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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

In den Felsengebirgen von Colorado.
Von Rudolf Cronau.

Als im Jahre 1876 der nordamerikanische Staatenbund den hundertsten Jahrestag seiner Unabhängigkeitserklärung beging, wurde zum Andenken an diesen Tag das „Territorium“ Colorado zum „Staate“ erhoben und ihm der stolze Beiname der „Sentennialstaat“ verliehen. Diese Wahl hätte schwerlich eine bessere sein können, denn Colorado ist mit allem ausgestattet, was eine große Zukunft sichern kann. Es hat Wald, es hat Wiesen, es hat Wasser, es hat Heerden, es hat in seinem Schoße kostbare Metalle, und dem Zusammenwirken all dieser günstigen Umstände ist es zu danken. daß der Stern des jungen Staates schon heute in hellerem Glanze strahlt als der manches älteren.


Der „Göttergarten“.
Nach einer Zeichnung von Rudolf Cronau.


Colorado ist auch der Staat, wo die Felsengebirge ihre schönsten Reize entfalten, und so hat man dem gebirgigen Westcolorado den Namen „die amerikanische Schweiz“ gegeben.

In diese Schweiz gelangen wir von den Tafelländern Neu-Mexikos her über die östlichen Ausläufer der Felsengebirge, die Raton-Mountains. Auf einer höchst merkwürdigen Straße führt die Eisenbahn in zahllosen Windungen und Kurven bis zu dem 2039 Meter über dem Meere gelegenen Ratonpaß empor, um daselbst in einen über 600 Meter langen Tunnel einzutreten. Die Landschaft, die uns am Ausgange desselben begrüßt, ist Colorado.

Unser Blick fällt zur Linken auf die Sangre de Cristo-Kette, und wir gewahren als leuchtende Marksteine in diesem großartigen östlichen Vorstoße des Felsengebirges, schneebedeckt und wundervoll beleuchtet, die beiden zerklüfteten Gipfel der Spanish Peaks. Der westliche Gipfel hat eine Höhe von 4153, der östliche von 3878 Metern.

Und je mehr wir in das Herz dieses Sentennialstaates eindringen, um so großartiger entfaltet sich sein entzückendes Gebirgspanorama, um so höher erheben sich die scharfen Rücken seiner Gebirgsriesen, die schweigsam, als seien sie sich ihrer Würde bewußt, wie Schildwachen dastehen, um die reichen Metallschätze in ihrem Inneren zu bewahren. Wolken, die Ueberbleibsel eines Gewittersturmes, schmiegen sich an die Brust des 4370 Meter hohen Pikes Peak, der als König dieser Gebirge sein Haupt in stolzer Majestät in den blauen Aether erhebt. Wie flüssiges Silber erglänzen die Schneestreifen, die sich über seine schroffen Abhänge in tiefe Schluchten herunterziehen.

Bei unserer Weiterfahrt steigt im Norden ein dritter schöner Berg empor, Longs Peak, an dessen äußersten Vorbergen auf der Hochprairie sich die Hauptstadt von, Colorado Denver, gelagert hat, „die Königin unter den Städten der Ebene.“ Die Einwohnerzahl dieses im Jahre 1859 angelegten Ortes mag gegenwärtig über 100000 betragen, und in ihrer Anlage gewährt die Stadt ein ungemein bezeichnendes Bild von dem Aufblühen und dem Reichthum des jungen Staates. Ein überaus reges Leben herrscht hier; Ackerbauer, Viehzüchter, Goldgräber. Jäger, Spekulanten, Kaufleute und Touristen drängen sich in buntem Gewühl durch die breiten, mit stattlichen Geschäftshäusern besetzten Straßen. In den höher gelegenen Theil der Stadt haben diejenigen ihre stolzen Sitze aufgeschlagen, welche es in diesem jungen Städtewesen schon zu etwas gebracht haben, und deren giebt es nicht wenige. Schon im Sommer 1880 lebten hier 6 Millionäre, 20 Halbmillionäre und über 200 Personen, die je über eine Viertelmillion Dollar zu verfügen haben. Gar manche dieser Glücklichen sind mit der Stadt selbst emporgewachsen und erinnern sich nach gerne der Zeit, wo auf demselben Flecke, auf dem jetzt ihr von freundlichen Gärten umgebener Steinpalast sich erhebt, die in zwei Minuten herzurichtenden Wigwams der Rothhäute standen.

Van Denver aus führt ein ganzes Netz von Bahnlinien in die Gold- und Silberminenstriche der Felsengebirge. Da, auf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_188.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)