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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Dresdener Antiquitätenhandlung vorstellte und damit begann, sich zu entschuldigen, daß er gerade an solchem Tage stören müsse. Er habe aber geglaubt, auf diese Weise nach vielen vergeblichen Versuchen Herrn Jussnitz bestimmt zu treffen, und die gnädige Frau möge entschuldigen, daß er – – es geschehe ja nur aus zwingenden Gründen – die Firma befinde sich in augenblicklicher Verlegenheit –

„Bitte, sprechen Sie doch unumwunden,“ bat Antje, „was wünschen Sie?“

„Wenn es möglich wäre – die Begleichung unserer Forderung, gnädige Frau.“

„Hat mein Mann die Rechnungen für die Einrichtung seines Ateliers in Dresden noch nicht berichtigt?“

„Wir haben nicht die Ehre gehabt, ein Atelier in Dresden für Herrn Jussnitz ausstatten zu dürfen. Es ist noch – es gehört zur hiesigen Einrichtung, gnädige Frau.“

„Wie?“ fragte Antje und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn, die sie plötzlich erglühen fühlte.

„Jawohl, gnädige Frau. Herr Jussnitz hat für sein Atelier hier einige seltene Stücke angekauft vor nunmehr zwei Jahren, und – wie schon gesagt – sind wir nicht mehr in der Lage, länger zu stunden.“

„Ich werde mit meinem Manne sprechen,“ sagte Antje. „Geben Sie mir die Rechnung – wie hoch ist der Betrag? Ich weiß in der That nicht, wann mein Mann nach Hause zurückkehrt.“

Der höfliche Mann überreichte ihr eine offene Nota. „Herr Jussnitz versprach bestimmt, bis zum ersten Oktober dieses Jahres zu zahlen. Leider erfüllte er dieses Versprechen nicht, und –“

Antjes erschrecktes: „Aber, mein Herr!“ ließ ihn verstummen. Sie hatte die Rechnung angesehen und blickte nun mit blassem Gesicht den vor ihr Stehenden an. „Achttausend Mark!?“

„Achttausend Mark, gnädige Frau.“

Sie wandte sich um und legte die Rechnung auf den Tisch. „Ja, es ist recht, ich erinnere mich,“ sprach sie mühsam. „Mein Mann wird die Angelegenheit ordnen, noch vor Neujahr – ich – er – –.“ Sie legte einige Bücher von einem Platz zum andern. „Also Herr Jussnitz wird – ich danke Ihnen, mein Herr.“

Der Fremde hatte wohl geglaubt, er werde das Geld sofort erhalten.

„Gnädige Frau – vielleicht eine Abschlagszahlung,“ begann er, „damit man doch wenigstens –“

„Mein Herr, ich kann in dieser Sache nichts ohne meinen Mann thun,“ sagte sie kurz und bestimmt, „ich werde ihm heute abend die Rechnung übergeben, das ist alles, was ich vorläufig versprechen kann.“

„Sehr wohl, gnädige Frau.“

Der Geschäftsführer hatte längst das Zimmer verlassen, als Antje noch immer still dasaß. Endlich langte sie noch einmal nach dem Zettel des Kunsthändlers.

„Ein Fächer, Watteau, aus dem Nachlaß von Marie Antoinette – dreitausend Mark –“ das mußte jenes zerbrechliche Dingelchen sein, das in ihrem Rokokoboudoir halb geöffnet auf dem verschnörkelten Tischchen lag, so zufällig, als wäre es eben dort vergessen. – Dreitausend Mark!

„Ein Gobelin, echt flandrisch, fünfzehntes Jahrhundert, Maria von Burgund zur Jagd ausreitend.“

Antje erinnerte sich an das verblichene graugrüne Gewebe, das zwischen den Bildern im Atelier hing und nur undeutlich noch eine Edeldame zu Roß mit dem Falken auf der Hand erkennen ließ. Das war mit zweitausend Mark verzeichnet!

Und nun kamen noch einige Waffen und eine Rokokouhr. Auch diese stand in Antjes Boudoir; sie trug als Schmuck eine rosenbekränzte Schäferin mit Hirtenstab und Lämmchen, und hinter einem Rosenbusch kauerte ein Amor: fünfzehnhundert Mark!

Die junge Frau blieb mit gefalteten Händen sitzen. Sie dachte an ihren alten Vater, wie er gearbeitet hatte und wie bescheiden er gewesen war in seinen Ansprüchen, wie schwer er sich einst entschlossen hatte, von seinem mühsam verdienten Gelde einen etwas eleganteren Wagen anzuschaffen, weil es ja eigentlich Luxus sei und weil man doch in der alten halbverdeckten Kutsche so gar glückliche Fahrten miteinander gemacht habe. Ach, es ist so schrecklich, wenn man jemand liebt und wird zu Vergleichen gezwungen, die zu seinen Ungunsten ausfallen!

Der alte ursolide Bürgersinn der Freys bäumte sich in ihr auf; es war ihr, als müßten die Leute mit Fingern auf sie weisen überall, wo sie sich blicken ließ. Ach Gott – aber was waren alle diese Sorgen gegen den Schmerz, der ihr gestern geworden war!

(Fortsetzung folgt.




Tragödien und Komödien des Aberglaubens.
II.

Der „Dreizehnte“ bei Tisch! Das ist wohl das verbreitetste Beispiel einer ganzen Gruppe von Wahngebilden des Aberglaubens, die mit zäher Kraft sich im Alltagsleben der „gebildeten“ Gesellschaft forterhalten. Das Unglück aufzufassen als Fluch, der auf den „Pechvögeln“, gewissen Dingen und Situationen haftet: schier unausrottbar erhält sich diese Neigung aller Aufklärung und Bildung zum Trotz. Der vorurtheilslose Mensch lächelt wohl halb überlegen, halb mitleidig über das einzelne Vorkommniß, will er aber gegen diesen Aberglauben ankämpfen, welche Fülle „erwiesener Thatsachen“ und selbsterlebter Beispiele, gegen die er waffenlos ist, dringt dann auf ihn ein!

Vor einiger Zeit lief die Mittheilung durch die Zeitungen, der Aberglaube der nordamerikanischen Eisenbahnbeamten habe es dahin gebracht, daß die Lokomotive 1313 der Pennsylvania-Eisenbahn außer Betrieb gestellt worden sei. Schon die Nummer war eine unheimliche; die Maschine hatte aber angeblich auch in der That merkwürdig viel Unglück angerichtet, sodaß es dem gesammten Betriebe vor ihr graute. Gleich auf ihrer ersten Fahrt tödtete sie zwei Kinder. Im Sommer 1888 riß sie, von der Latrobebrücke hinabstürzend, einen Zug in die Tiefe, wobei der Maschinist, der Heizer und zehn andere Personen ums Leben kamen, zwölf Personen verwundet und sechs Wagen zerschmettert wurden. Ausgebessert, stieß sie kaum einen Monat später in der Nähe von Manor mit einem Güterzug zusammen. Es gab einen Todten, drei Verwundete und eine Anzahl zertrümmerter Wagen. Wenige Wochen nach diesem Unfall platzte der Kessel der Lokomotive und schleuderte Lokomotivführer und Heizer in die Lüfte, den ersteren tödtend, den andern schwer verwundend. Nach der Wiederherstellung rannte die Maschine abermals in einen andern Zug und that großen Schaden. Dann wurden nacheinander drei Menschen überfahren. Zuletzt platzte eine auf der Maschine gebrauchte Oelkanne und verletzte Lokomotivführer und Heizer schwer. Das alles wird der Unglückslokomotive nachgesagt, und weil, wie erwähnt, niemand mehr mit ihr fahren wollte, so rangirte man sie aus.

Amerika heißt die Neue Welt; aber in der neuen Welt, so scheint es, geht’s zu wie in der alten. Ist das nicht eine alte abgedroschene Geschichte, dieses verhängnißvolle Dampfroß der Pennsylvania-Eisenbahn?

Im Alterthum hatte man noch keine Eisenbahnen und kein Dampfroß, aber mit den lebendigen Rossen ungefähr ebensoviel Aerger wie die Menschen der Neuen Welt mit ihren Maschinen. Es gab im weiland Römischen Reich ein Pferd, einen fatalen Klepper, eine Schandmähre sondergleichen, verhängnißvoller als das hölzerne Trojanische Pferd, das war das Pferd des Sejus. Ich weiß nicht, ab es eine Schecke gewesen ist wie das Roß, vor dem Oktavio Piccolomini seinerzeit den Wallenstein gewarnt hat – unansehnlich war es angeblich nicht, aber wer es nicht kannte, mochte Gott dafür danken! Die edlen Römer, die es nach einander besaßen, hatten nichts als Unglück von ihm, allen seinen Reitern brachte es Verderben.

Der erste Besitzer war Cnejus Sejus, von dem es den Namen hatte: er wurde von Marcus Antonius, dem nachmaligen Triumvir, während des zweiten Bürgerkrieges zum Tode verurtheilt und starb auf dem Schafott.

Von Sejus erbte es Dolabella, der Schwiegersohn Ciceros, selbst ein sauberes Früchtchen. Der ließ sich im Iahre 43 v. Chr. in Laodicea, als die Stadt von Cassius genommen ward, von einem seiner Soldaten tödten, um nicht in die Hände der Feinde zu fallen. Cassius hätte alles nehmen sollen, nur das verwünschte Roß nicht, er nahm es doch, und so geschah es, daß er sich nun nach seiner Niederlage bei Philippi ebenfalls durch einen Freigelassenen tödten ließ.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_168.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)