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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Jetzt hörten die Häuser auf, wogende Felder breiteten sich in der einbrechenden Dunkelheit aus.

„Ja, wohin führt Ihr mich denn? Doch zu Dir, Margold, in Dein Haus.“

„Ich habe kein Haus mehr,“ erwiderte Margold lachend.

„Und Ihr wohnt nicht mehr in M ...?“

„Nein, aber in der Nähe, Vater,“ sagte Theodor.

„In der Nähe? Ihr verbergt mir etwas, ein neues Unglück! Wo ist Euer Kind, mein Enkelsohn?“

Eine jähe Angst vor etwas Ungewissem hatte den erregten Mann gepackt.

„In einigen Minuten bist Du bei ihm,“ war die Antwort.

Der Wagen fuhr jetzt eine Pappelallee entlang. Brennberg erblickte die langen Schatten im matten Mondlicht. Ein Zittern befiel ihn, er lehnte sich weit hinaus.

„Schönau!“ schrie er, „Schönau! Was wollt Ihr in Schönau?“

In diesem Augenblick hielt auch der Wagen. Der Freiherr riß den Schlag auf, sprang hinaus und erblickte die blendendweiße Front des Schlößchens vor sich, dessen Fenster alle hell erleuchtet waren.

Er stieß einen gurgelnden Schrei aus und fiel auf die Kniee nieder.

„Schönau! Heiliger Gott! Schönau!“

Margold und Theodor hoben ihn auf.

„Unser Schönau!“ flüsterte Theodor.

Christian breitete die Arme aus wie vor einer himmlischen Erscheinung und sah fragend auf Margold.

Ja, Herr, unser Schönau, das Heirathsgut der Bertl. Ich sagt’ es ja, es hat auf uns gewartet, fast geschenkt haben sie mir den ‚alten Kasten‘, wie ihn die Aktionäre nannten. Den alten, lieben Kasten – und da – da kommt auch der künftige Herr von Schönau, Sie zu begrüßen.

Bertl war es, die sich schnell in das Schloß gestohlen und jetzt mit ihrem Kinde auf dem Arm heraustrat vor den Großvater.

„Unser Sohn,“ stammelte die selige Mutter.

Christian schloß den Kleinen trunken von all dem unerwarteten Glück in die Arme.

Im Norden zog ein rother wallender Dunst empor über die Bäume des Parkes, Christian blickte feindselig darauf, dann aber nahm er den Kleinen fester in die Arme und betrat mit ihm das Haus seiner Väter.




Als Bergmann an jenem Nachmittage zurückkam aus dem Gefängniß und sein Weib ihn mit Thränen der Freude empfing, da wehrte er ihrer Zärtlichkeit und nahm sie mit sich in die Kammer.

„Du glaubtest an meine Schuld, nicht wahr, Therese?“ sagte er.

Scham und Schmerz ließen sie lange nicht antworten.

„Mußte ich nicht, da Du, der sonst so hitzige Mann, Dich widerspruchslos, ohne ein Wort der Rechtfertigung, mit fortnehmen ließest? Warum hast Du das gethan?“

„Weil ich wirklich mich schuldig fühlte, Therese, deshalb that ich’s. In jener furchtbaren Nacht faßte ich in meiner Gier nach dem Golde den festen Entschluß, bei Stefanelly einzubrechen; ich war eben mit dem Plane fertig, da kamen sie, mich zu holen. Das packte mich, ich glaubte die Stimme der rettenden Vorsehung zu vernehmen, das entsetzliche Fieber wich, der halbe Tag im Gefängniß hat mich ganz davon geheilt. Jetzt bringe mir das Kind, ich hatte keines bisher – und dann zur Arbeit, damit das Fieber nicht wiederkommt.“

Seit der Zeit sprühen wieder lustig die Feuer in der Werkstatt, der Meister selber steht vom Morgen bis zum Abend am Ambos. Die Sparkasseneinlagen Thereses wuchsen von da an zwar langsamer aber stetig, und heute ist Bergmann schon längst Eigenthümer des ehemaligen Margoldschen Hauses.

Theodor ist ein gelehriger Schüler des alten Margold geworden. Aus der Armee infolge der Verhaltnisse verabschiedet, von der Gesellschaft, deren Gunst ihm einst alles geschienen, mit scheelen Augen betrachtet, trieb ihn zuerst Trotz und bittere Verachtung aus dieser Welt des Scheines, da öffnete sich ihm der einst so verachtete, geringgeschätzte Schönauer Boden und zeigte seine verborgenen, nie geahnten Schätze. Theodor erkannte, worin die volle Heilung liege, der einzige Trost, die letzte Ehre in der Hebung dieses Schatzes, den er einem Phantom geopfert. – Und er hob ihn mit starker Faust, treulich unterstützt von seinem Weibe, von Bertha. Duftiger, üppiger Segen breitete sich unter ihren emsigen Händen. Die weithin berühmten Brennbergschen Gärten versehen halb M ... mit ihren reichen Erträgnissen.

Blicken jetzt des Abends der alte Baron und Margold im Kreise ihrer Lieben in den rothen wallenden Schein, der ihnen einst so drohend aufzusteigen schien über dem Wald wie der Athem eines alles verheerenden Dämons, so denken sie zurück an ihren einstigen Wahn und erklären dem horchenden Enkel, was es sei, der Athem rastloser Arbeit, ehrlichen Schaffens und Strebens, kühnen Vorwärtsschreitens, der Athem des wahren, ewigen Zeitgeistes, der sich immer wieder siegreich erhebt über die Geister des Truges und der Lüge.




Bei den darbenden Webern im Glatzer Gebirg.


Eine Charwoche liegt hinter mir, deren „grüner Donnerstag“ ohne den Hoffnungsgruß von Lenzesgrün verlief und auf die kein Osterfest folgte, dessen Glockentönen mir das Herz mit frohem Auferstehungsglauben erfüllt hätte. Weiße Ostern – das waren die Tage auch für all die Vielen, welchen der Schneesturm den Osterausflug verdarb, graue Ostern, grau wie Frau Sorge in Goethes Faust, so muß mein Reisetagebuch diese Woche verzeichnen, in der mich das Interesse der „Gartenlaube“ für die nothleidenden Weber im „böhmischen Winkel“ Deutsch-Schlesiens und ihr Wunsch nach Klarstellung des Charakters dieser Nothlage durch Sturm und Regen in die verschneiten Thäler zwischen Mensegebirg und Heuscheuer, Heuscheuer und Eulengebirge fahren und hinauf in die entlegenen Dorfeinöden der Grafschaft Glatz wandern ließ. Denn auch der Glanz der Frühlingssonne hätte das Grau dieser trostlosen Lebenseindrücke, hätte die Bilder unheilbaren Menschensiechthums, die mich hier erwarteten, nicht zu verklären vermocht, und auch die Zaubermacht der Ostersonne, mit dem goldnen Faden ihrer Strahlen selbst die Flicken des Bettlerelends zur Schönheit verweben zu können, würde versagt haben an den düstern Stätten des Hungers und Elends dort oben, auf welche seit Wochen der Hilferuf edler Menschenfreunde das allgemeine Interesse im Vaterlande gelenkt hat.

Solch einem Hilferuf hatte zu Anfang März auch die „Gartenlaube“ Verbreitung gegeben, nachdem der von ihr um Auskunft angegangene Gewährsmann, Herr Pastor Klein in Reinerz, schon Wochen vorher im engeren Kreise jener Gegend durch öffentlichen Aufruf und praktische Organisation der Privatwohlthätigkeit zu Gunsten der Nothleidenden gewirkt hatte. Aber viel früher schon, bereits im Mai vorigen Jahres, hatte eine Petition von Webern des Eulengebirgs an den Kaiser, hatten Nachrichten der Presse über die Absichten der Regierung, mit dem chronischen Nothstand der schlesischen Handwerker einmal gründlich aufzuräumen, die allgemeine Aufmerksamkeit wieder jenen Mißständen zugelenkt, die nun schon über ein Jahrhundert lang nach dem Ausdruck eines bedeutenden Nationalökonomen „einen Schandfleck unserer wirthschaftlichen Geschichte“ bilden. Schon war es in den Verhandlungen zwischen den Ministerien in Berlin, der Provinzialregierung in Breslau und den Landrathsämtern der betreffenden Bezirke zugegeben, daß die allgemeinen Verhältnisse die Handweberei Schlesiens mit einer neuen Krise bedrohen, schon häuften sich auf den grünen Tischen die Akten mit Material für die Vorbereitung der Abhilfe, da drang mitten aus dem Herzen der Gegend, in welcher das Elend der Handweber schon längst alle Grenzen des Erträglichen überschritt, der laute Hilferuf des Reinerzer Pfarrers hinaus in die Welt im tausendstimmigen Echo der Presse. Wohl könne den Webern für die Dauer nur durch wirthschaftliche Heilmittel geholfen werden, die dem Uebel an die Wurzel gehen, aber zur Bekämpfung der augenblicklich gesteigerten Noth sei auch augenblicklich eingreifende Hilfe nöthig, Hilfe der freien Barmherzigkeit, die Nahrung, Heizung, Kleidung in die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_271.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)