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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Blätter und Blüthen.


Altdeutsche Spiele. (Zu den Bildern S. 184, 185 und 200.) „Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen,“ sagt ein Sprichwort, dessen Wahrheit zu allen Zeiten und auch zu denen unserer Ahnen in der Aera der Völkerwanderung galt.

Es ist bekannt, zu welch erstaunlicher Höhe es die alten Germanen in der Gewandtheit der Waffenführung gebracht haben. Wer die Sage von dem nordischen König Olav Trygvason liest, findet darin eine Liste von Kunststücken, deren Ausführung noch heute jedem Jongleur Ehre machen würde. Sigmund Bretison warf Schild und Schwert mitten im Kampfe hoch in die Luft, fing sie mit entgegengesetzten Händen auf und focht links weiter. König Olav besiegte den berühmten Messerwerfer Endridi, indem er mit drei Messern Fangeball spielend den äußersten Bord eines segelnden Schiffes umwandelte. Auch Teja, der tapfere Gothenkönig, gab den Truppen des Narses mit Speer und Schwert auf muthigem Rosse ein ähnliches Schauspiel vor der unglücklichen Entscheidungsschlacht. Solche Heldenkunst der Waffen zu erlernen, dazu bedurfte es der Uebung von klein auf. Und so sehen wir auch auf unserem Bilde die zwei prächtigen Jungen, wie sie eifrig und unter theilnehmender Aufmerksamkeit der Freunde und Hausgenossen mit ihren kleinen Wurfäxten nach zwei Scheiben auf starken Bohlen werfen. Aber mischt sich nicht etwas wie Sorge in die Züge des Vaters, der seinem Sohne zuschaut? Mit der Waffe hat er sich sein neues Heim erkämpft in Hispanien, im sonnigen Süden, der den Körper verweichlicht. Ein fremder Meister hat die Beile geschmiedet, die nicht im entferntesten den Schwung haben wie das geschwungene schmalschneidige Frankenbeil der Heimath, die gefürchtete Francisca; aber die Jungen, sie trafen doch recht hübsch. Das zeigen die Scheiben.

Wohl darf der Vater mit sorgendem Blick der Knaben Spiel verfolgen. Denn für ihn liegt ein verzweifelter Ernst in der Frage, wie die einst werden würden, die nach ihm den Boden festhalten sollen, den sein Geschlecht erstritten.

Kleine germanische Steinbeile in natürlicher Größe.

Wie wir aber die beiden künftigen Helden auf unserem Bilde so wacker Arm und Auge üben sehen, so war es auch schon früher, so war es schon um ebensoviele Jahre vor der germanischen Einwanderung in Spanien, als zwischen dieser und der Gegenwart liegen. Aber woher wissen wir das? Wo ist der Geschichtschreiber, wo das Zeichen, das uns von solch entfernten Zeiten Kunde giebt?

Wir erfahren es von den zwei kleinen Steinbeilchen, die wir hier nebenan in natürlicher Größe abbilden. Sie befinden sich in der großherzoglichen Sammlung von Neustrelitz und beweisen uns, daß schon der Urahn der Steinzeit seinem Sohne die kindliche Waffe schuf, daran er sich übe, um einst den Großen es gleichzuthun. Und wie der Vater auf unserem Bilde den „hohen Sinn im kind’schen Spiele“ fühlt, so mag auch der Vater, der unsere Steinbeilchen schliff, sie mit ernsten Gedanken seinen Buben in die Hände gegeben haben. Damals waren solche körperlichen Waffen noch die ersten im Kampfe ums Dasein.

Ernest Meissonier. (Zu dem Bilde S. 193.) Am 31. Januar ist zu Paris in dem hohen Alter von nahezu achtzig Jahren der berühmteste französische Maler der Neuzeit, Jean Louis Ernest Meissonier, an den Folgen einer Lungenkongestion gestorben. In der Zwischenzeit hat sich viel leidenschaftliche Erregung an diesen Todesfall geknüpft, denn das Schreiben des deutschen Kaisers an die Französische Akademie in Paris. welches die große Bedeutung des Künstlers feierlich anerkannte, ging ja direkt den bedauerlichen Ereignissen voraus, die unsern Lesern aus der Tagespresse hinlänglich bekannt sind. Wie sehr aber chauvinistische Verblendung und politische Hetzerei uns Deutschen die gerechte Würdigung des verstorbenen Malers erschwert hat, zumal nachdem sogar dessen Witwe sich in taktlosester und lügenhafter Weise an jenen deutschfeindlichen Kundgebungen betheiligt hat, so wollen wir doch auch in diesem Falle jene Eigenschaft nicht verleugnen, welche uns Deutschen immer zur Ehre gereicht hat, die Eigenschaft, gegen fremdes Verdienst, selbst über politische Verfeindung hinweg, gerecht zu sein. Die künstlerische Bedeutung Meissoniers überragt die niedrige Atmosphäre jener Verhetzungen weit. Er ist derjenige Maler, der an äußeren Ehren und an äußerem Gewinn vielleicht am meisten durch seine Kunst erreicht hat; gewiß nicht mit Unrecht, denn die Sicherheit und Reinheit seiner Zeichnung, die Schärfe der Beobachtung, die hochgesteigerte Technik, die packende Charakteristik der Figuren, alles wirkte zusammen, seinen Werken ihren beispiellosen Erfolg zu sichern. Das Bild „1814“, welches Napoleon I. an der Spitze seines Stabes düsteren Angesichts auf regendurchweichter Straße daherreitend vorstellt, wurde im vorigen Jahre von dem ehemaligen Besitzer des Louvremagazins Chauchat um die riesige Summe von 850000 Franken erworben. Mit besonderer Vorliebe pflegte Meissonier die Miniaturmalerei; seine Bildchen sind oft von geradezu komischer Kleinheit, so daß sie sich fast von der Fläche einer Manneshand bedecken lassen; die Berechnung, daß ein Quadratmeter von Meissonier bemalter Leinwand die runde Summe von 23/4 Millionen Franken koste, klingt daher durchaus nicht unwahrscheinlich.

In die Klasse dieser Miniaturmalereien gehört auch das Bild, welches wir heute unsern Lesern vorführen, „Der Kunstliebhaber“ oder, wie Meissonier es taufte, „L’amateur des gravures“. Es stellt einen Mann in Rokokotracht dar, der mit höchstem Interesse ein Kunstblatt mustert, während wir uns in seinem Genossen entweder einen Händler oder einen gleich begeisterten Sammler denken können.

Die Vertheilung von Kartoffelland an Berliner Arme. (Zu dem Bilde S. 181.) Die Berliner Armenverwaltung vertheilt die nicht unbedeutenden Landstrecken, welche sie in unmittelbarer Nähe der Stadt besitzt, an Bedürftige behufs Kartoffelanbaus. Das Land wird immer nur für den Zeitraum eines Jahres abgegeben. Jedem einzelnen wird sein Stück Land genau zugetheilt, damit jede Streitigkeit ausgeschlossen ist. Nach der Besitznahme beginnen die Inhaber mit Aufrichtung einer Hütte, die zur Aufnahme der Werkzeuge, Kleidungsstücke und Lebensmittel bestimmt ist, ja nicht selten sogar den Familien während des Sommers als Herberge zur Nachtzeit dient.

Die Grundstücke liegen vor den Thoren der ärmeren Stadttheile im Norden, Osten und Südosten. Zum Schönhauser und Frankfurter Thor wallen an den Sonntagen in der Frühe ganze Scharen mit Hacke und Schaufel hinaus, um anzupflanzen, später zu häufeln und endlich zu ernten. Ist es so weit, dann ist die fröhlichste Zeit für diese kleinen Pächter gekommen. Der Hundewagen wird angespannt und er trägt die Säcke heim, in denen die Frucht gesammelt ward. Der erste Schmaus „Pellkartoffeln und Häring“ mundet diesen „Landleuten“ Berlins herrlich, denn doppelt schön schmeckt, was der eigene Fleiß zeitigen half.

Vielfach giebt die Berliner Armenverwaltung auch noch die Saatkartoffeln dazu – in diesem Jahre z. B. hat sie nicht weniger als 2723 Centner aufgewendet – und meistens fällt die Ernte so gut aus, daß nicht nur die Bebauer selbst genug haben, sondern noch eine gute Portion verkaufen können. Wenn der Magistrat das so verwendete Land verpachten würde, könnte er nur einen kleinen Zins erhalten, während er auf diese Weise Segen in großem Umfange stiftet. Vielleicht bietet sich da und dort den Stadtverwaltungen Gelegenheit, das höchst zweckmäßige Verfahren Berlins nachzuahmen zum Wohle der Bedrängten.



Inhalt: Eine unbedeutende Frau. Roman von W. Heimburg. (11. Fortsetzung). S. 181. – Vertheilung von Kartoffelland an Berliner Arme. Bild. S. 181. – Altdeutsche Spiele. Bild. S. 184 und 185. – In den Felsengebirgen von Colorado. Von Rudolf Cronau. S. 188. – Mit Abbildungen S. 188 und 189. – Morphium- und Cocainsucht. Von Dr. H. Otto. S. 191. – Truggeister. Roman von Anton von Perfall. (11. Fortsetzung). S. 192. – Der Kunstliebhaber. Bild. S. 193. – Dreimal selig bist Du doch! Gedicht von Albert Kleinschmidt. S. 197. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit: Das Grammophon. Mit Abbildungen. S. 197. Europas größte Lokomotive. Von Adolf Brunner. Mit Abbildung S. 198. – Der neue Präsident des Reichsgerichts. Von Hermann Pilz. Mit Bildniß. S. 199. – Blätter und Blüthen: Altdeutsche Spiele. S. 200. (Zu den Bildern S. 184, 185 und 200.) – Ernest Meissonier. S. 200. (Zu dem Bilde S. 193.) – Die Vertheilung von Kartoffelland an Berliner Arme. S. 200. (Zu dem Bilde S. 181.)


Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das erste Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das zweite Quartal schleunigst aufgeben zu wollen.


Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen Reichspostamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).

manicula Einzeln gewünschte Nummern der „Gartenlaube“ liefern wir incl. Porto für 30 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir mit der Bestellung in Briefmarken einzusenden.

Die Verlagshandlung.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_200.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)