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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Aequatorias erforscht. Durch seine erwähnte diplomatische Sendung erhielt er die Gelegenheit, die Zustände eines kulturell sehr hochstehenden, bisher fast unbekannten Negerstaates bis ins einzelne kennenzulernen. Bei dem Interesse, das gerade das fruchtbare Ländergebiet zwischen dem Albert- und Viktoriasee und damit die beiden großen Reiche von Unjoro und Uganda. gegenwärtig für die deutsche Kolonialpolitik haben, sind die inhaltlichen Kapitel, die von Casatis Aufenthalt beim König Tschua handeln, für die Gegenwart von größter Bedeutung. Mit Staunen erfahren wir, daß hier neben grausamen Gewohnheiten und ekelhaften Sitten sich im Betriebe der Landwirthschaft und blühender Gewerbe sowie in vielen Staatseinrichtungen ein Kulturzustand spiegelt, wie man ihn am wenigsten bei den wilden Bewohnern von Ländergebieten erwarten konnte, die bis vor kurzem der europäischen Kultur gänzlich entrückt waren. Nicht minder interessant sind die Ergebnisse seiner Forschungen im Uellethal, die jenen späteren Erlebnissen vorausgingen. Sie bildeten die eigentliche Aufgabe, die ihn Ende 1879 zum Verlassen der Heimath veranlaßt hatte, als die Redaktion des römischen „Esploratore“ von Gessi Pascha aus dem Sudan den Wunsch erhielt, sie möchte eine geeignete jüngere Kraft zur eingehenden Erforschung des seiner Verwaltung unterstellten Gebietes ihm senden.

Gaëtano Casati war damals 41 Jahre alt. Als Sohn eines Arztes in Lesmo (Brianza) geboren, hatte er sich der militärischen Laufbahn bei den Bersaglieri gewidmet und mit seinem Bataillon elf Jahre lang dem abenteuerreichen Beruf obgelegen, die südlichen Provinzen Italiens von den Briganten zu säubern. Dann war er zwei Jahre lang Lehrer an der Normalschule der Bersaglieri und nach dem Feldzug von 1866 trat er in die topographische Abtheilung des Instituts ein und nahm Theil an der Anfertigung der großen Generalstabskarte von Italien. Diese Thätigkeit steigerte sein Interesse für die geographischen Wissenschaften; er wurde Mitarbeiter des „Esploratore“ und über dem Lesen von Berichten der italienischen Entdeckungsreisenden aus fernen Ländern regte sich bei ihm die Lust, in ihre Reihen zu treten. Die zehn Jahre in Aequatorial-Afrika haben ihn inzwischen in die allererste Linie derselben gestellt und sein Werk über jene zehn Jahre wird sich als dauerndes Denkmal seiner Verdienste wie seiner temperamentvollen, ehrlichen, tapferen Persönlichkeit bewähren, gerade weil es auch deren Fehler und Schwächen in naiver Offenheit enthüllt.

Es ist in einem lebhaften, anschaulichen Stile geschrieben; namentlich in den Kapiteln, die seine aufregenden Erlebnisse am Hofe von Dschuaja bei König Tschua schildern, ist die Darstellung voll dramatisch wirkender Kraft. Die Schilderung des Lebens in der Residenz dieses viehzüchtenden Monarchen gehört zu den fesselndsten Abschnitten der neuesten Afrikaforschung überhaupt.

Da sitzt der finstere König und entwirft seine Pläne, er vergiftet seine unbequemen Minister, mordet die Großen, um mit den „Kleinen“ zu regieren; um ihn sammelt sich seine Prätorianerwache, meist entlaufene Soldaten und Sklaven aus den Nachbarländern. Die höchste Ehre, die er einem Gaste erweist, ist die Ceremonie des gemeinsamen Milchtrunks; denn seine Rinderherden sind sein Stolz und die Milch ist ihm das vornehmste Getränk trotz der großen Rolle, welche das berauschende Bananenbier bei seinen Gelagen spielt. Ein Krieg mit Uganda bricht aus und Menschenopfer werden dargebracht. Fünf Tage lang dröhnt in der Residenz unheimlich die große blutbefleckte Pauke, ahnungslose Wanderer werden unterwegs aufgegriffen und zur Opferbank geschleppt – und am fünften, am letzten Opfertage steht der König mit der Lanze in der Hand und vor ihm defllieren die Großen des Reiches – er berührt einen von ihnen mit der Spitze des Speeres und sein Haupt rollt unter dem Opferbeil zur Erde. Das ist der Hintergrund zu dem Ränkespiel, welches gegen Casati an diesem Hofe geschmiedet wird. Der Gesandte muß in der Nacht Wachen um sein Haus stellen, und siebenmal vereitelt er die Ueberfälle der vom Könige ausgesandten Meuchelmörder! Endlich wird er ergriffen, qualvoll an einen Baum gebunden und verhöhnt, und während man seine Habe raubt, seine Tagebücher vernichtet, entscheidet über sein Schicksal das „Scherbengericht“ der Häuptlinge. Man schenkt ihm das Leben, verbannt ihn aber, da er sich gegen Unjoro verschworen habe, aus dem Lande. „Keine Nahrung, keine Führer!“ so lautet der Befehl des Königs an sein Volk. Verflucht vom Könige, verurtheilt vom Gericht der Großen, verfolgt von den Negern, deren Dörfer er berührt, flieht nun Casati nach dem Ufer des Albertsees und leidet Qualen und Demüthigungen ohne Zahl, bis er auf dem Dampfer Emins Rettung findet. H. P.     




Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(8. Fortsetzung.)


Als Margold mit seinem ehemaligen Herrn durch die stille Nacht dahinwandelte, dachte er unwillkürlich an Bertl, an die Unterredung am letzten Abend im alten Anwesen an der Landstraße, an das Erscheinen des Herrn Theodor auf der Hochzeit des Hans bei Arnold, das doch offenbar nur Bertl galt. Gewiß dachte der alte Brennberg jetzt nach solchen Veränderungen auch ganz anders über das Verhältniß der Kinder.

Lachend erzählte er dem Freiherrn den Vorgang bei Arnold, wie der junge Herr sich so vartrefflich mit Bertl unterhalten, daß das Mädel heute noch den Kopf davon voll habe. Es sei aber auch ein Mädel zum Verlieben, er begreife selbst nicht, wie er zu einem solchen Kinde komme, er habe ihr oft Unrecht gethan, jetzt sehe er selbst ein, daß sie zu Besserem geboren sei, als auf der Landstraße ihr Leben zu verarbeiten; ihr zuliebe schon wolle er noch in seinen alten Tagen mit der Zeit gehen und sein Vermögen vermehren, sie sei dann ein reiches Bürgermädchen wie jedes andere, Fräulein Berta Margold, dessen sich kein Mann zu schämen habe.

Der Baron hörte schweigend zu. Ein seltsamer Gedanke kam ihm: wie, wenn er sich rächen würde an seinen hochmüthigen Standesgenossen? Sie mußten sich jetzt schon rechtschaffen ärgern

über seinen „Aufsichtsrath“, über seine glänzenden Aussichten. Wenn er nun auch noch seinen Sohn, den schönen, reichen, in kurzer Zeit vielleicht einmal sehr reichen Offizier, nach welchem diese hochnäsigen klugen Dämchen schon längst ihre Angeln auswarfen, plötzlich einem einfachen Bürgermädchen, einer Bertha Margold zum Manne gäbe – das wäre eine Rache, ein Hohn! O, der alte Brennberg ist nicht so auf den Kopf gefallen, der alte simple Landjunker! Er sieht ganz wohl euer heimliches Augenblinzeln und Zuwinken, euer höhnisches Lächeln, er ist ein ganz pfiffiger Kopf, auch ohne Theater und Musik und Litteratur und wie das Zeug alles heißt, auf das ihr euch soviel einbildet! Name – Tradition – Standesehre – pah! – er wurde ausgelacht, wenn er in diesen Kreisen nur davon redete. Geld und wieder Geld war die Losung. Der reiche neugebackene Baron Anspacher spielte die erste Violine in der Gesellschaft wie bei Hofe, und diese Gesellschaft selbst fand es ganz natürlich, daß er von seiner goldenen Höhe herabsah auf sie sammt ihren alten vornehmen Wappenschildern, ihren gepanzerten und gepuderten Ahnen. Das Gefühl, sein ganzes Leben lang genarrt worden zu sein, an Dinge geglaubt, für Dinge geschwärmt zu haben, die schon längst vermodert, begraben waren, stieg heiß in Brennberg auf, während Margold sprach; mit Mühe hielt er sich zurück, dem Alten seinen Sohn geradezu anzubieten.

„Nur abwarten, Margold, und nichts übereilen,“ begann er in herzlichem Tone; „daß Deine Tochter ein reiches Mädchen wird, dafür werden ich und der Stefanelly jetzt sorgen, und dann steht ihr jedes Haus offen. O, wir leben in einer großen Zeit – wir hätten sie bald übersehen, eine Zeit, in der nichts mehr unmöglich ist. Ich fühle ihren Geist mich durchdringen, wie ich es nimmer für möglich gehalten hätte. Nur abwarten, Margold, abwarten!“

Der alte Gärtner wußte genug. Es schwindelte ihm zwar bei dem Gedanken – aber es war so, der Herr von Brennberg-Schönau machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß die Bertl seine Schwiegertochter werden könnte.

Sie waren mittlerweile vor dem Hause Margolds angelangt, Christian sagte ihm wie einem guten Freunde gute Nacht und lud ihn ein, ihn bald zu besuchen.

Margold starrte lange noch der hageren Gestalt nach, die balb im Dunkel verschwand, bald grell beschienen im Lichtkreis einer Laterne auftauchte, immer kleiner und kleiner, bis sie endlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_143.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)