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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„O nein,“ erwiderte sie rasch mit dem Tone ehrlichster Ueberzeugung, „nein, Leo, für eine gewöhnliche Liebelei stelle ich Euch beide zu hoch – Du liebst sie und Du dauerst mich, Ihr dauert mich beide so furchtbar, aber,“ und sie schlug die Hände vor das Gesicht, „die Maus und ich sind doch nun einmal da, wir können doch nicht spurlos von der Erde verschwinden!“

Ein heftiges Schluchzen schüttelte sie, dessen sie eine zeitlang vergeblich Herr zu werden versuchte, und als es ihr endlich gelungen war, ging sie hinüber zu ihm. Er hatte sich vor ihr Bücherschränkchen gestellt, als mustere er die kleine Bibliothek, während er in Wirklichkeit nichts sah und fühlte, als die „abgeschmackteste Sentimentalität einer Eifersüchtigen“.

„Leo,“ begann sie, „bitte, bitte, versuche es, schenke mir Dein Vertrauen! Ich will Dir überwinden helfen, ich will Dein guter Kamerad sein, ich will alles thun – – denke an Dein Kind, es darf nicht mit seinem erwachenden Verständniß sehen, daß Du und ich – –“

Er fuhr herum in nicht mehr zu bemeisterndem Zorn.

„Willst Du mir denn dies jammervolle Leben ganz und gar zur Hölle machen?“ rief er mit kreidebleichem Gesicht. „Ist es nicht genug, daß Du meinem Beruf, meiner Eigenart, meinem ganzen Wesen nicht das geringste Verständniß entgegenbringst? Willst Du mir auch das noch nehmen, woran mein Auge als das eines Künstlers, mein Geist als der eines gebildeten Menschen Gefallen findet? Willst Du nur mit Deiner entsetzlichen Prosa das letzte Winkelchen auskehren, in das sich mein mißhandeltes Künstlerthum geflüchtet hat? Barmherziger Gott, was könnte ich sein, wenn Du nicht die Kette wärst – ja, eine Kette, eine Kette, wie sie schrecklicher kein Verbrecher mit sich schleppt!“

Er brach plötzlich ab; Antje stand da in eigenthümlich aufrechter Haltung. Sie war ihm noch nie so groß erschienen, noch nie hatte er das weiche Antlitz so erstarrt gesehen in eisiger Kälte, in unnahbarem Stolz; eine völlig andere war sie.

„Ich will keine Kette für Dich sein,“ sagte sie laut und fest, „Du bist frei, Leo, von diesem Augenblick an frei. Daß Du so an meiner Seite gelitten hast, das ahnte ich nicht. Mein Gott, ich hatte ja immer das Wort im Herzen, das Du mir sagtest in jener Stunde, als Du mich batest, Deine Frau zu werden: ‚Ich glaube, Anna, Sie könnten mich mit dem Leben wieder aussöhnen!‘ – Gewollt habe ich es, Leo, bei Gott, ehrlich gewollt – ich muß eine arge Stümperin gewesen sein, ich –“

Sie hielt sich plötzlich an der Lehne eines Sessels, der ihr zunächst stand; eine dunkle Gluth färbte ihr Gesicht. „Ich bitte nur – – es ist so furchtbar viel auf einmal – denke, daß meine Mutter jeden Augenblick sterben kann – laß es unter uns bleiben, bis sie – genesen oder todt ist; laß es die alte Frau nicht in ihrer schweren Krankheit, vielleicht in ihren letzten Augenblicken erfahren, daß ich so – so bettelarm heimkehre.“

Er wollte etwas vorbringen von Uebertreibung, von Worten, die man nicht auf die Goldwage legen dürfe, aber anstatt dessen stürzte er zur Klingel – Antje war plötzlich zusammengebrochen; sie lag mit dem Kopf auf dem Polster des Sessels, ohne Regung, ohne Laut. Er hob sie empor und trug sie auf das Sofa. Die alte Classen war herzugeeilt und wies seine nervös zitternden Hände zurück.

„Gehen Sie lieber,“ sagte sie barsch, „und lassen Sie den Doktor holen. Den Zustand kenne ich von früher her.“ Und sie bettete das schmerzverzogene Gesicht ihrer jungen Herrin tiefer und nestelte an ihrer Kleidung.

Er stand, als könne er keinen Fuß heben.

„Seien Sie so freundlich, Herr Jussnitz, und gehen Sie,“ ermahnte die Alte in nicht sehr unterthänigem Tone, „solche Ohnmacht dauert lange, ich weiß es noch von dazumal, als Sie uns für todt ins Haus getragen wurden von den Förstern – da hatte sie es zum ersten Male; dann nochmal, als Herr Frey nicht wollte, daß Sie das Kind heiratheten. Merken Sie etwas? ’s sind allemal große Alterationen. Von nichts – kommt nichts! Herr, so gehen Sie doch!“ wiederholte sie ungeduldig.

Da endlich verließ er die Stube.

(Fortsetzung folgt.)




DENKSPRÜCHE.

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

 Glückliches Leben.

Glückliche Stunden
Werden im Menschenleben gefunden;
Doch ein ganzes glückliches Leben
Hat’s nicht gegeben und wird es nicht geben.


 Gelehrsamkeit.

Ein Mann, der vieles weiß, jedoch nur wenig denkt,
Wird wohl gelehrt genannt und ist dabei beschränkt.


     Zurückgewiesenes Lob.

Es ist kein Mensch so ganz bescheiden,
Wenn er zurück das Lob auch weist,
Daß er’s nicht gerne würde leiden,
Wenn man ihn doch aufs neue preist.


     Nicht zu viel auf einmal!

Wer zugleich zwei Hasen hetzt,
Kriegt nicht einen zu guter Letzt.


     Russisches Sprichwort.

Fußgänger, als Begleiter
Gesell dich nicht zum Reiter!

 D. Sanders.




Das Ende der Steinkohle und ihr Ersatz.

Von August Hollenberg.

Wie sehr infolge Einführung der Dampfmaschine sowohl das gewerbliche als auch das gesellige Leben umgestaltet wurde, ist vielen unserer Zeitgenossen als Selbsterlebtes in Erinnerung. Früher wurde es als ein staunenswerthes Ereigniß mitgetheilt, daß die Schnellpost zur Reise von Köln nach Berlin nur 5 Tage gebraucht habe. Jetzt legen wir dieselbe Strecke, sanft dahingleitend auf den Eisenschienen, in 8 Stunden zurück. – Ueber die Wogen des Meeres trägt uns, trotzend dem Winde und der Strömung des Wassers, das majestätische Dampfschiff. In 6 bis 7 Tagen ist New-York zu erreichen, wozu früher, wenn’s gut ging, 6 Wochen erforderlich waren; und recht oft ging’s nicht gut, denn der Segelwind blieb aus. – Die idyllische Spinnstube ist durch große Fabriken mit riesenstarken Dampfmaschinen ersetzt, welche den Stoff zu unserer Kleidung herrichten, spinnen, weben, färben – alles mit Dampf. Mittels Dampfmaschinen von Hunderten von Pferdekräften wird unser Brot gemahlen, geknetet und dann mit Dampf gebacken. Der großartige Bedarf an Metallen, insbesondere an Eisen, wird mit Aufwendung einer bedeutenden Menge Kohle gedeckt, die zum Schmelzen, Schweißen und zur mechanischen Verarbeitung dient. Kurz – all unser Bedarf wird mit Hilfe des aus der Kohle geborenen Dampfes hergestellt. Den himmelanstrebenden Kaminen, den Wahrzeichen der Industrie,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_204.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2021)