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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

anstellen – ich bitte Sie, eilen Sie sich, ziehen Sie sich als Spanierin an! Nelly,“ wandte sie sich lebhaft zu ihrer Begleiterin, „das wird ja eine köstliche Geschichte! – Haben wir denn hier nicht ein wenig mehr Licht?“ Und sie riß die Thür auf und rief durch das stille Haus nach einer weiteren Lampe; dann drängte sie Hilde in das Nebengemach hinein. „Bedenken Sie, wir haben noch ein gutes Stück zu fahren, machen Sie so rasch als möglich, ich flehe Sie an.“

Die alte verschlafene Frau brachte ihr Lämpchen, und Frau von Erlach stürmte damit in das Zimmer, wo Hilde sich umzog mit zitternden Händen.

Die junge Dame im Atelier hörte von drinnen das Knistern der Seide, das leise Krachen des spanischen Jäckchens und das eilige Gebahren der beiden. Und als nach einigen Minuten Hilde über die Schwelle schritt, stockte ihr fast der Athem über solch verblüffender Schönheit. Die Baronin aber trat rasch mit der Lampe zur Staffelei. „Sieh her, Nelly, rasch!“ rief sie.

Sie blieben beide stumm, und Nellys Augen sahen enttäuscht aus.

„Mittelmäßig – nicht wahr?“ flüsterte die Baronin auf französisch. Hilde hörte es nicht. Dann wickelten sie die reizende Spanierin in ihren Mantel und entführten sie unter Lachen und Neckereien aus dem Hause.

Frau Kirchner lief kopfschüttelnd mit dem Laternchen hinterdrein. „Die mögen sie mitnehmen, meinetwegen!“ knurrte sie, „aber das Bild, das Bild hätte ich nicht hergegeben.“ Und als der Wagen durch die Nacht davonbrauste, sah sie ihm nach mit ärgerlichem Blick.

„Mag was Schönes sein, was die da vorhaben mit ihrer Mummerei zum heiligen Christabend; – mich dauert nur so eine arme Frau, die zu allen Tollheiten noch lächeln muß.“

Und sie dachte, während sie heimging, an ein Paar klarer kindlicher Frauenaugen, die mit einem ganz unbeschreiblich bangen Ausdruck auf einen kleinen schwarzen Handschuh geschaut hatten, der aus ihres Mannes Tasche gefallen war.

„Mag was Schönes sein, was die da vorhaben,“ murmelte sie noch einmal und drehte mit einem kräftigen Ruck den Schlüssel der Hausthür herum.




Die geplante Weihnachtsfeier der Baronin Erlach konnte nicht auf dem spukhaften Schlosse ihres Vetters stattfinden. Die alten Kamine und Oefen, die ein halbes Jahrhundert und länger nicht benutzt sein mochten, weigerten sich bei dem glücklicherweise zur rechten Zeit gemachten Versuche, ihre Schuldigkeit zu thun, und der herbeigerufene Sachverständige sprach von umfassenden Ausbesserungen, die mindestens einige Wochen in Anspruch nehmen würden. So mußte Herr von Barrenberg seiner Cousine die betrübende Nachricht bringen, daß er zu seinem lebhaftesten Bedauern seine Gäste nicht auf Barrenberg empfangen könne, dafür aber doch inständig bitte, den Festabend in seiner Stadtwohnung begehen zu wollen.

Nun, es war kein großes Unglück. Nachdem Irene von Erlach eine halbe Minute geschmollt hatte, überstürzte sie sich mit hundert Vorschlägen für die Feier und versprach dem „kleinen Vetter“ – er maß beinahe zwei Meter – gewissenhaft die Pflichten der Wirthin zu erfüllen. Sie hatte allerhand phantastische Ideen für die Ausschmückung des Bescherungssalons und überlegte, wer geladen werden solle; denn der praktische Vetter, der sich nur in der Noth dazu verstand. seine Räume auch Familien zu eröffnen, wollte, weil er nun doch einmal „am Abmachen“ sei, gleich noch einige Einladungen ergehen lassen an Leute, denen er es „eigentlich schuldig“ sei. Irene suchte mit ihm allerlei reizende kleine Geschenke aus, versprach, für einen prachtvollen Christbaum und für einen „lebendigen“ Weihnachtsengel zu sorgen, fuhr mit ihm zum Koch und dachte an jede Kleinigkeit, so daß Barrenberg sich schließlich selbst auf den „Zauber“ freute und punkt fünf Uhr am Heiligen Abend an der ersten Thür seiner graßen eleganten Junggesellenwohnung die Gäste mit dem stillvergnügten gutmüthigen Lächeln empfing, das seine große, etwas täppische Persönlichkeit so anziehend machte.

Neben ihm stand Frau von Erlach in einem weißen Seidenkleid mit Besatz aus Marabu, über dessen duftigem Flaum sich das dunkle, übermüthige Köpfchen noch reizender als sonst ausnahm. Hinter ihr lachten und flüsterten zwei allerliebste blonde Mädchen, Melly und Nelly von Benken. Nichten Barrenbergs, die er sich eigens für diesen Abend von seiner Schwester erbettelt hatte. Sie waren unter die Obhut der kleinen Baronin gestellt und hatten Erlaubniß, bis zum ersten Januar die Freuden der Großstadt und die Gastfreundschaft der Baronin zu genießen. Die beiden, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen, machten ihre allerliebsten, noch etwas an die Tanzstunde gemahnenden Knixe, je nach dem Range der Eintretenden verschieden tief und mit den feierlichsten Gesichtern, was sie aber nicht hinderte, gleich nachher die Köpfe zusammenzustecken und zu kichern. Es kamen ja aber auch zu kostbare Menschen hier zusammen! Da waren die ehemaligen Kameraden des Onkels, der lustige Lieutenant von Osten vor allen, dann eine alte asthmatische Frau Oberst in grünem Sammetkleide, die sich in einem fort umsah, die Lorgnette vor den Augen; da kam eine fabelhaft elegante Frau Siegsfeld, die Witwe eines Jagdfreundes; ferner ein junger Mann in unmöglichem Civil, dessen Kravatte viel zu roth und dessen junge Frau viel zu schön für ihn war. Er sollte ein Klaviervirtuose sein, bei dem der Onkel Unterricht nahm.

„Denke Dir unseren braven Onkel, wenn er mit seinen Tatzen das Klavier schlägt,“ flüsterte Melly Nelly zu.

Da war ferner eine gefeierte Schauspielerin, die den Einfall, sie zum Weihnachtsabend einzuladen, „ganz süperbe“ fand, die, ihren Federfächer schwingend und sehr nach dem neuesten Parfüm duftend, sich vor ihr Bild stellte, das im rothen Sammetrahmen über einem kleinen Divan hing, und mit einem Augenaufschlag, den Nelly hinterher vergebens einzuüben suchte, den lieben Barrenberg von einer rührenden Anhänglichkeit fand.

Es kam der General von soundso mit Frau und vier Töchtern, von denen die jüngste dreißig Jahre zählte und welche sämmtlich lange weiße Gesichter mit blassen Lippen, zahllose Sommersprossen und röthliches Haar hatten. Die beiden auf Weihnachtsurlaub befindlichen Brüder begleiteten sie, immer auf der Jagd nach einer reichen Frau, keine Gelegenheit versäumend, um eine solche zu finden, und heute doppelt aufmerksam, denn die beiden Benkens hatten neben all ihrer Niedlichkeit den großen Vorzug, daß sie dereinst Barrenbergs Erbinnen werden sollten – so sagte man. Daß Barrenberg erst vierzig Jahre alt war, das kam weiter nicht in Betracht bei dieser Angelegenheit, heirathen würde er ja doch nie aus purer Bequemlichkeit.

Die jungen Dämchen setzten bei der Begrüßung der beiden Offiziere eine etwas hochmüthige Miene auf und verhielten sich der auffallenden Liebenswürdigkeit der vier Schwestern gegenüber ebenfalls kühl.

„Das könnte mir passen,“ erklärte Nelly. Als eben wieder jemand hereinkam, stieß Melly Nelly an und sagte: „Du, sieh einmal, Nell –“ aber unwillkürlich machten sie beide gleichzeitig eine tiefe Verbeugung, als der Onkel sagte: „Meine beiden Nichten, Frau Jussnitz.“

Die vier klaren Mädchenaugen sahen Antje an, die am Arme ihres Mannes eingetreten war, und beim Anblick dieses weichen Frauengesichtes, das ihnen so angenehm unter allen den andern erschien, vergaßen sie ihre harmlose Spottsucht. „Du, die hat geweint,“ flüsterte Nelly Melly zu. Diese nickte zustimmend, und beide schauten sie der Frau nach, deren lange dunkelbraune Sammetschleppe eben unter der Thür nach dem Nebenzimmer verschwand.

„Es ist unglaublich,“ sagte die Baronin leise zu ihrem Vetter, „welch eine Atmosphäre von Langweiligkeit diese Frau umweht. Du hättest Jussnitz eben nicht so fürchterlich quälen sollen, daß er sie mitbringt – mein Gott, da sie noch dazu gar nicht einmal gern kommt!“

„Aber Irene!“

„Schweig’ doch, Vetter; sie paßt nun mal nicht her, wenn wir lustig sein wollen.“

Nelly steckte ihr Köpfchen zwischen Onkel und Tante. „Ich finde sie sehr reizend,“ sagte sie nachdrücklich, „und jetzt gehe ich zu ihr und sehe zu, ob sie wirklich so langweilig ist.“

Nelly führte ihren Vorsatz auch aus, kam aber bald zurück und gesellte sich mit enttäuschtem Gesichtchen zu ihrer Schwester, die mit Lieutenant Osten plauderte. „Ach Gott,“ sagte sie altklug, „es ist nicht alles Gold, was glänzt.“

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_122.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)