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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Junker benutzten Weg nach Uganda und damit nach der Ostküste offen hielten, als gerade die Ankunft Stanleys das Vertrauen dieses Königs zu Emin erschütterte. Das Buch klärt uns darüber auf, daß Emins Weigerung, ohne die ihm anvertrauten ägyptischen Soldaten und Beamten Stanley zu folgen, nicht nur auf dem Treugefühl eines Führers zu seiner Truppe beruhte, sondern noch erhöht ward durch das bei Emins gelben und schwarzen Untergebenen bestehende Mißtrauen, die Hilfe Stanleys werde nur den Weißen zugute kommen, während sie sich selbst überlassen blieben. Dieses Mißtrauen, welches mit ängstlich eifersüchtigen blicken Emin umlauerte, das Verlangen seiner Truppe, er, der Pascha, der sie in ihre isolirte Lage gebracht, müsse auch ihr weiteres Schicksal theilen, versetzte ihn im Bunde mit den edlen Eigenschaften seines Herzens in jene Lage des Zuwartens und der Ablehnung, die Stanley auf Emins vermeintlicher Energie- und Planlosigkeit zu erklären gesucht hat, während ihre weitere Ursache doch in Stanleys Unfähigkeit lag, Emin sammt seinen Schutzbefohlenen die von diesem mit Recht erwartete Hilfe unbedingt und rechtzeitig zu gewähren. Auch Stanleys Doppelspiel, in welchem er an Emin bald als Bevollmächtigter des Khedive, bald als Vertreter des Kongostaats, bald als Agent der Britisch-ostafrikanischen Gesellschaft mit sich widersprechenden Rathschlägen und Anerbieten herantrat, geht aus Casatis Darstellung deutlich hervor.

Aber bei dieser Gelegenheit zeigt sich auch, daß Casati selbst kein einwandfreier Zeuge ist. Auch er schiebt dem Pascha für sein Zögern Beweggründe unter, die ihn als eitel, planlos, eingebildet und phantastisch erscheinen lassen, ohne doch dafür stichhaltige Beweise zu bringen. Durch sein ganzes Buch zieht sich der Vorwurf, daß Emin durch die hartnäckige Ablehnung der guten Rathschläge, die er – Casati – ihm gegeben, all sein Unglück sich selbst zugezogen. daß er ihm nicht genügend Vertrauen geschenkt und es unwürdigen Rathgebern zugewendet habe. Es ist daher ganz falsch, wenn der deutsche Prospekt zu dem Werke von dessen Autor sagt: er habe Emins volles Vertrauen genossen und sei mit diesem in den Jahren des gemeinsamen Aufenthalts in Aequatoria „durch die Bande der innigsten Freundschaft auf das Engste verknüpft“ gewesen.

Diese Ausdrücke entsprechen ebensowenig dem Sachverhalt wie die Versicherung, das Buch enthalte Emins Ehrenrettung. Trotz des sichtlichen Bestrebens, gegen den von ihm als Forscher und Mensch aufrichtig verehrten Mann gerechter zu sein als Stanley, trotz der scharfen Vorwürfe, die er dem letzteren wegen seines Verhaltens gegen den Pascha macht, steht er selbst unter dem Einfluß persönlicher Verstimmung und Voreingenommenheit, wenn auf sein eigenes Verhältniß zu dem berühmteren und bedeutenderen Genossen im Felde der Afrikaforschung die Rede kommt. Und diese Verstimmung hat ihren guten Grund.

Casati war sichtlich bestrebt, nachdem die gefährliche Lage im offenen Land Emin veranlaßt hatte, den italienischen Forscher von seinem Studiengebiet in den sicheren Schutz seiner Residenz zu laden, auf die Regierung des Gouverneurs Einfluß zu gewinnen. Während Dr. Junker aus dem von Norden her bedrohten Ladò die Rückkehr südwärts über Uganda antrat, blieb Casati bei Emin und suchte sich nützlich zu machen. Es stellte sich dabei sehr bald ein scharfer Gegensatz der Ansichten heraus: Casati schwärmte für offenen Kampf gegen die Mahdisten, Vereinigung der Kräfte zu diesem Zweck in den nördlichen Stationen; im Falle der Ablehnung dieses Plans war er für einen geschlossenen Rückzug in nordwestlicher Richtung durch die Gebiete friedlicher Negerstämme, deren Sinnesart ihm bekannt war. Emin dagegen, der bei der hoffnungslosen Lage des von dem Mahdi eroberten Sudan nicht an die Möglichkeit glaubte, eine freie Bahn in nördlicher Richtung nach dem Unternil zu finden, setzte seine ganze Hoffnung auf die südlichen Stationen und eine den offenen Kampf vermeidende Politik, die sich durch kluge Verhandlungen mit dem Negerkönig von Unjoro den Weg nach den Missionsstationen in Uganda offen hielt. Auf diesem Weg allein erhielt er denn auch Nachrichten und Weisungen aus Sansibar, Kairo und Europa, auf diesem Weg allein erwartete er die Hilfe, die er sich erbeten, auf diesem Weg allein hatte er Aussicht, ohne nutzloses Vergeuden seiner Kräfte und zweckloses Blutvergießen im Nothfalle einen Rückzug nach Sansibar unter Verzicht auf fremde Hilfe durchzuführen.

In alledem scheint er uns das Richtige getroffen und mehr Klugheit und Ueberlegung entfaltet zu haben als der heißblütige, kampflustige Italiener. Daß seine Politik zweimal gestört und durchkreuzt wurde durch den Ausbruch von Feindseligkeiten zwischen Unjoro und Uganda, während deren er es weder mit der einen Partei noch mit der anderen halten konnte, weil er es mit keiner verderben durfte, dies waren unvorhergesehene Schicksalsschläge, denen auch der vorsichtigste Stratege nichts entgegenstellen kann als Geduld und Ruhe im Erwarten besserer Umstände. Und in der Entfaltung von Ruhe und Geduld an der Spitze von aufgeregten Truppen, die täglich mit Unbotmäßigkeit drohten, hat Emin in jenen Jahren – ein zweiter Fabius cunctator – um so Bewunderungswürdigeres geleistet, als er mit dieser Zurückhaltung eine rastlose Thätigkeit verband, um die Zeit zum Besten der Civilisirung der von ihm beherrschten Gebiete und für wissenschaftliche Erforschung ihrer allgemeinen Lebensverhältnisse nach Kräften auszunutzen.

Uebrigens muß, nachdem Emin einmal sein Hauptquartier von Ladò nach Wadelai verlegt hatte, dem thatenlustigen Kapitän die „südliche“ Politik Emins schließlich doch in dem Grade eingeleuchtet haben, daß er freiwillig im Dienste derselben einen wichtigen Auftrag übernahm. König Tschua von Unjoro, auch Kabrega genannt, sprach in den Verhandlungen, die Emin selbst mit einem persönlichen Besuch bei ihm eingeleitet hatte, den Wunsch aus, daß ein Vertreter Emins seinen ständigen Aufenthalt in Dschuaja, seiner Residenz, nähme. Tschua hatte versprochen, den Boten, die Emins Briefverkehr über Uganda mit Sansibar vermittelten, offenen Weg durch sein Land zu gewähren. Zur Ueberwachung dieses Verkehrs sollte ein Beamter Emins nach Dschuaja kommen. Casati erbot sich zur Uebernahme dieses Postens und wurde von Emin mit der wichtigen Aufgabe betraut. Er entfaltete im Anfang mit gutem Erfolg die trefflichen Eigenschaften seines mannhaften, energischen und für den Verkehr mit den stets mißtrauischen Schwarzen auch theilweise recht glücklich veranlagten Wesens. Als er aber Ursache fand, in den guten Willen des gewaltthätigen, waffen- und ländergierigen Negerdespoten die stärksten Zweifel zu setzen, als er allerlei Intriguen desselben entdeckte und sich selbst umspäht und umlauert sah von geheimen Beobachtern, schließlich gar von nächtlich seine Wohnung umschleichenden Meuchelmördern, da betrat auch er den Weg der List und Intrigue, ließ durch von ihm Bestochene die Berathungen des Königs belauschen, forderte dann dessen Haß durch Drohungen heraus und gerieth dadurch mit diesem in Konflikte, die nicht nur ihn, Casati, beinahe das Leben kosteten, sondern auch die Interessen Emins aufs Spiel setzten.

Emin, der durch Boten erfahren hatte, daß Casati mit seinen Getreuen sich unter dem Fluche des Blutbannes auf der Flucht nach der Grenze am Albertsee befände, rettete ihn zwar, indem er mit seinem Dampfer das Ufer absuchte, aber der Gerettete sah sich als „Gefallener“ begrüßt, gefallen in der Gunst Emin Paschas. Er habe die Lage der Regierung durch seine überaus schroffe Haltung erschwert, die Beziehungen zu dem Könige von Unjoro und den Großen leichtsinnig und starrköpfig behandelt, die Zukunft der Statthalterei untergraben: das war das Urtheil Emins, welches den Flüchtling am Bord des „Khedive“, nachdem die Freude über seine Rettung schnell verstummt war, empfing. Casati fühlte sich im Innersten gekränkt, er nahm den Tadel mit Schweigen auf. Das peinliche Verhältniß wurde auch nicht behoben durch Emins spätere Erklärung, er habe inzwischen den König Tschua durch unmittelbare Verhandlung wieder zu versöhnen gewußt. Erst der gemeinsame Aerger über das Verhalten des bald danach endlich in Kawalli am östlichen Ende des Sees eingetroffenen Stanley knüpfte wieder das Verhältniß zwischen beiden Männern fester und brachte über der gegenseitigen Verstimmung wärmere Empfindungen zur Blüthe.

Eine vollkommen unparteiische Beurtheilung Emin Paschas und der Art, wie er sich als Statthalter des Khedive unter den schwierigsten Umständen in Aequatoria behauptet hat, bietet also auch Casatis Buch nicht. Die so wünschenswerthe völlige Aufklärung ist auch nach Lage der Dinge nur von Emin Pascha allein zu erwarten. Der Hauptwerth des Casatischen Buches besteht dagegen in der Fülle von sorgfältig gesichtetem, klar dargestelltem Material wissenschaftlicher Beobachtungen, die er mit seltenem Forscherglück und echtem Forscherernst während seines zehnjährigen Aufenthaltes in Aequatoria gesammelt hat. So gründlich und so umfassend wie er hat noch kein Forscher die Naturverhältnisse, die Kulturzustände in den so verschiedenartigen Landstrichen und unter den vielen, von den arabischen Sklavenhändlern bedrängten Negerstämmen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_142.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)