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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Ich habe nie an ihn gedacht,“ sagte Hilde ebenso langsam wie vorhin; und sie wandte sich um dabei und schritt dem Fenster zu.

„Hilde, das ist eine Lüge!“ sprach Frau Polly Berger fest, und auf ihrem Gesicht lag ein feierlicher Ernst, „es ist eine Lüge! Du bist ihm gut, und er Dir! Ich bin eine alte Frau und weiß, wie es zugeht im Leben. Du aber thust eine furchtbare Sünde, wenn Du hier bleibst, eine Sünde gegen Dich, gegen ihn und gegen die Frau da drüben und ihr kleines Kind. Ueberlege doch um Gotteswillen, was soll daraus werden!“

„Ich verbitte mir, daß Du so Schlechtes von mir denkst,“ rief Hilde, dunkelroth erglühend, und ihr Fuß trat den Teppich. „Muß denn alles hinabgezogen werden in den Staub? Kann denn gar keine Beziehung mehr in der Welt von Mensch zu Mensch bestehen, ohne daß man mit schmutzigen Händen danach greift? Allerdings bin ich meinem Lehrer gut, allerdings hält er viel von mir – ist das etwas Böses? Ich verbitte mir alle gehässigen Auslegungen!“

Die kleine Tante sah ganz erstarrt aus vor Schreck. War es denn möglich, daß sie sich so geirrt hatte? Aber nein, es war nur der Stolz, dieser alte Zweidorfsche Stolz, der das Mädchen trieb, ihre Neigung sowohl wie ihre herbe Enttäuschung zu verleugnen; der sie trieb, hier zu bleiben, damit er glaube, daß er ihr gleichgültig sei, daß es sie keineswegs unglücklich mache, ihn neben seiner Frau zu sehen. Es hatte ja keine Ahnung, dieses arme dumme Ding, an welchem Abgrund es da einherwandelte, und Tante Polly blutete das Herz, wenn sie die Spuren namenloser Seelengual, die großen dunklen Ringe unter den Augen des Mädchens und den kleinen zuckenden Mund sah.

„Hilde,“ begann sie noch einmal, „ich will’s ja glauben, daß Du Dir nichts besonderes aus ihm machst; an Deiner Stelle würde ich aber hier doch nicht bleiben, Du mußt es ja gemerkt haben, daß Du ihm gefällst! Du kennst das Leben noch nicht! – Du willst gewiß nichts Böses, aber Du weißt gar nicht, wie leicht etwas zwischen ein Ehepaar kommt, wenn so ein Drittes im Hause ist. Das sind so eigenthümliche Sachen, Hilde; oftmals nur Kleinigkeiten, an denen aber doch das Wohl und Wehe einer ganzen Familie hängt. Hilde, Du erinnerst Dich gewiß, wie er Dich immer angeschaut hat – bleibe nicht hier, folge mir, ich hab’s doch nie schlecht gemeint mit Dir, wenn ich auch manchmal heftig wurde, hab’ immer meine Pflicht gethan, so gut ich’s konnte. Wenn Du nur diesmal ein ganz klein wenig Vertrauen zu mir haben möchtest!“

„Du siehst Gespenster, Tante!“ erklärte Hilde unerbittlich, „ich wäre undankbar und albern, wenn ich nicht hier bliebe.“

Tante Polly schwieg ein Weilchen und folgte ihrer Nichte mit den Augen, die langsam auf und ab ging. „Die junge Frau da drüben hat so blaß ausgesehen, Hilde, so, als ob sie geweint hätte,“ sagte sie endlich.

„Grundgütiger! Soll ich etwa auch daran schuld sein?“ rief das Mädchen stehenbleibend und die Hände ineinander schlagend.

„Vielleicht – man kann’s nicht wissen, Hilde.“

„Sie hat mich aber selbst gebeten, hier zu bleiben – damit das Bild fertig gemalt wird!“

„Ach Kind, es bittet manchmal eine mit dem Munde um etwas, und ihr Herz schreit nach dem Gegentheil.“

Hilde hielt sich ärgerlich die Ohren zu. „Ich weiß schon, was ich thue, Tante, und nachher geht ein Brief an Papa ab, der den Deinigen erläutert. Papa kennt mich besser als Du.“

„Aber Hilde, was denkst Du denn? Ich habe ja gar nicht geschrieben, ich werde doch nicht! Ich habe das doch nur im Zorn behauptet gestern abend –0 – komm’, Kind, komm’ mit!“

„Ich bleibe!“ rief das Mädchen ärgerlich. „Ginge ich mit Dir, so würde ich förmlich eingestehen, daß ich –“

„Daß Du ihn lieb hast und weggehst, weil er Dich hintergangen hat, und weil Du viel zu stolz bist und zu gut, um –“

„Er hat mich nicht hintergangen und ich – ich liebe ihn nicht!“ unterbrach Hilde sie heftig.

„So rasch kann Dir einer gleichgültig werden, Hilde? Ist es denn möglich? Täuschst Du Dich nicht?“

„Bitte, es ist genug, Tante. Ich bleibe hier und damit gut! Sei so freundlich und packe mir meine paar Sachen zusammen und schicke sie mir heraus.“

„Du wirst Dich aber arg verwöhnen,“ sagte Tante Polly ernsthaft nickend. „Wer mal so etwas –“ sie zeigte auf das Gewand, das Hilde trug – „angehabt hat, dem ist’s hinterher ungemüthlich in seinen alten bescheidenen Kleidern. Nun, so leb denn wohl, Hilde; an Deinen Vater schreibe ich nun doch, und ich will ihm sagen –“

„Daß Du schuld bist, wenn ich hierher kam, sag’s ihm nur!“ rief das vor Zorn weinende Mädchen.

„Ja! Aber auch alles andere, und daß Du die Hand nicht hast nehmen wollen, die Dich hinausgeführt hätte aus Deinem Irrsal, und daß Du die Ohren zugehalten hast vor den Worten, die Dich warnten. Leb wohl, Hilde, und guck fleißig der jungen Frau da drüben nach den Augen, laß sie nicht weinen!“ – Und Tante Polly barg schluchzend das Gesicht in ihr Taschentuch und ging der Thür zu. Dort aber übermannten sie noch einmal Zorn und Angst und sie wandte sich um. „So mach denn, was Du willst, in des Kuckucks Namen! Hören wollen hast Du ja nicht!“ – Dann flog die Thür hinter ihr zu und sie stieg, roth vor Schmerz und Aerger, die Treppe hinunter und verließ, ohne sich von Antje zu verabschieden, Haus und Hof.

Antje sah sie gehen, wie sie sie hatte kommen sehen, und ein Seufzer entschlüpfte ihr. Die kleine rundliche Person trippelte so eilig und so hastig fort, so wie eines geht, das im Zorne geschieden ist. Hilde hatte sich wohl nicht versöhnt mit ihr; sie blieb im Hause!



Ja, sie blieb im Hause! Aber vorläufig sah man nichts von ihr. Sie sei so angegriffen, war ihre Entschuldigung, wenn sie aufgefordert wurde, zu Tische zu kommen. Und als Antje dann zögernd ihre Schritte hinauflenkte, fand sie das junge Mädchen auf dem Ruhebette liegend und zur Zimmerdecke emporschauend. Die Frage nach ihrem Befinden ward mit kurzem Dank beantwortet; Antje saß dann stumm noch einige Zeit bei ihr oder richtete eine höfliche Anfrage an sie: ob es ihr gefalle im Zimmer, ob sie ordentlich bedient werde – um ein „Danke – ja!“ darauf zu hören und dann zu gehen, froh, wenn sie wieder drüben in ihrem einsamen Stübchen sein durfte.

Dem jungen Mädchen waren durch Tante Polly ihre Habseligkeiten zugestellt worden, und als am zweiten Weihnachtsfeiertage Antje pflichtschuldigst bei Hilde eintrat, hatte das Zimmer ein ganz verändertes Ansehen bekommen. Das Mädchen hatte all ihren bescheidenen Tand dazu verwendet, ihr neues Heim mit einem gewissen künstlerischen Geschmack zu verzieren. Ihre Aquarellskizzen lauschten aus den Falten der Wanddraperie; volle Büschel großer rother Mohnblumen, die sie täuschend natürlich aus Papier nachzubilden verstand, hingen über den Bilderrahmen und prangten in den Vasen des Kamins. Am Fenster hatte die Staffelei Platz gefunden, und sie selbst stand im schwarzen Kaschmirkleidchen vor dem Spiegel und band sich eine breite buntgestreifte römische Schürze um die Taille, so, daß die langen Enden der Bänder, am Rücken verknüpft, einen lebhaften Ausputz für den schlichten Rock bildeten.

„Wie nett Sie das gemacht haben!“ sagte Antje; sie erhielt aber keine andere Antwort als ein langgezogenes „O!“ Hildegards, das bescheiden kingen sollte, aber sehr unartig erschien. „Werden Sie heute abend mit uns essen?“ fragte Antje dann mit unveränderter Freundlichkeit.

„Wenn Sie erlauben – ja!“

„Und heute nachmittag? Wollen Sie spazieren gehen?“

„Ich schreibe Briefe.“

„Dann auf Wiedersehen um acht Uhr. Die Herren, die nach auswärts zum Essen geladen sind, erwarte ich zwischen sechs und sieben zurück. Auf Wiedersehen!“

Auch Antje setzte sich zum Schreiben nieder; sie wollte einen längst begonnenen Brief an ihre Mutter vollenden. Aber der Eintritt des Dieners unterbrach sie.

„Gnädige Frau, da ist jemand, der durchaus den Herrn sprechen will; er besteht darauf, ihn zu erwarten.“

„Wer ist es denn?“

„Grabe heißt er; er fragt auch, ob er vielleicht die gnädige Frau sprechen könnte.“

Antje bejahte.

Ein paar Minuten später erschien ein hagerer, ziemlich elegant aussehender Mann, der sich als Geschäftsführer einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_167.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)