Seite:Die Gartenlaube (1891) 220.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Blätter und Blüthen.

Hölzerne Kleider. Hölzerne Kleider sind durchaus nichts Neues; heißt es doch schon im alten Liede:

„Der liebste Buhle, den ich han,
Der liegt beim Wirth im Keller;
Er hat ein hölzern Röcklein an
Und heißt der Muskateller.“

Aber solche Röcklein sind in unserm Falle nicht gemeint, wir haben wirkliche Kleiderstoffe im Sinn, die von der feinen Welt getragen werden, und die der besten Seide weder an Farbe, noch Gefühl, noch Aussehen nachstehen. Und doch ist der Hauptbestandtheil dieser Seide lediglich Holz, chemisch gereinigtes Holz, und weiter nichts.

Unsere schönen Leserinnen werden mit getheilten Gefühlen dieser Erfindung gegenüber stehen, und zunächst wird dieselbe vielfach angezweifelt werden. Kleiderstoff aus Holz? Hölzerne Kleider? Sollte das möglich sein? Ja, es ist in der That möglich.

Aber wie wird’s denn gemacht, das Holz in Seide zu verwandeln? Das geht überraschend einfach her. Das Holz besteht nämlich der Hauptsache nach aus Cellulose, die von nur wenigen Faserstoffen eingehüllt ist. Man zerreibt nun das Holz, indem man es mittels großer Schleifsteine mahlt; dieselben gehen mit ihrem untern Theile in Wasser, welches die Fasern abspült und aufnimmt. Die Faserstoffe werden alsdann auf chemischem Wege aufgelöst und man erhält die reine Cellulose, die im vollsten Sinne „ein Mädchen für alles“ ist. Sie dient zur Papierfabrikation, zur Herstellung von Schmucksachen, zum Ersatz des Elfenbeins, zur sogenannten Gummiwäsche und zu unzähligen anderen Gegenständen.

Von demselben Stoffe hat vor kurzen der französische Chemiker Chardonnet auch künstliche Seide hergestellt, die auf der letzten Weltausstellung in Paris großes und verdientes Aufsehen erregte. Die Herstellung der Seidenfäden wurde dort an einem patentirten Apparat gezeigt, der just aussieht wie eine Wurstmaschine. An der Stelle aber, wo bei der Wurstmaschine das Hackfleisch austritt, bringt Chardonnet ein nach unten gerichtetes Mundstück an, welches mit äußerst feinen Oeffnungen versehen ist. Aus diesen quillt die Seide in feinsten Fäden hervor. Das Haspeln, Weben und Färben wird, wie bisher üblich war, gehandhabt. Da die künstliche Seide die Farbstoffe gut aufnimmt, so lassen sich mit ihr wunderbar glänzende Farbentöne erzielen.

Trotzdem hatte Chardonnet mit seiner Erfindung keinen Erfolg, denn die künstliche Seide war gar zu feuergefährlich, und ein solches Gewebe stand im Nu in Flammen. Dieser Uebelstand ist nun beseitigt, indem man die Cellulose mit einem Feuerschutzmittel tränkt; man erreicht dadurch einen so guten Schutz gegen Entzündlichkeit, daß das Patentamt des Deutschen Reiches das früher beanstandete Patent nunmehr ertheilt hat. – Da zur Zeit die Seideneinfuhr für Deutschland 2871900 Kilo im Werthe von 130 Millionen Mark beträgt, so ist der Werth des Patentes sehr bedeutend.

In Zukunft also kleiden wir uns in Holz und Holzstoff; Kragen, Manschetten, Vorhemdchen, alles von Cellulose. Die „echte“ Elfenbeinvorstecknadel, das schöne, rothe Korallenhalsband, die wie Perlmutter glänzende Haarnadel, die Knöpfe mit dem wundervoll verschlungenen Namenszuge, die „seidenen“ Kleider, welche unsere Damen tragen – alles Cellulose! Aber damit noch nicht genug, auch das rauchlose Pulver, verschiedene grausenerregende Sprengmittel haben als Grundstoff nicht minder Cellulose, wie die neuen perlweißen Zähne, die der amerikanische „Dentist“ seiner Kundschaft für Walroß oder gar echt Elfenbein verkauft.

Die Huldigung des Siegers. (Zu dem Bilde S. 212 u. 213.) „Allah il Allah!“ Es ist, als ob dieser Siegesruf der mohammedanischen Scharen tausendstimmig aus unserem Bilde aufstiege zum Himmel; er übertönt die wimmernden Jammerlaute der Gefangenen und das letzte Röcheln der Sterbenden.

Zu Granada war’s, im schönen Spanien. Seit sieben und einem halben Jahrhundert herrschten hier die Mauren, gleich groß in den Thaten des Kriegs wie in den Werken des Friedens, und lange durfte sich das unterworfene Land einer milden Knechtschaft und hoher wirthschaftlicher Blüthe erfreuen, einer Blüthe, die es nie wieder erreicht hat, deren Spuren der Wanderer noch heute staunend bewundert. Aber zwei gefährliche Feinde verbanden sich gegen die Macht der spanischen Kalifen: die Zwietracht in den eigenen Reihen und die nur zurückgedrängte, aber nicht vernichtete Christenheit. Während auf dem Throne von Cordova die Herrschergeschlechter sich ablösten, Sonderreiche bald da, bald dort sich losrissen, um meist rasch wieder zu verschwinden, eroberte die christliche Ritterschaft Schritt für Schritt den alten Boden wieder, den ihr einst die unglückliche Schlacht bei Xeres de la Frontera im Jahre 711 entrissen hatte. So konnte es dahin kommen, daß die Mauren, die einst über die ganze pyrenäische Halbinsel mit Ausnahme des asturischen Berglands im äußersten Norden geboten hatten, schließlich auf das Königreich Granada – etwa den heutigen Provinzen Granada, Malaga und Almeria entsprechend – sich beschränkt sahen und den Königen von Kastilien tributpflichtig wurden. Aber noch war es eine achtunggebietende Macht, über welche die „Könige von Granada“ verfügten. Denn das außerordentlich fruchtbare und fleißig angebaute Land ernährte drei Millionen Bewohner und stellte hunderttausend Krieger ins Feld. Und als König Mulei Abul Haschem im Jahre 1476 die Fortentrichtung des seit 230 Jahren bezahlten Tributs verweigerte, da bedurfte es eines langen, wechselvollen Krieges, bis endlich am 2. Januar 1492 die stolzen Thore von Granada dem Königspaar Ferdinand von Aragonien und Isabella von Kastilien sich öffneten und der letzte König von Granada, Boabdil, in die Verbannung wanderte.

Das ist das geschichtliche Drama, aus dem unser Bild eine Scene darstellt. Und zwar ist es diesmal der Maure, welcher Sieger blieb. An der Spitze seiner Kriegerscharen tritt der Feldherr vor seinen königlichen Gebieter, hinter sich die Träger der erbeuteten christlichen Feldzeichen, und seine ausgebreiteten Arme scheinen sagen zu wollen: „Siehe, das alles ist Dein, Dein sind die Kleinodien von Gold und Edelsteinen, die Dein Sklave Dir auf prächtiger Schale reicht, Dein die kostbaren Rüstungen der erschlagenen Feinde, Dein die heiligen Geräthe, mit denen die Ungläubigen ihren Gott verehren, Dein das Herrlichste, was an Frauenschönheit unsere Augen sahen im Feindesland! Nimm es, Herr, nimm alles, was Allah den Deinen gegeben!“

Der „König von Granada“ aber hält unter dem Thore der Moschee. Mit den ehernen Gesichtszügen des Orientalen, die mit keiner Spur die Bewegung des Inneren verrathen, schaut er von seinem prächtig geschirrten Rosse herab auf die Huldigung seines siegreichen Feldherrn. Was in dem starr emporgereckten Haupte des Herrschers für Gedanken sich kreuzen mögen? Weiß er, daß der Mann vor ihm, welcher ihm jetzt alle Früchte seines Sieges zu Füßen legt, in der Stille auf Verrath sinnt? Ahnt er, daß dem heutigen Triumph morgen ein um so tieferer Sturz folgen wird? Wer will es ergründen?




Kleiner Briefkasten.

M. Nessillig in Köln. Wir bitten um Angabe Ihrer genauen Adresse, damit wir Ihnen brieflich antworten können.

J. R. in Konstantinopel. Die Unterrichtsbriefe nach Toussaint-Langenscheidtscher Methode werden wohl für Ihr Bedürfniß zutreffen.



Inhalt: Eine unbedeutende Frau. Roman von W. Heimburg (12. Fortsetzung). S. 201. – Frühling. Bild. S. 201. – Denksprüche. Von D. Sanders. S. 204. – Das Ende der Steinkohle und ihr Ersatz. Von August Hollenberg. S. 204. – Ostertag. Bild. S. 205. – Ostern. Bild. S. 209. – Truggeister. Roman von Anton von Perfall (12. Fortsetzung). S. 210. – Die Huldigung des Siegers. Bild. S. 212 und 213. – Lenzeszauber. Gedicht von Monica Brodtreiß. S. 214. – Vom Gesange in der Kinderstube. Von Dr. August Reißmann. S. 214. – Weil die Amsel pfiff. Eine Ostergeschichte von Victor Blüthgen. S. 215. Mit Abbildungen S. 216, 217 und 219. – Blätter und Blüthen: Hölzerne Kleider. S. 220. – Die Huldigung des Siegers. S. 220. (Zu dem Bilde S. 212 und 213.) – Kleiner Briefkasten. S. 220.



manicula Hierzu Kunstbeilage III, statt IV, welche der Nummer 9 beigegeben wurde.


Professor Bock’s Kleine Gesundheitslehre. Ein Volksbuch in neuer Bearbeitung.

In dem unterzeichneten Verlage ist erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

Kleine Gesundheitslehre.
Zum Kennenlernen, Gesunderhalten und Gesundmachen des Menschen.
Von Professor Dr. Carl Ernst Bock. Siebente Auflage, neu bearbeitet von Dr. Max von Zimmermann.
Preis in elegantem Ganzleinenband 1 Mark.

Eine kurze Anleitung zur Kenntniß des menschlichen Körpers und seiner Pflege im gesunden und kranken Zustande, wie sie „Bock’s Kleine Gesundheitslehre“ bietet, ist für Jedermann unentbehrlich, der auf die Erhaltuug des ersten und wichtigsten Gutes, die Gesundheit, Werth legt.

Bock’s Kleine Gesundheitslehre“ ist in den meisten Buchhandlungen zu haben. Wo der Bezug auf Hindernisse stößt, bestelle man unter Beifügung von 1 Mark und 20 Pf. (für Porto) = in Briefmarken direkt bei der

Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_220.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2023)