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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

anmuthigen Leibesübung mit gefrorenen Füßen und blauen Nasen unermüdlich zusieht.

Bei der Stubenthorbrücke, die über den Wienfluß in den Bezirk Landstraße führt, beginnt der Parkring, der vom Stadtpark seinen Namen hat. Den Stadtpark sehen wir uns ein anderes Mal an, denn die Gärten Wiens verdienen eine genaue Besichtigung. Dem Stadtpark gegenüber liegt das Gebäude der Gartenbaugesellschaft mit einem hübschen Garten. Der große Saal wird im Karneval zur Veranstaltung von Maskenbällen und Kränzchen benutzt; im Frühjahr und Herbst werden hier und im Kursalon Promenadenkonzerte von Ed. Strauß und von Militärkapellen veranstaltet. Auch finden im ersteren nicht nur die Ausstellungen der Gartenkunst, Obst- und Gemüseausstellungen, sondern auch verschiedene Spezialausstellungen, Möbelausstellungen, Plakatausstellungen, Hundeausstellungen u. dergl. statt. Als wirksamer Abschluß des Gartens erhebt sich im Hintergrund das Palais des Herzogs von Coburg, ein Säulenbau mit schönen architektonischen Verhältnissen. Einer der schönsten Paläste ist das Haus des Großmeisters des deutschen Ordens, Erzherzog Wilhelms. Es ist von Hansen erbaut und mit Skulpturen von J. Gasser geschmückt. In den Seitengassen des Parkrings und Kolowratrings stoßen wir noch auf eine Anzahl interessanter Gebäude: da steht das akademische Gymnasium, ein gothischer Bau vom Dombaumeister Schmidt; davor das schöne Beethovendenkmal von Zumbusch, auf einem idyllischen, von Gartenanlagen umschlossenen Platze. Auf der Seilerstätte steht das ehemalige Stadttheater, jetzt Etablissement Ronacher, ein Vergnügungslokal höheren Stils, mit raffinirtem Luxus ausgestattet. Das müssen Sie sich ansehen, Herr von Werner; ich werd’ Sie nächstens einmal hinführen. Sie sehen zwar auch nicht viel mehr als in den bekannten Orpheums und Tingl-Tangl’s; dafür wird Ihnen die Eleganz der Ausstattung und die Lebewelt, welche Sie dort treffen, Vergnügen machen.

Die Votivkirche.

Jetzt sagen S’: Ah! Herr Werner; denn der Schwarzenbergplatz verdient wirklich ein Ah der Bewunderung. Die herrlichen Paläste, welche den Platz umgeben, sind von den Meistern der neuen Wiener Architektur erbaut. Die Paläste des Erzherzogs Ludwig Victor, von Wertheim und Ofenheim, sind der köstliche Rahmen, in dessen Mitte sich die Reiterstatue des Fürsten Schwarzenberg erhebt. Einen überaus malerischen Hintergrund bildet der Hochstrahlbrunnen, der seine mächtigen Wasserstrahlen, wenn er gut aufgelegt ist, 60 Meter hoch schleudert. Er ist aber selten bei Laune; denn der Wassermangel bildet ein ständiges Kapitel unserer Gemeindeschmerzen. Der Platz ist von freundlichen Gartenanlagen umgeben, hinter denen auf sanft ansteigendem Gelände das Sommerpalais des Fürsten Schwarzenberg, ein schöner Barockbau des Fischer von Erlach, sich erhebt. Hinter diesem wird der Prachtbau des Belvedere, das einstige Lustschloß des Prinzen Eugenius, sichtbar.

Jetzt kommen wir wieder auf den Kärntnerring, von dem wir ausgegangen sind. Auch hier reiht sich Palast an Palast. Hinter dem schon erwähnten Hotel Imperial, in der Künstlerstraße, stehen zwei Gebäude, welche für das Kunstleben Wiens von gleicher Wichtigkeit sind, das Gebäude des Musikvereins und das Künstlerhaus, letztes erst kürzlich von dem talentvollen Architekten Julius Deininger in praktischer und geschmackvoller Weise erweitert. Im Gebäude des Musikvereins befindet sich das Konservatorium für Musik und darstellende Kunst. Im reich geschmückten großen Saal, der an 3000 Personen faßt, werden die berühmten Gesellschaftskonzerte und andere musikalische Veranstaltungen abgehalten, bei welchen sich das musikliebende Publikum Wiens stets zahlreich einfindet. Im Karneval dient er zu Maskenbällen und früher fanden hier auch die beliebten Künstlerabende statt, welche jedoch in den letzten Jahren nicht mehr abgehalten wurden. Die Jahresausstellungen des Künstlerhauses bieten zumeist ein erfreuliches Bild des Schaffens der großen und wackeren Künstlergemeinde, die trotz der fühlbaren Ungunst der Verhältnisse ihren guten Humor nicht eingebüßt hat, wovon sich Wien alljährlich auf dem von den Künstlern veranstalteten köstlichen ‚G’schnas-Feste‘ aufs neue überzeugt. Dieser Faschingscherz, welcher unter einer gemeinsamen Losung eine Zeitrichtung oder eine Modethorheit zum Ausgangspunkte nimmt, wird mit großer künstlerischer Hingebung durchgeführt und überrascht immer durch die Fülle der genialen Einfalle und des aufgewendeten Fleißes.

Das Wort ‚G’schnas‘ ist ein urwienerisches Wort und bedeutet Unechtes, das in ärmlicher Form für vornehm gelten will. Ich leite mir das Wort von ‚G’schnattl‘ ab. Das sind nämlich die Abfälle von Fleischspeisen oder die minderwerthigen Theile eine Thieres. Das ‚G’schnattl‘ vom Schwein ist auch Schweinernes, hat aber doch einen viel geringeren Werth. In diesem Sinn nennen die Künstler alles das ‚G’schnas‘, was sich den Anschein zu geben sucht, als wäre es echt und vollwerthig, während es sich bei näherer Besichtigung als plumpe Nachahmung erweist.

So, jetzt hätten wir den Rundgang vollendet! Ich hab’ Ihnen selbstverständlich auf diesem Spaziergange nur das Wichtigste und Hervorragendste zeigen und erklären können, aber für einen flüchtigen Ueberblick wird Ihnen das genügen. Das Ringstraßenbild mit seinem Wagen- und Tramwayverkehr, seinen Bummlern und Straßenfiguren, seinen Kunsthandlungen, Kaffeehäusern und Restaurants ist wohl dem anderer Großstädte ähnlich, aber wenn man es einige Zeit studiert, fallen die Unterschiede im Charakter und in der Lebensweise der Bevölkerung auf.

Viel deutlicher und stärker treten diese Unterschiede in den Vorstädten und Vororten hervor. Ich lade Sie für ein ander Mal zu einem Rundgang durch diese Stadttheile ein.“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_232.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)