Seite:Die Gartenlaube (1891) 236.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

fanden sich ein, die Stefanelly glückwünschend die Hand drückten, ihn baten, Mitleid zu haben mit dem bethörten Volk und seine Hand nicht von ihm zurückzuziehen. Und Stefanelly war großmüthigl In den Zeitungen erschienen Ankündigungen, die Bank habe beschlossen, auch fernerhin von den durch falsche Vorspiegelungen Irregeleiteten Einlagen zu dem alten Zinsfuße wieder anzunehmen. Und wieder strömte dieselbe Masse auf den Platz und balgte sich um den Vortritt, der Goldstrom kehrte wieder in sein Bett zurück. Das allgemeine Vertrauen zu Stefanelly war wieder da.

Der alte Brennberg wagte es jetzt nicht mehr, den Bankier an seine Verpflichtung zu erinnern.

Auch Theodor vergaß alle Besorgnisse, alle guten Vorsätze und stürzte sich mit seinem schönen blühenden Weib von neuem in die jetzt noch höher gehenden Wogen der von der Angst eines bevorstehenden Krachs befreiten Gesellschaft.

Und doch pochte es von Zeit zu Zeit da und dort unheimlich wie vor einem Erdbeben, und eine schwüle Gespanntheit lag in der Atmosphäre, die dem Börsen- und Geldmann nicht entging und unbewußt auch auf die Masse wirkte. Die Schwankungen der Papierwerthe wurden immer größer, die Börse glich einem aufgeregten Meere, ohne daß man eigentlich wußte. woher der Sturm kam, der sie aufgewühlt hatte, und mit der kritiklosen Nervosität, die eine unbekannte rings drohende Gefahr erzeugt, überließ man sich von neuem dem Kultus der Phantasiewerthe.

Stefanelly täuschte sich keinen Augenblick über die Lage und kannte die Hohlseite jedes Steins an dem Schwindelbau, den er aufgefuhrt. Er hatte zu hoch gebaut, das Machwerk mußte zusammenstürzen, es galt nur noch, zu rechter Zeit sich aus den stürzenden Trümmern zu retten. Die vierhunderttausend Mark konnten den Zusammenbruch nur verzögern, nicht verhindern. Es handelte sich jetzt nur noch um einen Hauptstreich, der seine Tasche zum Ueberquellen füllen sollte. dann ein gewandter kühner Sprung zur Seite – und hohnlachend zugesehen aus weiter Ferne, wie es zusammenprasselte über der thörichten verachteten Menge! Auch nicht der leiseste Gedanke an Mitleid mit den Tausenden vernichteter Existenzen, auch nicht die leiseste Regung des Gewissens machte sich in ihm geltend; nur der eiserne Vorsatz, sein Gaunerstück durchzuführen bis zum Ende, um jeden Preis; ein bestienhafter Zorn bei dem Gedanken an die Möglichkeit des Mißlingens beherrschte ihn.

Die neue Bergwerksakiengesellschaft, die er gegründet hatte, sollte das Mittel zum Zweck sein.

Der bei Erwerbung der Zechen gezahlte Preis war ein ungeheurer und stand in keinem Einklang zu dem Ertrag; Stefanelly mußte seine äußerste Kraft anstrengen, um die Aktin erst einmal in Fluß zu bringen. Aber der neugegründete Glaube des Publikums an sein Glück half ihm wieder vorwärts; bald konnte er der Nachfrage nach Aktien kaum mehr genügen, sie stiegen immerfort, riesige Summen Agio flossen in seine Kasse, und trotzdem war das Unternehmen unhaltbar.

Da kam ihm ein vortrefflicher Gedanke. Es gelang ihm, wesentlich durch die Vermittelung des Raths Stürmling, welchen er klugerweise ganz für seine Pläne zu gewinnen verstanden hatte, den Handelsminister Graf Derwitz zur Anlage eines großen Theiles seines Vermögens in diesen Aktien zu bestimmen. Wenige Wochen darauf machte Stefanelly, indem er den volkswirthschaftlichen Werth dieser Erwerbung klarzulegen suchte, dem Minister den Vorschlag, daß der Staat das Bergwerk ankaufen solle. Der Minister ist völlig gegentheiliger Ansicht, schlägt den Unsinn rundweg ab – da erklärt ihm der Bankier mit frecher Stirn die ganze Sachlage, die ganze Gefährdung des Unternehmens. Der Minister ist empört, nennt Stefanelly einen Schurken; die Hälfte seines Vermögens ist verloren, mit ihm seine Stellung; Stefanelly zuckt die Achseln, auch er verliert, das ist das Börsenspiel.

Kurze Zeit darauf wird er von der Regierung aufgefordert, genauen Bericht zu erstatten betreffs der allenfallsigen Bedingungen einer Erwerbung des Werkes von Staatswegen. Die List ist gelungen! Jetzt gilt es nur noch, auf einige Wochen das Unternehmen gewaltsam in die Höhe zu treiben, die Aktien künstlich hinaufzuschrauben – und eine Million ist verdient!

Alle Mittel mußten benutzt werden, eigene und fremde, der Kredit, alles.

Der Tag nahte, an welchem die 400 000 Mark in den Reservefonds zurückbezahlt werden mußten, jeden Augenblick konnte die genaue Kassenrevision kommen. Stefanelly war fest entschlossen, nicht zu zahlen, ehe das Geschäft mit dem Bergwerk erledigt war; Brennberg mußte dazu helfen um jeden Preis.

*  *  *

Der Palast Stefanelly erstrahlte in hellem Lichterglanz. Der Karneval des Jahres 187.. sollte dort seine glänzende Eröffnung feiern. Seit Wochen gingen in der Stadt Gerüchte von Vorbereitungen, die alles bisher an derartigen Festlichkeiten Dagewesene in Schatten stellen sollten. Stefanelly, der Parvenu, der ehemalige Arbeiter, warf der ganzen luxustollen, genußdurstigen Gesellschaft der Großstadt, der hohen Finanzwelt, dem stolzen Aristokratenthum, selbst dem Hof gleichsam den Fehdehandschuh hin, als wollte er sagen: „Wer thut es mir gleich? Wer wagt es, an mir zu zweifeln?“ Und man hob den Handschuh auf. Man kam, die einen lachend, nur mit der Absicht, dieses glänzende üppige Fest mitzugenießen, die andern voll ergrimmten Neides, mit dem festen Willen, wenigstens ihrer Würde gemäß auf dem Kampfplatz zu erscheinen, und wäre es mit den größten Opfern. Die unheimlichen Schauer, welche den Börsenkörper durchzitterten, thaten der allgemeinen Erwartung keinen Abbruch – man wollte sich nicht stören lassen.

Ein glänzendes Gewoge erfüllte die neueingerichteten Räume, was die Hauptstadt aufbieten konnte an Schönheit, Vornehmheit, Reichthum, Rang und Titel, war vereinigt.

Das lebhafte Interesse, welches der Staatsminister Graf Derwitz in den Verhandlungen betreffs Verstaatlichung des Bergwerks für Stefanelly gezeigt, hatte genügt, die ganze hohe Beamtenschaft dort zu vereinigen, und zum allgemeinen Staunen sah man den Festgeber Arm in Arm mit Baron Anspacher in vertraulichem Gespräche. Also auch dieses Gerücht von der Feindschaft beider Männer, von den Umtrieben des letzteren gegen den ersteren, war falsch gewesen!

Die ganze ordensgeschmückte, seiderauschende, diamantenblitzende Gesellschaft, die sich da in einem Meer von Licht und Blumen, Duft und Goldgeflunker bewegte, war eine feierliche Anerkennung des ganzen gewissenlosen Treibens Stefanellys – ein entarteter Tanz um das goldene Kalb!

Baron Christian von Brennberg war wohl der einzige, der mit schwerem Herzen das Palais betrat. Es erfaßte ihn ein kalter Schauder, als er die Volksmasse erblickte, die sich wie eine finstere drohende Wolke um das Portal drängte, mit gierigem Blick all den herein- und herausströmenden Glanz bestaunend. Er fühlte die hohe Spannung in dieser drohenden Wolke – dachte an die furchtbare Entladung, die plötzlich eintreten konnte.

In der nächsten Zeit mußte dem Aufsichtsrathe der Grunderwerbungs-Genossenschaft die Bilanz vorgelegt und die Kassenrevision vorgenommen werden; Stefanelly hatte dem Baron für heute abend Bescheid versprochen, wie die 400000 Mark ersetzt werden könnten.

Beim Anblick all der Pracht und Verschwendung stieg dem alten Herrn die Schamröthe ins Antlitz, es kam ihm das volle Bewußtsein des schwindelhaften Treibens, in welches er mit verwickelt war.

Dieser Stefanelly gab ein Fest, das ein Vermögen verschlang, und dazu waren es veruntreute – mit seiner Hilfe veruntreute Gelder. Loni Margold, die Tochter des Weinmann von der Landstraße, die Frau des Agenten, geschmückt wie eine Fürstin, in Diamanten strahlend, spielte die Dame des Hauses und empfing die ganze hoch- und hochwohlgeborene Gesellschaft. Sie konnte es ja nicht wissen, daß unter ihren Füßen eine leere Kasse stand, aber daß das ganze Wesen um sie her eine Lüge war, mußte sie wissen, wußte sie auch, aber sie wollte es nicht wissen, die Genußjagd hatte sie erschlafft, betäubt – und unten zuckte es drohend aus der Wolke, dumpfes Grollen drang herauf.

Der Baron beobachtete Stefanelly scharf und studierte jede Miene seines Gesichts. Der Bankier war heiter, lachte laut mit Anspacher, sprach eifrig mit dem Minister und anderen Würdenträgern, aber seinem Aufsichtsrathe schien er absichtlich auszuweichen. Dieser jedoch war fest entschlossen, das Haus nicht ohne bestimmte Erklärung zu verlassen.

(Fortsetzung folgt.)




Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_236.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)