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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

sich auch in seiner ganzen Haltung, in seinem aufleuchtenden Antlitz aus.

„Es ist aber unmöglich, eine Prüfung der Kasse innerhalb der nächsten zwei Wochen zu verhindern, und wenn sie zu verhindern wäre, so würde ich nicht die Hand dazu bieten, da es doch nichts nützen und mein Verbrechen nur verdoppeln würde. Sie werden auch in ein paar Monaten die Summe nicht aufbringen können.“

„Aber, lieber Herr von Brennberg,“ begann jetzt Stefanelly plötzlich in zuthunlichem Tone, „seien Sie doch vernünftig! Kauft der Staat das Bergwerk, so verfüge ich über Millionen. Bedenken Sie doch, was auf dem Spiele steht! Ich leugne es nicht – alles! Alles für mich und für Sie! Und da wollen Sie im letzten Augenblicke, nachdem Sie mit mir durch Dick und Dünn gegangen sind, plötzlich den Aengstlichen spielen? O pfui! Das wäre kläglich. Sie werden die Sache irgendwie hinausziehen können – nicht wahr? Sie stellen sich nur im ersten Schrecken die Schwierigkeiten zu groß vor. Sie sind ja ein Pfiffikus ersten Ranges.“

Er versuchte zu lächeln und klopfte Brennberg auf die Schulter.

Aber Brennberg veränderte seine schroffe Haltung nicht.

„Es ist unmöglich; ich weiß kein Mittel, welches nicht das Mißtrauen noch mehr rege machen würde!“ sagte er mit unverminderter Entschiedenheit.

Der Bankier sah einen Augenblick starr auf den Boden, dann auf Brennberg. Schließlich zuckte er mit den Achseln und schlug die Hände zusammen.

„Nun, wenn es wirklich unmöglich ist, wenn ich wirklich im letzten Augenblick noch scheitern muß – auch gut! Wir scheitern zusammen, lieber Brennberg. Es thut mir leid um Sie, Sie werden es härter fühlen als ich, ich habe wenigstens keinen ehrwürdigen Namen, den ich beflecke –“

Ein schmerzlicher Zug erschien um seinen Mund – oder war es ein höhnischer?

Jetzt kam Brennbergs Zorn aber zum Ausbruch.

„Und das wußten Sie alles und überredeten mich doch zu dem Betrug? Sie feiern heute ein Fest, das Tausende verschlingt, und sagen mir jetzt frech ins Gesicht, daß Sie Ihr Wort brechen, daß Sie nicht bezahlen? Sie sind ein Schurke, Herr Stefanelly! Hören Sie, ein Schurke!“

Der Bankier schwieg, indem er lächelnd auf die Marmorplatte des Tisches klopfte.

Das Schweigen reizte den Zorn des alten Freiherrn noch mehr. „Morgen berufe ich den Aufsichtsrath und erkläre öffentlich in seiner Gegenwart, daß Sie ein Schurke sind. Alles erkläre ich, den ganzen scheinheiligen Handel, ich selbst führe die Herren vor die geleerte Kasse – ja, das thue ich – das thue ich –“

Er hatte alle Fassung verloren, die Thränen rollten über seine bleichen Wangen, er ballte die Fäuste gegen den Bankier, der sich nicht bewegte und seinen Gegner nur mit verzehrenden Blicken betrachtete.

„Das thun Sie alles nicht,“ sagte er schließlich ruhig, „sondern Sie werden auf ein Mittel sinnen, wie man die 400000 Mark nicht zahlt vor frühestens in zwei Monaten, die Kasse revidirt und doch nicht sich verräth, das werden Sie und ich zustande bringen, weil wir keine Narren sind und uns nicht mit der Pistole aus der Verlegenheit und aus der Welt bringen wollen.“

Brennberg war überrascht. Der Gedanke, daß doch am Ende eine Rettung möglich wäre vor dem unabsehbaren Verderben, übermannte ihn. Er starrte sprachlos auf Stefanelly, als wollte er die Gedanken lesen, die sich hinter dieser breiten Stirn bargen.

„Sie halten einen Ausweg augenblicklich für unmöglich,“ fuhr Stefanelly in demselben kühlen Tone fort, „das finde ich begreiflich. Heute nacht werden Sie ihn aber finden, vielleicht in einer Stunde, die Noth macht erfinderisch. Vielleicht finde ich ihn – habe ihn vielleicht schon gefunden in diesem Augenblick –“

Brennberg griff in qualvoller Angst nach der Hand des Unternehmers.

„Sprechen Sie, ich beschwöre Sie, sprechen Sie! Lassen Sie mich diese Nacht nicht durchleben –“

„So rasch geht das nicht!“ erwiderte dieser. „Ich habe nur eine unklare Vorstellung. Nur eines möchte ich wissen: wenn mein Plan reift, vielleicht plötzlich, in einer Viertelstunde reift, werden Sie mich ihn ausführen lassen, ohne daß ich Ihnen denselben nennte, ohne daß Sie sich irgendwie einmengen?“

Christian von Brennberg zögerte. Er glaubte, in diesem Antlitz ein neues Verbrechen zu lesen, in das er mit verwickelt werden sollte.

„Denken Sie an Ihren Sohn, Ihren Namen!“ drängte Stefanelly. „Ich verlange eine völlige Passivität Ihrerseits, das schließt auch jede Verantwortung für Sie aus.“

Der Aufsichtsrath machte vergebliche Anstrengung, Stefanellys Vorhaben zu errathen; in seinem Gehirn tobte es, seine Gedanken verwirrten sich immer mehr. Warum nannte der Mann ihm nicht den Ausweg, wenn dieser nicht noch schlimmer war als das Vergehen, dessen Folgen er abwenden wollte?

Da traten zwei Bilder vor Christans fieberndes Auge, Theodor mit seinem blühenden Weib und das alte Schönau.

„Handeln Sie in Gottes Namen!“ flüsterte er mühsam; „Sie werden mich nicht noch unglücklicher machen wollen, als ich’s so schon bin –“

Stefanelly athmete sichtlich erleichtert auf.

„Beruhigen Sie sich, die Sache ist lange nicht so schlimm, als sie vielleicht aussieht – und wenn alles glücklich vorüber ist, werden Sie selbst lachen über meine Finte, die niemand Schaden bringen soll.“

Christian schloß aus diesen Worten, daß Stefanelly schon mit seinem Plane fertig war. Das schreckte ihn von neuem.

„Ja, Sie sagten aber doch eben, Ihre Vorstellung von dem Auswege sei noch unklar!“

„Jetzt ist sie mir eben vollständig klar. Das geht bei mir rasch!“ entgegnete der Bankier.

„Und niemand soll Schaden leiden?“

„Niemand!“

„Und welche Rolle soll ich –“

„Die Rolle des völlig Unbetheiligten, Unwissenden. Aber merken Sie wohl auf, die Rolle ist nicht so leicht, jede Miene, jede Bewegung muß beherrscht werden.“

Brennberg zitterte vor dem Unbekannten und wagte doch nicht ein entschlossenes „Nein“.

„Und wann?“ fragte er erschöpft.

„Das überlassen Sie mir! Seien Sie nur jeden Augenblick darauf gefaßt.“ Unter diesen Worten drängte Stefanelly zur Thür. „Kommen Sie, unser Wegbleiben darf nicht auffallen.“

„Am Ende in dieser Nacht noch? Während des Festes?“ fragte Christian.

„Vielleicht! Denken Sie so, und Sie werden nicht überrascht werden. Jetzt kommen Sie!“

Sie verließen das Zimmer und kehrten zu den Gästen zurück.

Loni hatte sich unterdessen vollständig Theodors bemächtigt, mit welchem sie Arm in Arm durch die Gemächer schritt. Ihr leichtfertiges Gespräch, ihre verführerischen Blicke weckten in dem jungen Manne die alten leichtlebigen Erinnerungen, und er vergaß darüber nicht nur die Entfernung seines Vaters mit Stefanelly, deren Grund und Zweck er wohl ahnte – sondern auch Bertha!

Eben machte Loni einen gewagten Scherz und strich leise mit dem Fächer über Theodors Hand, da traten die beiden Männer in das Zimmer.

Einen Augenblick erwachte Theodor aus dem Sinnentaumel, dem er verfallen war, und warf einen fragenden Blick auf den Vater; der nickte stumm mit aufeinander gebissenen Lippen; die Gebärde bedeutete zweifellos „in Ordnung“, aber das bleiche abgespannte Antlitz paßte nicht zu der Botschaft.

Stefanelly trat zu Theodor.

„Amüsiren Sie sich gut, Herr von Brennberg? Nun, in so liebenswürdiger Gesellschaft steht das außer Frage! Uebrigens erwartet man Sie,“ wandte er sich an seine Begleiterin, „schon seit einer halben Stunde in der Küche. Weiß Gott, wo es wieder fehlt! Entschuldigen Sie, Herr von Brennberg, aber ich armer verlassener Mann wäre ja verloren ohne Frau Margold – alles ihr Werk, die ganze Anordnung!“

Er zog die Uhr heraus. „Wie die Zeit vergeht, schon zwölf Uhr! Aha, es wird sich um die Bowle handeln; ich sage Ihnen, Herr Baron, darin ist sie eine unübertroffene Meisterin. Bitte, bitte, Frau Margold, säumen Sie nicht!“

„Ich säume nicht,“ entgegnete Loni, und Stefanelly empfahl sich mit einem Lächeln, das zu dem steifen verlorenen Blick nicht paßte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_251.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)