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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Gesicht, wenn Theodor kam, die Schlossergesellen stießen sich an und lachten, und auch die Mutter störte mit ihrem aufdringlichen Wesen, so herzlich gut sie es auch meinte. Da mußte Aenderung geschaffen werden um jeden Preis. –

Es war um die Karnevalszeit. Bertl fühlte sich reif, in die Welt zu treten, sich sehen zu lassen, sie brannte darauf, Theodor auf offenem Kampffelde entgegenzutreten, ihm zu zeigen, daß sie es mit jeder Nebenbuhlerin aufnehmen könne. Die Liebe erweckte in ihr den Ehrgeiz, zu glänzen. Auch der Geliebte hegte den gleichen Wunsch, obwohl er sich selbst nicht bewußt war, warum. War es der knabenhafte Stolz, mit dem schönen Mädchen sich seinen Kameraden gegenüber brüsten zu können? Trieb ihn die Neugierde, sie in der neuen Umgebung zu sehen und prüfend zu vergleichen, oder gingen seine Gedanken weiter? Wollte er sie allmählich immer mehr zu sich heraufziehen, bis sie, ohne Aufsehen zu erregen, neben ihm stehen könnte als seine Gattin?

Er dachte an all das und lachte zuletzt darüber. Vor allem wollte er sie nicht entbehren bei seinen Karnevalsfreuden, die ihm alle schal dünkten ohne sie. Die Mutter wurde zu Rathe gezogen; sie begriff selbst, ohne daß sie dabei besonderes Weh empfand, daß sie nicht geeignet sei, mit ihrer Tochter auf einem öffentlichen Balle zu erscheinen, und nach langem Nachsinnen kam ihr ein vortrefflicher Gedanke: Frau Räthin Stürmling, welche im ersten Stockwerk des Vorderhauses wohnte.

Bertl lachte sie aus: das wäre gerade die rechte, die stolze Frau, die daher komme, wie eine Fürstin gekleidet, und ihre eingebildete Tochter, das Fräulein Irma, das die Nase rümpfe, wenn es an einem der Hinterhausbewohner vorüber müsse – wie die Mutter nur auf den Gedanken komme!

Doch diese ließ sich nicht davon abbringen.

„Ich weiß, was ich weiß,“ sagte sie pfiffig. „Alles Schwindel in der Stadt, mein Alter hat eigentlich ganz recht. Da wohnen viele Leute, wunderschon eingerichtet, kommen daher im ewigen Sonntagsstaat und schauen herab auf unsereinen in der Schürze, und wenn man hineinschaut, ist’s nichts als ein glänzendes Elend! Ich sage Dir, Bertl, Du gehst mit der Frau Räthin, laß mich nur machen, und brauchst Dich nicht zu sorgen, daß die nicht hinkommt, wo die feinen Leute sind – die versteht’s! Mein Gott, der arme Herr Rath, er thut mir leid, so oft ich ihn sehe. Ein freundlicher, lieber Herr, aber man sieht ihm die Sorge an um den theuren Haushalt. Freilich, was will er denn machen? ‚Standesrücksichten‘ nennen’s die Quälerei ’s ganze Leben durch, und auf das hin wird dann drauf los gewirthschaftet von solch einer Frau!“

Frau Margold liebte nicht umsonst die Stunde am Brunnen im Hofe. Da erfuhr sie die Geschichten aller ihrer Miethsparteien; das ganze Haus war für sie wie aus Glas, sie sah in die innersten Gemächer, in jede Schüssel, es gab keine Geheimnisse für sie.

Frau Räthin Stürmling war noch eine schöne stattliche Frau, trotz ihrer fünfundvierzig Jahre; ihr einziger Fehler war nur, daß sie nicht einen Baron Anspacher, sondern einen Rath Stürmling mit fünftausend Mark Gehalt und geringem Vermögen geheirathet hatte, sie wäre sonst eine Zierde der großen Welt geworden. Doch das Zeug dazu steckte einmal in ihr, das wurde ihr nur zu oft von Schmeichlern gesagt, und so mußte sie doch einigermaßen ihrer natürlichen Bestimmung nachkommen. Ihr Gatte war ein guter Ehemann, der in den ersten Jahren nach seiner Verheirathung dem schönen, abgöttisch verehrten Weibe nichts versagen konnte, später nichts mehr versagen durfte, obwohl die wachsenden Wünsche der Gattin in keinem Verhältnisse standen zu der Steigerung seines Gehalts. Ständige pekuniäre Wirren, ein verzweifeltes aufreibendes Ringen, die Ehre des Standes aufrecht zu erhalten, sich keine Blöße zu geben, die von oben herunter übel vermerkt werden könnte, den äußeren Schein zu wahren – das war die unausbleibliche Folge davon.

In den Augen der Welt lebte das Ehepaar Stürmling in himmlischem Frieden. Der früh ergraute Scheitel des Rathes, seine gebeugte Gestalt fielen nicht auf, man schob es auf den anstrengenden Beruf, auf das rastlose Leben der Großstadt. Unter dem Vorwande, sein schwächliches Töchterchen Irma könne die Luft und den Lärm der Stadt nicht ertragen, war er in dies neue Viertel gezogen, wo die Miethen noch verhältnißmäßig niedrig waren.

Fräulein Irma sollte nun heuer zum ersten Male die Bälle besuchen in Begleitung der Frau Mama, welche sich schon lange nach diesem Zeitpunkt gesehnt hatte, um die Stätte ihrer früheren Erfolge wieder aufsuchen zu können. Der Beginn des Karnevals und der Termin des Miethzinses fielen aber diesmal bedenklich zusammen. Die umfassenden Vorbereitungen der Frau Räthin hatten bereits die Kasse des Hausherrn erschöpft und Rath Stürmling war verzweifelt, als der gefürchtete Tag kam, ohne daß er sich trotz aller Anstrengung die nöthigen Mittel verschaffen konnte – und doch war’s der erste Termin in diesem Hause. Das Gefühl der Schande drückte ihn zu Boden, und zum ersten Male seit langer Zeit trat er vor die Gattin mit ernstlichem Vorwurfe. Frau Stürmling lächelte über die Engherzigkeit ihres Gemahls. Das käme ja in den besten Familien vor; außerdem sei sie ja ganz schuldlos, die Zukunft ihres Kindes müsse ihr wichtiger sein als eine augenblickliche kleine Verlegenheit. Heutzutage müsse man vor allem den Schein wahren, dürfe man sich nicht in die Karten sehen lassen, besonders wenn man eine heirathsfähige Tochter habe, sonst sei alles verloren. Er solle die Regelung der Angelegenheit nur ihr überlassen, Frau Margold sei eine ganz verständige Frau, die werde das alles wohl begreifen.

So kam es, daß Frau Margold eines Tages von der Frau Räthin im Stiegenhaus auf die liebenswürdigste Weise angesprochen wurde und daß sich die Frau Räthin lebhaft nach der Frau Margold schöner Tochter Bertha erkundigte, die ja geradezu Aufsehen mache in der Stadt.

„Ja, ja, die Kinder! Was thut man nicht alles für sie, Frau Margold! Meine Irma wird heuer zum ersten Male die Bälle besuchen – Gott, man hat ja auch seine Jugend genossen! Aber was das heutzutage für Geld kostet! O, wie glücklich preise ich Sie, daß Sie davon nichts wissen – aber was will man machen, man wird gezwungen dazu in unserer Stellung – – was ich sagen wollte, Frau Margold –“ die Frau Räthin strich sich dabei mit den kleinen Händen über den kostbaren Pelzbesatz – „es wird Ihnen wohl nichts daran liegen, wenn mein Mann Ihnen die Miethe erst in einem Monat übersendet, nicht wahr? Es ist ja nur eine Kleinigkeit – aber was die Irma uns heuer kostet! horrend! Na ja, nicht wahr, Frau Margold?“

Mit einem liebenswürdigen Lächeln beendete sie das Gespräch, ohne die Antwort abzuwarten, vor welcher der gewissenhafte Rath Nächte hindurch gezittert hatte.

Frau Margold glaubte nun, diesen Umstand benutzen zu können: wenn die Räthin Bertl unter ihren Schutz nähme, dann sollte es mit der Miethzahlung gute Weile haben. Und danach verfuhr sie.

Die Räthin war zwar unangenehm überrascht, als Frau Margold in einem gewissen drohenden Tone, der im Verweigerungsfalle das Schlimmste erwarten ließ, die Anfrage an sie stellte. Wie das Verhältniß an und für sich stand, war ja das Verlangen eigentlich nicht zu erfüllen. Die Tochter eines früheren Gärtners, die Tochter einer Margold in ihrer Gesellschaft an der Seite ihrer Irma! das schien ihr auf den ersten Anblick unmöglich. Doch die Frau Räthin kannte Bertl, bewunderte täglich ihr Geschick, sich zu kleiden, sich zu benehmen, sie wußte, Bertl würde ihr, was Aeußeres und Anstand betraf, keine Schande machen, und darauf kam es um Ende ja nur an. Die Eltern kannte man nicht, Bertl war einfach ein wohlhabendes bürgerliches Mädchen, wie viele heutzutage in der Gesellschaft auftraten, und – – Frau Margold durfte um keinen Preis gereizt werden.

So ging sie auf die Bitte ein, Frau Margold überbrachte triumphirend Bertl die Nachricht, und diese suchte, Thränen der Rührung im Auge, sofort die Räthin auf und küßte ihr in übersprudelndem Dankgefühl die Hand.

„Ich will Ihrer Mutter gern den Gefallen thun, obwohl man mir vielleicht einen Vorwurf daraus machen wird in meiner Stellung. Nur mache ich Sie darauf aufmerksam, daß der Eintritt in die Gesellschaft an der Seite meiner Irma für Sie seine Bedenklichkeiten hat; es ist ja nicht Ihre Schuld, daß Sie die Erziehung nicht genossen haben, wie sie sonst in unsern Kreisen üblich ist, ich möchte nur nicht verantwortlich gemacht werden für eine allenfallsig Enttäuschung Ihrerseits. Sie haben Muth, Fräulein Bertha. sehr viel Muth; es ist ein glatter Boden, den Sie betreten wollen! Was die Toilette betrifft, bitte ich Sie, vorher mit mir darüber zu Rath zu gehen, ich fürchte das Zuviel – man macht sich leicht lächerlich damit.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_146.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)