahn aber, zwischen den eingefrorenen Meerdurchfurchern hin und her, bewegte sich der Schlittschuhläufer vergnügliche Menge. Da lagen die beiden jetzt von der Liste der Kriegsschiffe gestrichenen Fahrzeuge, das ehemalige Kadettenschulschiff „Niobe“ und die „Pommerania“, die zuletzt als Vermessungsfahrzeug diente, abgetakelt, eisbehangen über und über. Vor ihnen, im Strom, erblicken wir das Minenschulschiff „Rhein“, von welchem Geleise zum Ufer führen, auf denen kleine Wagen sich bewegen; die Bojen, sonst des Schiffers Wegzeiger, dienen den Schlittschuhläufern als bequeme Gelegenheit zum Ruhen, zum Aus- und Anziehen der Schlittschuhe, kurzum, es ist das vollkommenste Widerspiel zu jenem sommerlichen Bilde, das sich denken läßt.



Inhalt: [Anm. WS: Inhaltsverzeichnis des vorstehenden Heftes, nicht transkribiert]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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