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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.
(12. Fortsetzung.)


„Wie lächerlich!" fuhr Bertha nach einem Augenblick sprachlosen Staunens auf. „Mein guter Vater soll den Stefanelly angreifen! Wozu sollte ihm das nützen? Wer würde auch auf ihn hören, auf den alten Margold? Das klingt ja wie Hohn!“

„Du irrst Dich,“ entgegnete Theodor, „es ist so, und ich begreife ganz wohl, daß dem Stefanelly das Gerede sehr unangenehm ist. Er sagte es mir selbst und bat mich, vermittelnd einzutreten. Ein kleiner Stein kann eine vernichtende Lawine ins Rollen bringen. Irgendwo taucht ein bedenkliches Gerücht auf – einer flüstert es dem andern ins Ohr, wie ein Lauffeuer läuft es, ins ungeheure wachsend, ganze Straßen hinunter – eine Panik entsteht oft aus der unscheinbarsten Ursache, und wenn sie in diesem Falle entsteht, ist Stefanelly verloren.“

„Aber da müßte doch vor allem etwas Wahres an den Gerüchten sein, wenn sie eine so vernichtende Wirkung haben sollen.“

„Es ist immer etwas Wahres an solchen Gerüchten, in diesem Falle aber ist vielleicht alles wahr, wahrer, als Dein Vater denkt. Um so unbegreiflicher ist es von ihm, da er doch weiß, daß wir mit Stefanelly stehen und fallen. Papa hat sein ganzes Vermögen in Stefanellys Unternehmungen stecken, er ist mit seinem Namen, mit seiner Ehre an allem betheiligt; es war nicht mein Wille, daß er sich so weit eingelassen hat, aber es ist nun einmal so. – Ich muß Dich aufklären, Bertha. Wir stehen auf einem Vulkan, der jeden Augenblick zum Ausbruch kommen kann. Stefanelly ist ein verwegener Spieler, der die Schwäche seiner Zeit, die allgemeine Sucht, rasch und mühelos reich zu werden, vortrefflich auszunutzen versteht. Es ist unmöglich, daß alles bei ihm mit rechten Dingen zugeht, daß seine Erfolge alle wahre Erfolge sind, es kann plötzlich einmal fürchterlich tagen und Tausende können zu Grunde gerichtet, zu Bettlern geworden sein. Stefanelly wird dann keine Rücksicht kennen, wenn es sich für ihn darum handelt, sich selbst aus der Schlinge zu ziehen, ich halte ihn zu allem fähig – zu einem Verbrechen, wenn es sein muß, und mir bangt für meinen Vater, der viel zu ungewandt ist, um zur rechten Zeit zur Seite zu springen, wenn der Einsturz droht.“

Bertha war entsetzt von dieser ganz unerwarteten Aufklärung.

„Dann hat aber ja der Vater ganz recht, wenn er den Stefanelly angreift, vor ihm warnt!“ rief sie.

„Das hat er nicht,“ entgegnete Theodor, „deshalb nicht, weil wir nicht zu den Tausenden gehören dürfen, die ruinirt sein können, weil wir Zeit brauchen, uns allmählich zurückzuziehen. Der Vater ist seit gestern auch mißtrauisch geworden, nur einen Monat soll es halten, und wir sind außer Gefahr.“

„Und während dieses Monats gehen die andern Tausende ahnungslos zu Grunde!“ warf Bertha entrüstet ein. „Das sagst Du, ein Kavalier, der für das Wörtchen ‚Ehre‘ sein Blut vergießt, das sagt Dein Vater, der ehrwürdige Mann, in dem ich von Jugend auf den Inbegriff des Guten und Edlen verehrte, der all den Tausenden als Vertrauensmann gilt? – Nein, das glaube ich nicht. Du siehst zu schwarz, Theodor, Du klagst ihn eines Verbrechens an, dessen er nicht fähig ist.“

Theodor ging erregt im Zimmer umher.

„Verbrechen! Mäßige Dich, Bertha! Er hat ja anfangs alles im guten Glauben gethan, und jetzt nützt auch ein offenes Bekennen der Lage nichts mehr; ein Rückzug aller ist eben der Ruin aller, abgesehen davon, daß seit gestern überhaupt keine Rede mehr von einer offenen Erklärung sein kann. Bisher hat der Vater nur in seiner Unwissenheit gehandelt, geblendet von diesem Stefanelly, der Euch alle blendet, auch Dich, nur mich nicht, den leichtsinnigen, unbedachten Theodor, als der ich immer galt. Aber gestern hat der Vater zum ersten Male wissentlich eine Handlung begangen, die wirklich ein Verbrechen ist, wenn sie an das Licht kommt. Was hilft’s, daß auch hier nur seine Gutmüthigkeit, seine Vertrauensseligkeit, der verderbliche Einfluß dieses Schuftes Stefanelly daran schuldig ist! Das alles wird ihm kein Mensch glauben! ‚Der Brennberg ist ein Spieler‘, so wird es heißen, ‚er hatte große Verluste, da theilte er sich mit dem Stefanelly in die vierhunderttausend Mark‘ – –“

Bertha war fassungslos. Ihr Gatte sprach wie im Wahnsinn, wirre, grauenhafte Dinge, die sie nur errieth, nicht verstand. Der alte Brennberg, der verehrte Greis, ein Spieler! vierhunderttausend Mark, die irgendwo genommen wurden – von ihm – der Stefanelly ein Schuft – ein Betrüger! – Und sie lebte sorglos inmitten all dieses Truges. Ihr dunkles unruhiges Gefühl, das sie einst das alles ahnen ließ, hatte sie nicht getäuscht! Sie hatte es unterdrückt, gewaltsam unterdrückt, um nicht aufgescheucht zu werden aus dem üppigen Leben, das ihr so gut gefiel. Wo waren alle ihre guten Vorsätze geblieben? Hatte sie die Ermahnungen und Bitten ihres Vaters, das als Frau zu bleiben, was sie war, eine einfache, schlichte Bürgerstochter, und dadurch das Haus Brennberg zu retten, hatte sie diese Mahnungen, die sie jetzt erst ganz verstand, befolgt? – Sie trug die Schuld mit, wenn es so weit kam, wie Theodor befürchtete, und jetzt war es wohl zu spät zum Helfen. Was war nur gestern Furchtbares geschehen bei Stefanelly? Sie erinnerte sich, daß Stefanelly den Schwiegervater auf sein Zimmer nahm, daß derselbe auffallend bleich und verstört zurückkam – sie mußte jetzt alles wissen, um handeln zu können.

Und Theodor verschwieg ihr nichts, er schien die Last des Geheimnisses nicht allein tragen zu können.

Durch die umherschleichenden Gerüchte über Stefanelly, vielleicht auch durch das plötzliche Fallen der Aktien einiger der von ihm gegründeten Unternehmungen mußte, so behauptete wenigstens Stefanelly, in gewissen Kreisen eine kleine Panik entstanden sein. Man forderte in den letzten Tagen auffallend viele, mitunter bedeutende Depots aus seiner Bank zurück, es stand zu befürchten, daß diese Zurückziehungen weitere Ausdehnung annehmen würden. Stefanelly hatte sich aber nach allen Seiten in weitgehende Spekulationen eingelassen, die anvertrauten Gelder waren in der allgemeinen Geschäftskrisis, welche auch den glücklichen Stefanelly nicht unberührt ließ, nicht sofort flüssig zu machen, sie staken zerstreut in seinen Unternehmungen, in augenblicklich nur mit großem Verlust verkäuflichen Aktien – das geringste Zeichen von Schwäche, die geringste Stockung in der Auszahlung der Guthaben, und alles war verloren. Es war zu erwarten, daß die Gläubiger in Scharen kommen würden, ihr Geld zu holen, und damit war der Bankerott fertig. Nur um einige Tage handelte es sich, bis das Vertrauen wieder hergestellt war, dann konnte alles wieder gut werden. Wie aber über diese Tage hinwegkommen?

Nun lagen in dem Gewölbe des Bankhauses Stefanelly in einer machtigen eisernen Kasse unter doppeltem Verschluß der Reservefonds und die laufenden Werthe der Grunderwerbungs-Genossenschaft im Betrage von vierhunderttausend Mark. Stefanelly und Brennberg hatten die Schlüssel zu dieser Kasse, keiner konnte dieselbe ohne den andern öffnen. Stefanelly verlangte nun von Brennberg, er solle ihm die vierhunderttausend Mark stillschweigend auf vier Wochen anvertrauen, bis dahin könnten sie leicht zurückgezahlt werden, niemand wisse etwas davon, noch bringe es irgend wem Schaden.

Nach langer Weigerung und qualvollem Kampfe willigte Herr von Brennberg ein, denn mit Stefanelly war ja auch er verloren, nicht nur sein ganzes Vermögen, auch seine Ehre – sein Name! Sie gingen noch des Abends zusammen in das Gewölbe, öffneten die Kasse und nahmen die Summe heraus.

„Hält Stefanelly sein Wort, oder vielmehr, kann er es halten,“ so schloß Theodor erregt seinen Bericht, „dann ist die ganze Sache nichts als eine harmlose Gefälligkeit des Kollegen gegen den Kollegen; kann er es nicht halten, kommt die Bilanz oder werden die Aktionäre auch in das Mißtrauen hereingezogen und verlangen Revision, ehe die Summe ersetzt ist – dann ist es ein Betrug – ein Diebstahl!“

Theodor sank erschöpft auf einen Stuhl neben dem Bett.

„Dem Vater preßte die Besorgniß das Geständniß mir gegenüber heraus,“ fuhr er nach einer Weile fort, „leider zu spät, um die That verhindern zu können. Lasse ihn nicht merken, Bertha, daß Du alles weißt! Ich sollte es Dir ja nicht sagen, aber auch ich kann es nicht allein tragen, es ist mir, als wenn Du einen Rath wüßtest. Jedenfalls kannst Du Deinen Vater davon abhalten, weiter gegen Stefanelly zu wirken; es ist ja auch mir nicht denkbar, daß er allein an allem schuld sein soll, am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_210.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)