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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Theodor entging ihre Verwandlung nicht. Er bereute jetzt seine Worte, es war ihm, als habe er damit den Blütenstaub weggewischt, der über ihrem Wesen lag; ein wildes leidenschaftliches Verlangen erfaßte ihn, gepaart mit der Angst eines möglichen Verlustes, den er nicht mehr ertragen zu können glaubte. Zum ersten Male liebte er wirklich, zum ersten Male fühlte er die Sehnsucht, sie völlig zu besitzen. Er gab sich alle Mühe, Bertha in einen der kleinen an den Ballsaal grenzenden Nebenräume zu bringen, um ihr ein rückhaltloses Geständniß, einen unverblümten Antrag zu machen. Aber geschickt, seine Absicht ahnend, wußte sie es zu vermeiden; mit einem Male war sie vertraut mit all den weiblichen Künsten der Liebe, verstand sie es, sich klug zurückzuhalten, bald anzuziehen, bald abzustoßen, abwechselnd Hoffnung und Eifersucht zu wecken. Theodor selbst hatte den verhängnißvollen Zauberspruch gethan, der die Bande ihrer ahnungslosen Jungfräulichkeit sprengte. Mit innerlichem Frohlocken sah sie ihn an der Säule lehnen, das Auge unverwandt auf sie gerichtet, während sie mit andern sprach, scherzte, sich köstlich zu unterhalten schien; sie sah ihn auf einen Wink ihrer Brauen selig herbeieilen, um ihm dann mit ihrer scheinbaren Kälte die bitterste Enttäuschung zu bereiten.

Es ward Morgen über dem grausamen koketten Spiel, in dem sie so rasch Meisterin geworden war. Der Rath, welcher in seiner rosigen Laune über die Gnade seines Chefs unten im Bierstübel des Guten etwas zu viel gethan hatte, rief zum Aufbruch und schleppte mit glühendem Antlitz und komischer Galanterie die Garderobe Berthas daher.

Irma glich einem welken Blatte, die Lust und Anstrengung der Nacht schienen ihre Kräfte verzehrt zu haben, matt hing sie am Arme des Vaters. Die Frau Räthin ging etwas verstimmt nebenher. In einiger Entfernung folgten Bertha und Theodor.

„Fräulein Bertha, erinnern Sie sich noch unseres nächtlichen Heimganges von der Hochzeit Ihres Bruders?“ flüsterte Theodor hastig; die Zeit war kurz bemessen – unten stieg bereits die Räthin in den Wagen.

„Gewiß!“ entgegnete sie mit schelmischem Lächeln, an ihrem Mantel etwas zurechtzupfend.

„Ich miederhale, was ich damals gesagt habe. Ich liebe Sie, Sie müssen mein Weib werden.“ Er drückte fest ihren Arm.

Aber sie zog ihn zurück, es schwindelte ihr; trotz aller Erwartung kam ihr der Autrag zu plötzlich. Gestern wäre sie Theodor mit Thränen der Rührung um den Hals gefallen; heute war es anders.

„Hat Ihnen der Minister Muth gemacht?“ fragte sie schnippisch, mit einem erzwungenen Lächeln.

Theodor war tief verletzt von diesem kalten Scherze in diesem Augenblicke und er erschrak über den verheerenden Einfluß, den wenige Stunden auf diese Mädchenseele gehabt hatten. Aber auch Bertha entsetzte sich vor ihren eigenen Worten. Sie waren ihr ja nicht ernst gewesen, sie hatte sich nur in dieser Verstellung gefallen.

„Ich scherze nur, Theodor,“ flüsterte sie rasch, „ich bin ja Dein seit lange –“

Die Räthin rief in gereiztem Tone aus dem Wagen nach Bertha.

„Aber kommen Sie doch, Fräulein!“

Theodor half ihr hinein.

„Hüten Sie sich vor dem Minister, er ist ein gefährlicher Nebenbuhler,“ warnte die Räthin den Lieutenant, und der Rath lachte vergnügt dazu.

Bertha aber drückte eine Rose in Theodors Hand, die sie von der Brust genommen – dann rasselte der Wagen von dannen.

Wie anders waren die Bilder, die jetzt das Mädchen umgaukelten! In der Straße erwachte bereits das Leben der Großstadt, lange Reihen von Wagen mit Lebensmitteln aller Art, die dem Markte zufuhren, begegneten ihnen; Bertha sah sich selbst auf einem derselben sitzen neben Hans; wie hart, rauh und kalt ihr das alles jetzt vorkam im düstern Dämmerlichte des Wintermorgens. Sie schauderte bei dem Gedanken an das Einst und wickelte sich in ihren Pelz. Welch ein Glückskind sie doch war! Ein inniges Dankgebet schwebte auf ihren Lippen.

Endlich war man zu Hause. Irma war schlaftrunken, der Rath machte wieder sein ernstes sorgenvolles Gesicht. Im Hinterhaus brannte Licht, Frau Köhler war schon wieder auf bei der Arbeit mit ihren beiden Töchtern, und in der Werkstatt wurden bereits die Feuer geschürt.

Jetzt war Bertl wieder die alte. Sie sprang die Treppen hinauf, Frau Köhler und Therese sollten vor allen ihr Glück erfahren, die Mutter schlief ja noch.

Sie blieb an der Thür stehen, das Herz schlug ihr bis in den Hals, drinnen klapperte die Nähmaschine.

„Die arme Therese!“ dachte wieder Bertl, „sie wird am Ende die Armuth erst recht fühlen, wenn sie mein Glück erfährt, meine zügellose Freude wird sie verletzen –“ und Bertl zögerte, einzutreten.

Da verstummte die Maschine.

„Er wird Dich auf den Händen tragen, der gute Mann,“ klang drinnen die Stimme der Frau Köhler. „Ich kann’s selbst noch nicht glauben. Und da kränkte es mich, daß Du nicht mit der Bertl auf den Beamtenball gehen konntest und in der Werkstatt Dein Tanzvergnügen suchen mußtest, wo Du jetzt Dein Glück gefunden hast – Frau Schlossermeister Bergmann!“

„Kunstschlossermeister, Mama,“ verbesserte Therese, „das ist ein großer Unterschied heutzutage.“

„Das ist mir gleich, der Name macht’s nicht, sondern der Mann,“ meinte Frau Köhler. „Handwerk oder Kunst, wenn’s nur was Tüchtiges ist und man sich gern hat, und daran fehlt’s ja bei Euch nicht!“

„Mutter, ich bin so glücklich!“ Ein Kuß war hörbar, dann lärmte die Nähmaschine wieder.

Erstaunt horchte Bertl. Das also nannten die armen Leute Glück – eine Verlobung mit dem Sohne des Schlossermeisters, die vergangene Nacht, während sie von dem Minister so gefeiert wurde, während Theodor von Brennberg sie umwarb, abgeschlossen wurde.

Ein Gefühl unedlen Stolzes ergriff sie. Sie trat mit erhitzten Wangen in den Arbeitsraum; aber beim Anblick Thereses, die über ihre Arbeit sich beugte, überkam sie eine plötzliche Rührung, sie eilte auf sie zu und umarmte sie unter Thränen.

„Ich bin die Braut des Herrn van Brennberg,“ flüsterte sie selig.

Frau Köhler blickte forschend auf Therese.

„Und ich die Braut des Gearg Bergmann!“ sagte diese fest, selbstbewußt.

Frau Köhler nickte zufrieden lächelnd, nur einen Augenblick hatte sie für ihr Kind gefürchtet. Lili athmete schwer auf und beugte sich tiefer über die Blumen, die in ihrer Hand zitterten.

Die beiden Mädchen erzählten nun wechselseitig die Geschichte ihrer Liebe, die Ereignisse dieser Nacht. Bertl von all der Pracht des Balles, von ihren Triumphen, vom Minister, von Theodors stürmischem Antrag – Therese von der Lustbarkeit in der Werkstatt, von ihrer längst heimlich gehegten Neigung, von Georgs schüchternem Werben, dem sie so gern Gehör geschenkt, und beide vergaßen die Kluft, die zwischen ihnen liegen sollte, sahen sich in die leuchtenden Augen und schwärmten von der glücklichen Zukunft.




6.

Die Aktien der Grunderwerbungs-Genossenschaft stiegen immer fort, sie fanden rasch Eingang in alle Kreise der Residenz und selbst die Vorsichtigen wurden zur Erwerbung gereizt. Stefanelly war ein gefeierter Mann, man bewunderte sein Finanzgenie; das Mißtrauen gegen ihn schwand immer mehr.

Der alte Brennberg war trunken von dem plötzlichen Erfolge. Sein Titel Aufsichtsrath war jetzt kein leerer Schall mehr; die sich anfangs über ihn lustig gemacht hatten, suchten ihn jetzt selbst auf, fragten ihn um Rath, hofften, durch seine Verwendung noch einige Aktien zu erhaschen, die schon fast vergriffen waren. Selbstverständlich zögerte er selbst jetzt keinen Augenblick mehr, sein ganzes bewegliches Kapital darin anzulegen.

Stefanelly hatte ihm vorgeredet, daß er in seinen Kreisen für das Unternehmen wirken müsse, und Christian, der sich dem Mann mehr wie je zu Dank verpflichtet fühlte, schlug das Verlangen nicht ab. Theodor mußte ihn in den Klub einführen, wo die ersten Vertreter des Adels verkehrten, und er begegnete dort wider sein Erwarten lebhaftem Interesse. Man hielt ihn für einen erfahrenen Finanzmann, der, in scheinbarer Zurückgezogenheit auf Schönau lebend, schon lange im geheimen auf der Börse sein Spiel getrieben hatte und jetzt erst mit seinem Namen hervortrat; er war nicht mehr der belächelte Landjunker,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_178.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)