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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

die Verhältnisse nicht gestalten, wenn man eine Bildung aus Tangen annimmt.

Aus dem Vorhergehenden ist leicht zu entnehmen, daß selbst im günstigsten Falle die Neubildung der Steinkohle bei weitem nicht Schritt zu halten vermag mit dem gegenwärtigen Verbrauche.

Die übrigen gebräuchlichen Brennmaterialien, wie Braunkohle und Torf, haben, wenn sie auch an und für sich beachtenswerth sind, mit der Steinkohle verglichen nur eine untergeordnete und vorwiegend nur örtliche Bedeutung.

Sollte der Bedarf an Steinkohle aber durch Brennholz ersetzt werden, so würde in wenigen Jahren der ganze Waldbestand der Erde zu Grunde gerichtet sein. Um die Leistung der jetzigen Steinkohlegewinnung durch Holz zu ersetzen, wären 1260 Millionen Festmeter frisch geschlagenen Fichtenholzes, oder 2600 Millionen achtzigjähriger Stämme erforderlich, die einen Flächenraum von 27000 Quadratkilometern einehmen würden. Bei forstmännischem Betriebe würde hierzu eine Fläche von der vierfachen Größe des Deutschen Reiches erforderlich sein. Das wäre aber nur für ein Jahr, und 80 Jahre ist der Nachwuchs unterwegs.

Ein Brennstoff, der sich in den letzten Jahrzehnten eine bemerkenswerthe Verbreitung verschafft hat, ist das Erdöl, welches sowohl in flüssiger als in Gasform verwendet wird. Im westlichen Pennsylvanien hat man eine Reihe von Bohrlöchern niedergebracht, die seit Jahren ununterbrochen brennbares Gas unter einem Drucke von 6 bis 30 Atmosphären zu Tage fördern. Allein im Bezirke von Washington werden täglich 14 Millionen Kubikmeter gewonnen. Ob diese Ausgiebigkeit von Dauer sein wird? Wer kann es wissenl Nach den neuesten Nachrichten nimmt der Ertrag so merklich ab, daß die Gascompagnie den Eisenwerken, welche sich auf das Vorkommen dieses Gases besonders eingerichtet hatten, einen Theil der bisherigen Lieferung gekündigt und dadurch die Eisenwerke in eine schlimme Verlegenheit gebracht hat.

In der Nähe von Baku in Südrußland sind zur Zeit auf einem Gebiete von 12 Quadratkilometern gegen 500 Brunnen eröffnet, deren Gesammtertrag zu 20 Millionen Kubikmeter geschätzt wird. Hier ist also ein großartiger Reichthum an Brennstoff aufgespeichert, der zu allen Zwecken der Heizung benutzt wird. Man hat dafür passende Feuerungen für Schiffskessel, Lokomotiven, Schmiedefeuer, Gießereien und für den Hausbedarf eingerichtet.

So wie man die Steinkohle als ein Ergebniß der Zersetzung von Pflanzen ansieht, so hat man Gründe, das Erdöl als aus der Destillation fetthaltiger Thierreste entstanden zu betrachten. Ist letzteres der Fall, so liegt die Aussicht auf eine über kurz oder lang bevorstehende Erschöpfung der Erdölvorräthe sehr nahe.

Sei dem nun wie ihm wolle, jedenfalls zehren wir von einem Vorrathe, welcher sich nicht oder nur ungenügend wieder ersetzt, also wie es kaufmännisch ausgedrückt werden müßte: wir verzehren das Kapital. Daraus ergibt sich die unumstößliche Gewißheit, daß eines Tages der Kohlenvorrath der Erde zu Ende geht, und daß nothwendigerweise etwas anderes an die Stelle dieses zur Zeit fast ausschließlichen Trägers der Kultur treten muß.

Man hat, gestützt auf statistische Ermittelungen, berechnet, daß in absehbarer Zeit, deren Dauer verschieden ausfällt, je nachdem man die augenblickliche Verbrauchsmenge oder die Steigerung des Kohlenbedarfs zu Grunde legt, England seinen Kohlenvorrath aufgezehrt haben wird, wenigstens so weit, daß die Gewinnung der Köhle nicht mehr lohnend ist. Bei Gelegenheit des IV. allgemeinen Bergmannstages äußerte der Geh. Bergrath Heusler seine Ansicht über die englischen Steinkohlenvorräthe dahin, daß bei der gegenwärtigen Gewinnung deren vollständiger Abbau durch eine nicht allzuferne, nicht mehr nach einer längeren Reihe von Jahrhunderten zu berechnende Zeit beschränkt sei. Infolge des alsdann erschöpften Kohlenvorrathes könne die englische Industrie nicht auf ihrer jetzigen Höhe erhalten werden.

Henry Hall, Bergwerksinspektor der vereinigten Königreiche, schätzt den Vorrath aller gewinnbaren Kohle Großbritanniens auf 100 Milliarden Tonnen. Da die englische Kohlenförderung 170 Millionen Tonnen jährlich beträgt, so würde bei gleichbleibender Gewinnung der Vorrath in 600 Jahren und bei der bisherigen Steigerung in 200 Jahren erschöpft sein. Und schon wirft das unausbleibliche Ereigniß seine Schatten voraus. Ein englischer Generalkonsul in Hamburg theilt seiner Regierung mit, daß, während die preußische Regierung den Absatz der westfälischen Kohle nach der Nordsee thunlichst zu erleichtern bestrebt sei, der Preis der englischen Kohle wegen der gesteigerten Förderungskosten stetig in die Höhe gehe, so daß der gänzliche Verlust des norddeutschen Marktes für den englischen Kohlenhandel nur eine Frage der Zeit sei. In der That, ein seltsamer Widerstreit der Interessen! – Günstiger liegen die Verhältnisse in Deutschland. Nach Heusler kann es als feststehend angesehen werden, daß das Aachener Kohlenrevier mit dem Ruhrkohlegebiete zusammenhänge, daß also im Osten und im Westen noch bedeutende Vorräthe an Steinkohlen vorhanden sind, welche im Verein mit dem Zwickauer und schlesischen Becken uns weniger ängstlich zu der Frage drängen, wie lange unsere Steinkohlenablagerung noch aushalten werde.

Nach einer Berechnung Blömckes hat ganz Großbritannien nur noch einen Vorrath von 146480 Millionen Tonnen Kohle, welcher Vorrath bei einer jährlichen Gewinnung von 163 Millionen Tonnen, wie im Jahre 1884, noch für 261 Jahre im günstigsten Falle und im ungünstigsten Falle noch 106 Jahre ausreichen würde. Dagegen schätzt derselbe Statistiker unter Voraussetzung einer jährlichen Gewinnung von rund 60 Millionen Tonnen die Dauer bis zur Erschöpfung der deutschen Kohlenbecken auf 6000 Jahre. Demgemäß könne der gegenwärtige Verbrauch in ganz Europa aus den deutschen Vorräthen durch 1500 Jahre gedeckt werden.

Zu einem anderen Ergebniß kommt Henry Hall, der die gänzliche Erschöpfung der europäischen Vorräthe in 500 beziehungsweise 200 bis 300 Jahren prophezeit.

Von den europäischen Staaten sind Ungarn und Rußland reich an Kohle. Der große Kohlenreichthum Amerikas ist bekannt. Nach Hall könnten die Kohlenlager der Vereinigten Staaten den Bedarf für die ganze Welt auf mehr als 11000 Jahre decken.

Bedeutende Kohlenlager sind auch in China und Japan, in Australien; auch ist nicht zu bezweifeln, daß Nachforschungen in Brasilien, den Laplatastaaten und in Sibirien von Erfolg sein würden. Auch in Afrika sind beträchtliche Kohlenfelder aufgefunden.

Aus allem geht hervor, das eine nahe bevorstehende allgemeine Kohlenkrisis keineswegs zu erwarten ist. Aber was machen selbst 11000 Jahre aus, verglichen mit den Aeonen, die in der Entwicklung der Erde hinter uns liegen und vor uns sich aufthürmen? Und da die Frage nicht nur im allgemeinen von Interesse ist, sondern auch in absehbarer Zeit von einschneidendem örtlichen Einflusse sein wird, wie das Beispiel Englands zeigt, so ist es geboten, schon jetzt die Mittel zu erwägen, wie die Bedrohung der Kultur der Alten Welt zu beseitigen und die Verlegung des wirthschaftlichen Schwerpunktes, etwa nach Amerika, zu verhindern sei.

„Aber wozu denn so viele Bedenken“ – wird mancher unserer Leser sagen – „warum benutzt man denn nicht Wassergas? oder Wasserstoff? Das giebt ja, wie versichert wird, eine ganz großartige Hitze; und Wasser haben wir ja genug. Und wenn das Gas verbraucht ist, haben wir doch wieder Wasser, es ist also gar kein Verlust dabei!“ – Wir wollen sehen, wie sich die Sache verhält. Der unglücklich gewählte Name „Wassergas“ hat schon manchen irre geführt; und wer etwa denkt, das Wassergas werde ohne weiteres vom Wasser geliefert und uns so auf dem Präsentirteller dargeboten, der ist im großen Irrthum. Das Wassergas muß erst, und zwar auf chemischem Wege, aus dem Wasser gewonnen werden, indem man in eigens zu dem Zwecke gebauten großen Oefen Wasserdampf über glühende Kohlen streichen läßt. Bei großer Hitze, – 1000 bis 1200 Grad Celsius sind erforderlich – geht’s dann, wie es im menschlichen Leben auch zu gehen pflegt: alte Freundschaften werden gelöst und neue geschlossen. Von den in den Ofen gebrachten Stoffen – Kohle und Wasser – zersetzt sich letzteres in seine luftigen Bestandteile, Sauerstoff und Wasserstoff. Der erstere schließt mit der Kohle Freundschaft und bildet die luftförmige Verbindung, die der Chemiker Kohlenoxyd nennt und die aus einem Theilchen Kohlenstoff und einem Theilchen Sauerstoff besteht. Der Wasserstoff lebt auf freiem Fuße. Diese beiden Gase bilden jetzt ein Gemenge, welches man – wie unsere Leser sich jetzt selbst wohl sagen werden – mit dem ganz unpassenden Namen „Wassergas“ bezeichnet. Beide Gase sind nun aber brennbar und sehr begierig, wirklich zu verbrennen. Sie entwickeln dabei eine große Hitze, wie sie zu vielen gewerblichen Zwecken verwendbar ist. Das Ende vom Liede ist, daß sich Wasser und Kohlensäure bildet. Aber – selber, ohne Kohle geht’s auch wieder nicht ab, und da der Ofen immer in starker

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_207.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)