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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Man war vor der Brennburg angelangt und Christian ließ es sich nicht nehmen, Bertha eigenhändig einzuführen in ihr neues Heim. Die Tage ihrer Kindheit tauchten in ihrer Seele auf, als sie alle die Gegenstände wieder erblickte, deren sie sich noch von ihrer frühesten Jugend in Schönau her erinnerte. Damals stand sie in ihren großen Bundschuhen, klammerte sich an den Vater und blickte scheu wie in einer Kirche umher in den ihr ja kostbar dünkenden Gemächern. Gerade so empfand sie jetzt wieder; aber nur einen Augenblick! Dann fühlte sie sich stolz als Herrin dieser Räume, senkte den Blick nicht mehr vor den stolzen Frauen und Männern an den Wänden. Aus den alten Möbelstücken schien ihr ein Duft entgegen zu wehen, wie er zu Hause im Herbst zu den offenen Fenstern ihres Stübchens vom Garten hereindrang, wo die Trauben reiften, das prächtige Obst lag und die frisch umgewühlte Erde rauchte. – Loni meinte, jetzt, wa wieder eine Frau im Hause schalte, sei es höchste Zeit, aufzuräumen mit dem alten Gerümpel und das Haus modern zu möbliren. Aber Bertha nahm sich des „alten Gerümpels“ so warm an, daß Christian sich schämte, selbst schon mit dem Gedanken umgegangen zu sein, den Loni ausgesprochen hatte. Kein Stück solle wegkommen, so lange sie lebe, erklärte Bertha, und wenn die Einrichtung wirklich ergänzt werden sollte, so möge man wenigstens ihr Zimmer ausschließlich mit den alten Sachen ausstatten.

Der alte Margold betastete jedes Stück, wußte von jedem eine Geschichte zu erzählen. Er klopfte auf die gelben Tasten des Spinetts, die nur einzeln Antwort gaben, und summte ein Lied, das die selige Frau Baronin mit Vorliebe gespielt hatte, erklärte die Herkunft eines jeden der vielgestaltigen Dinge im Glaskasten. Die Kerze mit den rothen Blumen in der weißen Atlasschleife war die Taufkerze Theodors, er, der alte Margold, hatte sie selbst in seiner Faust halten dürfen an dem freudigen Tag, wo der letzte Erbe von Schönau getauft wurde; dieses Silberservice hatte die selige Baronin als Hochzeitsgeschenk erhalten, aus dieser geblümten Tasse trank sie ihren Morgenkaffee. Die Geweihe im Gang kannte Margold alle einzeln, er wußte jeden Ort, wo sie erbeutet waren. Die Pfeifen des Hausherrn hingen bestaubt, ungepflegt an den Haltern aus Hirschhorn; wie hatten sie geblitzt, als sie noch unter seiner Pflege waren! Die mit dem silbernen Deckel war für den Sonntag. Dann die Reitpeitsche mit dem silbernen Huf als Griff, die alte rostige Flinte – mit allem stand ein besonderes Ereigniß in Verbindung. Die ganze Schönauer Vergangenheit trat wieder hervor, alle die stillen aufregungslosen gesunden Tage in Wald und Flur, Park und Schloß. Wie kräftige Waldluft umwehte es bei den Erzählungen seines einstigen Dieners den alten Herrn von Schönau, in dessen Seele ernste erquickende Erinnerungen einzogen. Und dann mußte er daneben jenes Abends gedenken, wo ihn sein Sohn bei den gewonnenen Banknoten überrascht hatte, seines jetzigen aufgeregten, ruhelosen Lebens als Aufsichtsrath und Börsenmann; wehmüthige Sehnsucht erfüllte ihn wie nach einem verscherzten Glück. Wäre es nicht wieder zu gewinnen? Noch blickte das Dach von Schönau unversehrt aus den Bäumen des Parks herüber. Das Vorrücken der Stadt nach dieser Seite hin ging nicht so rasch, als man erwartet hatte.

Auch Theodor wurde unwillkürlich hineingezogen in die Gedanken an seine Jugendzeit, und ihre reinigende, festigende Wirkung blieb auch bei ihm nicht aus; auch ihn packte eine Ahnung, als ob in ihr ein Gluck ruhe, nach dem er bis jetzt vergebens gejagt hatte im Getriebe der Welt.

Der heilsame Einfluß, den Vater und Sohn von der Verbindung mit Bertha erhofft, hatte bereits begonnen.

Als das junge Paar nach einem kurzen Mahle das Haus verließ, um mit dem Schnellzuge seine Hochzeitsreise nach Italien anzutreten, und auch Hans und Loni, welche froh waren, aus dem langweiligen Haus fortzukommen, sich empfohlen hatten, bat Christian noch den alten Margold auf sein Zimmer.

Es war schon spät in der Nacht, als dieser es wieder verließ und den Heimweg antrat. Herzenskummer lag in den alten Zügen. „Es hat ihn, es hat ihn, den armen Herrn!“ murmelte er, die Straße entlang schreitend, vor sich hin – „jetzt Obacht, Margold, Obacht!“




7.

Stefanelly war der staunenerregende Wundermann, unter dessen Händen wie einst unter denen des sagenhaften Königs Midas alles zu Gold wurde. Das Glück zog strahlend wie ein Stern der Verheißung vor ihm her, und wie eine Schar von Mücken und Faltern stürzte sich alles, hoch und nieder, verständig und unverständig, taumelnd, geblendet in seinen Lichtkreis. Ein Schwall von Papieren aller Art ergoß sich aus dem Bankhaus Stefanellys über das Land, er war unerschöpflich in Gründung neuer Unternehmungen, Häuser-, Straßen- und Bahnbauten, Bergwerke, Flußregulirungen, Pferdebahnen, Gasanstalten, Kanalisirungen u. s. w. Man kümmerte sich nicht mehr weiter um die Art des Unternehmens, um die unzähligen neu erfundenen, oft völlig unklaren Namen, es genügte, daß die Aktien in Stefanellys Bankhaus ausgegeben wurden, daß er an der Spitze stand. Tausend Hände streckten sich täglich aus nach den bunten Papieren, die dem Besitzer mühelosen, reichen Gewinn versprachen.

Viele, welche der Mühe des Wartens im Comptoir enthoben sein wollten oder fürchteten, bei besonders günstigen Emissionen zu spät zu kommen, trugen ihr ganzes Hab und Gut, jeden Sparpfennig in barem Gelde als Depot in die Bank, wogegen sich dieselbe verpflichtete, diesen Getreuen beim Erscheinen neuer gewinnversprechender Anlagepapiere die Vorhand zu lassen. Man schätzte es als eine Gnade, wenn Stefanelly das Geld nahm, besonders der Mittelstand drängte sich in lichten Haufen herbei. Der Sinn für geregelten Erwerb ging immer mehr verloren, die Arbeit mit ihrem vielen Schweiß und ihrem geringen Lohn wurde immer mehr verachtet, gehaßt. Anderseits erzeugte das wilde zügellose Verlangen nach barem Gelde, das in diesem Augenblicke so riesige Vortheile bot, einen gefährlichen Haß und Neid gegen alle Besitzenden, welche hinwiederum keine Gelegenheit vorübergehen ließen, den Unbemittelten durch glänzenden Aufwand ihre bevorzugte Lage recht anschaulich zu machen. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem jetzt in dem tollen Genußtaumel doppelt schwer zu ertragenden eigenen Los griff platz, die das Schlimmste befürchten ließ.

Die Presse feierte in Stefanelly eine Finanzgröße ersten Ranges, welche für die wirthschaftliche Entwickelung des Vaterlands geradezu bahnbrechend wirke, jede Unternehmung wurde von vornherein ins beste Licht gestellt. Einzelne warnende Stimmen wurden einfach verlacht, todtgeschwiegen, mit dem Vorwurf des Neides belastet.

Es war auch nicht zu leugnen, Handel und Industrie blühten zusehends bei dem gewaltig gesteigerten Unternehmungsgeist, bei dem unerschöpflich zuströmenden Kapital. M... schwamm im Wohlstand; der Luxus, der Verbrauch hatte seine höchste Höhe erreicht. Aber dem scharfsichtigen, nüchternen Beobachter entgingen nicht die Keime des Verderbens unter diesem plötzlichen unnatürlichen Blüthenschwall, den ein einziger ungewohnter Sturm wie dürre Spreu verwehen mußte, einen kahlen, entsafteten Stamm zurücklassend.

Christian von Brennberg konnte den vielgestaltigen großartigen Plänen des Bankiers schon lange nicht mehr folgen. Trotzdem er sich das offen gestand, wurde er von Stefanelly doch immer weiter hineingezogen; willenlos, urtheilslos folgte er ihm, magnetisch angezogen von diesem alle Hindernisse überspringenden, rücksichtslosen Mann.

Brennberg fürchtete ihn, ja, er glaubte zu gewissen Zeiten, ihn zu hassen, einen bösen Dämon in ihm zu erblicken; dann aber genügte wieder ein Blick, ein Wort des Unternehmers, den alten Herrn unwiderstehlich mitzureißen, und die Frage, ob das, was von ihm verlangt wurde, recht sei oder unrecht, verstummte auf seinen Lippen.

Bei allen neuen Unternehmungen mußte er sich betheiligen, sich in den Aufsichtsrath wählen lassen. Oft schienen ihm dieselben geradezu unmöglich, unbegreiflich, im höchsten Grade gewagt, er sträubte sich dagegen, sie öffentlich anzupreisen, er ahnte die Falschheit der angegebenen Bedingungen, er empörte sich über die Höhe des Kapitals im Vergleich zu dem Werthe des Gegenstandes, um den es sich handelte. Doch seine schüchternen Einwendungen, Bedenken, Befürchtungen wurden jedesmal glänzend abgeschlagen. Beharrte Christian auf seinem Widerstand, dann nahm Stefanelly ein so drohendes Wesen an, wußte dem Alten seine völlige Abhängigkeit so klar zu machen, daß dieser schwieg und that, was ihm geheißen wurde. Und jedesmal ging es wieder zum Guten aus, behielt Stefanelly recht, wandte sich alles zu Gunsten des Unternehmens, und die scheinbaren Fälschungen und Lügen erschienen nachträglich als großartige, durchdachte Feldzugspläne, denen er, der unerfahrene Landjunker, nicht gewachsen war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_195.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)